Rene Urbasik

Brennpunkt Gastronomie


Скачать книгу

würden. Das war Fakt, trotzdem folgte meinem Abgang böses Geraune. Da hatte die Paella-Fraktion in der Heimat sicherlich einiges zu berichten. Die humorlosen, unfreundlichen Deutschen in ihrer Paradedisziplin: Grobschlächtigkeit und Verbissenheit. Darauf einen Plastikeimer Sangria mit Strohhalm.

      Es gab tatsächlich Zeiten, da habe ich gerne auf die Fotowünsche meiner Gäste reagiert. Ich glaube, das war, bevor in fast jedem Mobiltelefon eine Kamera eingebaut wurde. Der Gastgeber fragte mich, ob ich mit der modernen Technik umgehen könne. Falls ich seine Frage nicht wie aus der Pistole geschossen mit „Ja“ beantworten konnte, wurde ich 5 bis 10 Minuten instruiert. Hatte mein Gast „sein“ Bild, dankte er mir für meine Geduld und Hilfe und zeigte sich später beim Trinkgeld doppelt spendabel. Es passierte vielleicht ein, höchstens zwei Mal im Monat, dass ich um Assistenz beim Erstellen eines Gruppenfotos gebeten wurde. Die gute, alte Zeit. Gast X besaß einen klassischen Fotoapparat, vielleicht eine Leica oder eine Samsung, und in dem klobigen Teil befand sich ein hochmoderner Kodak-Film, ausreichend für 25 Bilder. Wie sich viele der Leser noch erinnern können, wurde dementsprechend gegeizt bei den Aufnahmen.

      Da wurde dann schon dreimal überlegt, ob Motiv A, B oder C am besten als Erinnerung taugte. Gab es einen festlichen Anlass, so wurden die geladenen Gäste aufwändig in ihre jeweilige Position gezwungen und zum Bewegungsstopp verurteilt. Der große Moment war nahezu unwiederbringlich, und weil dies einem jeden klar war, wurde auch pariert. Natürlich war dabei wenig Platz für Individualität oder gar Spontanität. Die Fotografien sahen meist unnatürlich und gestellt aus, es sei denn, man machte heimlich hinter dem Rosenstrauch Bilder vom Objekt seiner Begierde. Aber besser ein aufgesetztes Lachen als die zerknirschten Gesichter auf den Porträts irgendwelcher Vertreter von Adelsgeschlechtern. Die mussten bekanntlich oft stundenlang regungslos in ihren Herrscher-Posen verharren, bis der liebe Maler endlich den richtigen Pinsel oder die Farbe seiner Wahl gefunden hatte. Was war das noch für ein Nervenkitzel, wenn man die vom Filmstudio entwickelten Fotografien nach ein paar Tagen abholte. Man bekam einen verschlossenen Umschlag in die Hand gedrückt und konnte es kaum erwarten, diesen dann draußen aufzureißen, um zu schauen, welche Bilder „etwas geworden waren“. Wie oft war falsch belichtet worden, Aufnahmen waren verschwommen oder sonstwie unbrauchbar. Ärgerlich, aber beim nächsten Mal wusste man es besser.

      Klar, dass dies heutzutage keine Rolle mehr spielt. Man schaut sich das eben fotografierte Bild in der Kamera-Galerie an, entscheidet sofort, ob man die Aufnahme behalten oder löschen möchte. Zur Not kann man ja gleich noch eine Serie schießen … Mit dem Fotografieren ist es so wie mit vielen anderen Dingen – wenn die Ressourcen unendlich erscheinen wird geprasst, als gäbe es kein Morgen. Die Lieblingsfilme und Serien werden auf tragbare 3-TB-Festplatten gepresst und weil man ja stets auf dem neuesten Stand sein muss, und die Zeit knapp ist, kommt man immer seltener zum wiederholten Schauen. Ich kenne Leute, die mit einer privaten Musikbibliothek von über 100.000 Titeln prahlen. Hier gilt das Gleiche wie für Filme und Serien – vor lauter sammeln und archivieren kommt man kaum zum Konsumieren.

      Von meinem ersten Taschengeld kaufte ich mir auf Flohmärkten Langspielplatten, manchmal einfach nur, weil ich den Bandnamen toll oder das Album-Cover schrill fand. Stellte sich der Tonträger als unbefriedigendes Hörerlebnis heraus, wurde nicht lange geflucht, sondern tapfer so ausführlich und oft aufgelegt, bis man die Scheibe doch irgendwie ganz interessant fand. Schließlich war das Ding teuer gewesen und überhaupt – ich hatte nur ca. 50 Tonträger, und da konnte ich mir einfach keinen Flop leisten. Heute stehen einem Handybesitzer für gewöhnlich 32, 64 oder mehr Gigabyte zur Verfügung, und da sind Speichererweiterungen noch nicht einmal eingerechnet. Dementsprechend scheint es nicht wirklich eine große Rolle zu spielen, wie oft auf den Auslöser gedrückt wird – egal ob Foto oder Video. Die Leute besuchen heutzutage scheinbar nur noch Sehenswürdigkeiten, um ihre eigene Ablichtung des Events zu machen. Egal ob Naturspektakel oder Baudenkmal – Hauptsache das Ganze ist auf dem Speichermedium verewigt. So ziehen sie wie ferngesteuert weiter von einem Highlight zum nächsten.

