Rene Urbasik

Brennpunkt Gastronomie


Скачать книгу

Jahre war ich in einem Ausflugslokal angestellt. Im Sommer war es ein Highlight für jeden Gast, auf unserer riesigen Sonnenterrasse zu verweilen. Der Gästebereich umfasste drei Reihen, von der natürlich nur eine direkt am Wasser lag. Um die angeblich besten Tische in Seenähe gab es regelmäßig verbale und sogar körperliche Auseinandersetzungen. Wie oft bekamen wir schon bei der Reservierung zu hören, dass die Gäste in der ersten Reihe zu sitzen wünschten, andernfalls würden sie von einem Restaurantbesuch Abstand nehmen. Meistens quittierte die Geschäftsleitung diese frechen Forderungen mit einem „Danke für Ihren Anruf. Vielleicht versuchen Sie es mal in einem anderen Restaurant.“ Regelmäßig waren es Frauen, die sich vom Schicksal benachteiligt sahen, wenn ihnen ein Tisch in der zweiten Reihe zugewiesen wurde. Männer kämpfen eher um die angeblichen Elite-Plätze, um ihrer Partnerin zu imponieren oder endlich Ruhe zu haben von deren Quengelei. Während Er versucht, seine Begleiterin zu unterhalten, schaut diese oft mit der Aura einer Hydra zu den scheinbar Privilegierten und versucht, die Verweildauer der Tischbesetzer zu errechnen. Sollten diese dann endlich aufstehen, nutzt Madame die Gelegenheit, in der Gästehierarchie aufzusteigen. Mit ihren viel zu kleinen Sommerschuhen wetzt sie los und schleppt ihre persönliche Habe an den elitären Platz.

      Doch noch geschafft, endlich On the Top!

      Die Faulheit

      An dieser Stelle mag ich den Gästen keine negativen Eigenschaften andichten. Wenn Kunden lange sitzen bleiben und sich genüsslich im Mobiliar rekeln, hat das weniger mit Faulheit zu tun, sondern ist meist ein Zeichen dafür, dass sie sich wohlfühlen. So soll es sein!

      Faul sind eher die Herren und Damen von der Service-Front. Alle zehn Minuten verschwinden sie in den Raucherbereich und tippen auf ihren Smartphones herum, während die armen Gäste fast umkommen vor Durst.

      Schämt Euch!

OEBPS/images/image0005.png

      Ganz in Weiß Teil 1

      Neulich nahm mich eine Bekannte mit auf eine Hochzeitsmesse. Das war das erste mal, dass ich eine solche Ausstellung besuchte. Natürlich war ich zuvor schon über allerlei Anzeigen für Events dieser Art gestolpert und konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Hochzeitsmessen gerade wie Pilze aus dem Boden sprossen. Warum war das eigentlich so? Mir fielen noch zwei weitere Expositionen ein, welche meiner persönlichen Einschätzung nach gerade total angesagt waren.

      Das waren zum einen Erotik-Messen, die ich dutzendfach plakatiert auf meinem Weg zur Arbeit vorfand und zum anderen Tattoo- und Piercing Darbietungen. Klar, Sex geht immer und die Körperkunst war nicht länger exklusive Domäne von alternativ lebenden Jugendlichen. Von der gelangweilten Hausfrau bis zu fidelen Senioren konnte man bei Besuchen im Freibad mehr oder weniger gelungene Haut-Verschönerungen entdecken.

      Aber warum zum Teufel schien es jede Kleinstadt plötzlich nötig zu haben, für Hochzeiten zu werben? Ging dem eine Offensive unseres Familienministers voraus, der sich von Ehelichungen mehr Nachwuchs für das gebärfaule Deutschland versprach? Auch erschloss sich mir nicht ganz, warum besagte Bekannte ausgerechnet mich zu diesem Event mitschleifen wollte. Wahrscheinlich hatte sie doch jede Menge Freundinnen, die sich kaum einkriegten beim Anblick von Brautuniformen und Hochzeitstorten. Die zu jeder Frage rund um den großen Tag einen zweistündigen Monolog zu leisten vermochten. Stattdessen hatte sie mich auserkoren – einen alten Brummbär, der außer „Aha“ und „So so“ keinen wirklich kreativen Beitrag abzugeben vermochte. Da wir uns schon einige Zeit kannten, dürfte ihr auch ein gewisser Zynismus und Affinität gegen die sogenannten gesellschaftlichen Werte nicht entgangen sein, die mir anhafteten.

      Sei es drum – da waren wir – schlurften durch die Gänge der angenehm temperierten Messehalle und blieben bald hier, bald da stehen, um sich mit den neuesten Spleens zum Thema „Heirat“ vertraut zu machen. „Ganz in Weiß“ – innovativer konnte der Name der Veranstaltung gar nicht klingen. Aus sämtlichen Lautsprechern erklangen schwülstige Musik-endlos-Schleifen aus den Soundtracks der schlimmsten Love Storys der vergangenen 50 Jahre. Ach, wäre das ein Segen, wenn sich zwischen all den stereotypen Noten, plötzlich Klänge von Heavy-Metal-Bands gesellen würden. So einige Herren würden vorsichtig headbangen, während ihre Partnerinnen ein dezentes Schmollmündchen aufsetzen würden. Man darf ja wohl noch einmal fabulieren. Natürlich blieb es bei sanften Melodien, Harfen-Klängen und ganz viel Piano!

      „Du Franzi, ich muss mal kurz ´ne Pause machen und mich setzen. Du weißt schon, die alte Verletzung.“ Damit blieb ich abrupt stehen. Meine Begleiterin setzte ein sorgenvolles Gesicht auf und seufzte: „Ach herrje, hoffentlich ist es nicht so schlimm.“ Ich verzog mein Antlitz zu einer angespannten Grimasse: „Wird schon gehen. Brauche nur mal ein Päuschen. Du kannst ruhig schon weiter gehen. Liest mich halt auf dem Rückweg wieder auf und dann gehen wir noch irgendwo lecker einen Cappuccino trinken.“ Franzi strahlte über das ganze Gesicht. „Okay. So machen wir das. Gute Besserung.“ Sie entschwand.

      Was jetzt genau solch ein herzliches Strahlen in ihr Gesicht gezaubert hatte, ließ sich nicht exakt bestimmen – die Aussicht auf einen Cappuccino oder endlich mal für eine Weile von mir alten Miesepeter befreit worden zu sein. Egal – mir war es nur recht. Selbstverständlich war die Sache mit der Pause eh lediglich eine Flunkerei gewesen. Es gab keine alte Verletzung, hatte es auch nie gegeben. Wann immer ich die „schlimme Verletzung“ aus dem Keller meiner kleinen und großen Notlügen hervorkramte, zuckten die Damen unwillkürlich zusammen und ließen mir meinen Willen. In der Regel fragten sie auch gar nicht nach, was es damit auf sich hatte. Nur zwei Mal hatte ich das Pech, mit Frauen aus der Gesundheitsbranche verbandelt zu sein. Die wollten es aber so was von genau wissen. Wie passiert? Wie behandelt? Konservativ oder Operation? Örtlich oder Ambulant? Welche Medikamente? Reha oder Bettruhe? Behandelnder Arzt, Physiotherapeut etc. Puh, da redete ich mich jedes Mal um Kopf und Kragen … Aber ich schweife ab.

      Ich schaute mich um und mein Blick fiel auf einen Tresen, hinter dem eine ordentlich herausgeputzte, junge Dame stand und nach potenziellen Kunden Ausschau hielt. Dem Schriftlaut über ihren Papptresen entnahm ich, dass sie für Brautmode warb. „1200 Hochzeitskleider“. Aha. Der Schausteller neben ihr offerierte Brautschmuck und Accessoires. Nur fünf Meter entfernt lud ein gut aussehender Mittvierziger die Kunden zur Erkundung von Dekoration und Ambiente ein. Dazwischen Probier-Stände für Kanapees und Aperitifs und ein paar Hobby-DJ´s, die den Umherflanierenden ihre Visitenkarten aufdrängten. Grell geschminkte Schulmädchen besserten sich ihr Taschengeld auf, in dem sie den Klienten Prospekte zum Thema „Hochzeitskutschen“ oder „Film und Video“ zusteckten. ´An alles ist gedacht´, grummelte es in meinem Kopf ´nur wo sind hier die wahren Profis? Die sogenannten Wedding-Planer, die Event-Manager. Nicht etwa die Schaumschläger, die nur auf den Zug aufsprangen, um sich auf die Schnelle ein paar Euro zu verdienen an der Insuffizienz der Heiratswilligen´.

      Ich hatte in meiner gastronomischen Laufbahn so viele Hochzeiten erlebt und dabei Dinge gesehen, die mir den Wunsch selbst zu heiraten, für immer gründlich ausgetrieben haben. Traumatische Erlebnisse mit ganz viel Fremdschämen und noch mehr Kopfschütteln über Tonnen an Dilettantismus. Wie vielen der frisch Vermählten hätte ich nur zu gerne an ihrem großen Tag einen professionellen Berater an die Seite gestellt, der Zeitplan und Ablauf der Hochzeitsfeier überwachte. Sollten die Dinge drohen aus dem Ruder zu laufen, würde dieser Wedding Sentinel korrigierend eingreifen und Steine aus dem Weg rollen, die gerollt werden mussten. Alles zum Wohl der Brautleute und ihres Anhanges. Es gab etliche dieser Rolling Stones.

      In der Regel fängt immer alles total harmlos an. Sybille und Thorsten haben sich ganz dolle lieb, trotz oder gerade wegen ihrer bescheuerten Vornamen. Nach gemeinsamer Wohnung und eventueller Nachwuchsplanung kommt Thorsten dann mit einer Heiratsantrags-Inszenierung daher, der die Angebetete nicht widerstehen kann. An dieser Stelle bereits möge man den beiden wünschen, sie würden für „den großen Tag“ ähnlich viel Sorgfalt an den Tag legen, wie Thorsten bei seinem Antrag.

      Gut, die Sache mit dem Heißluftballon, nebst aufgedruckten „Marry me“, hatte er bei „Ausgefallene Heiratsanträge - romantisch und überzeugend“ stibitzt, aber wie heißt es doch so schön – besser gut geklaut als schlecht neu erfunden. Sybille sagt mit Tränen