      Das eigene Empfinden, das Verewigen des Bildes im Herzen und in der Großhirnrinde kommen dabei zu kurz. Man kann sich das Ganze schließlich immer und immer wieder auf dem Handy anschauen. Ähnliche Erfahrungen mache ich neuerdings auf Konzerten. Früher ging man zu Live-Auftritten, genoss die Stimmung und hatte insgesamt einen tollen Abend. Hatte man durch exzentrischen Alkoholgenuss am nächsten Tag keinen Kater, so blieb die Erinnerung an die Bühnenshow haften. Es gibt Bandauftritte von vor 25 Jahren, an die ich mich noch so gut erinnere, als wären sie erst gestern gewesen. Heute werden von jedem Musik-Erlebnis hunderte Bilder geknipst und sofort mit den sozialen Medien geteilt. Die Frage ist – wie viel von dem Bühnengeschehen bekommt man effektiv mit und was bleibt in Erinnerung? Man bringt sich selbst um das Vergnügen eines plastischen, nachhaltigen Andenkens. Das, was man auf dem Handy gespeichert hat, könnte man sich genauso gut hinterher auf YouTube anschauen oder als Blu-Ray bei MediaMarkt kaufen. Lasst uns weniger Bilder knipsen und öfter den Moment genießen.

      Denn auch hier stellt sich letztendlich wieder die alles entscheidende Frage: Wer schaut sich all diese Fotos überhaupt an? Steht die fürs Ablichten verwendete Zeit und Energie noch im Einklang mit der späteren Betrachtung? Kann man 1000 Bilder am Stück, von ein und dem selben Ereignis, betrachten, ohne gesundheitlichen Schaden zu nehmen? Nicht eingerechnet die Mühe, welche sich der wackere Filmer mit der anschließenden Nachbearbeitung seiner Meisterwerke gibt. Dutzende von Bildbearbeitungsprogrammen machen heutzutage aus den meisten Laien einen Künstler. Dabei reden wir hier nicht davon, sich auf Instagram lustige Katzenohren aufzusetzen, sondern um reine, unverfälschte Bild-Ästhetik. Farben verändern, Tiefenschärfe, ein paar Blitze im Hintergrund… Ein paar Pics, die man selbst unter die Rubrik „besonders wertvoll“ eingestuft hat, landen irgendwo in den sozialen Medien und werden von den 769 Facebook-Freunden pflichtbewusst geliked. Aber was ist mit den anderen 3000 Bildchen, die auf dem Speichermedium schlummern?

      Letzte Weihnachtsfeier. Dieter nimmt nach dem fünften Weißbier eine bemalte Dekorationskugel vom Tisch und hält sie von hinten über den Kopf von Heidi, der dickbrüstigen Sekretärin vom Chef. Da diese Aktion letztendlich auch schon den Höhepunkt der Weihnachtsfeier darstellen soll, beeilen sich sämtliche Kollegen, schnell ein Dutzend Bilder von diesem Highlight zu schießen. Wem soll man den Unfug aber später präsentieren? Wen interessiert so etwas? Fragen über Fragen. Im Alkoholrausch mag so eine Weihnachtskugel auf dem Kopf einer Kollegin vielleicht noch ganz witzig sein, aber nüchtern betrachtet?

      Vor Kurzem bereiste ich mit meiner Lebensgefährtin für ein verlängertes Wochenende den schönen Gardasee. Das Hotel, welches wir uns gemeinsam ausgesucht hatten, punktete auf sämtlichen Online-Bewertungsseiten mit einem „supertollen Frühstücksbüfett“. Auch wenn ich selbst nicht der größte Frühstücksfan des Planeten bin, so fiel die Entscheidung für besagtes Refugium vor allem wegen dieses Kriteriums. Uns erwartete tatsächlich ein wunderbares Büfett, das keine Wünsche offenließ. In der Mitte des Arrangements hatten sich die Kochkunsthandwerker etwas Besonderes einfallen lassen. Der wunderbare, saftige Serranoschinken wurde eingebettet in eine riesige Honigmelone, aus der die Profiköche einen Hahn geschnitzt hatten. Na klar war das Vieh ein echter Hingucker. Fast jeder der über 100 Frühstücksgäste flanierte zu besagtem Büfett und machte etliche Bilder von diesem Arrangement. Je länger ich dem unsäglichen Schauspiel beiwohnte, desto genervter wurde ich. Unsinnig zu erwähnen, dass ich bei dem Auflauf und Gedränge nicht einmal an den leckeren Schinken herankam.

      Gehört das Fotografieren der Gäste eigentlich zu meinen Service-Aufgaben? Ich tat mich schon früher schwer mit Dingen wie Zigaretten für den Gast besorgen. Klar ist das eine Service-Leistung und natürlich bin ich Mitarbeiter im Gastgewerbe. Mal abgesehen von der Tatsache, dass ich Nichtraucher bin, leuchtet es mir einfach nicht ein, wie man zu einem Restaurantbesuch ausreichend Rauchwerk vergessen kann. Die Geldbörse steckt man doch auch ein. Hinzu kommt noch die Bettelei nach Wechselgeld. Ein herkömmlicher Kellner ist im Idealfall mit einem festen Stock an Münzen ausgestattet, der schnell kleiner wird bei viel Kaffeegeschäft oder einer hohen Anzahl an Einzelzahlern. Kommen dann auch noch Gäste daher, die einen 10-Euro-Schein „klein gemacht“ wünschen, wird es langsam eng mit den Münzeinheiten. Besorge ich mir für die Arbeit Kleingeld bei meiner Hausbank, so rollt die Bankangestellte meist mit den Augen und grummelt: „Muss erst schauen, ob ich so viel da habe“. Besuche ich die Filiale