Dann hob sie den Kopf und sah Miller fest in die Augen. »Alles andere wäre eine Unterstellung.«
Offensichtlich war das nicht die Antwort, die der Staatsanwalt sich erhofft hatte, doch er nickte und trat einen Schritt zurück. Sein Mund glich einer schmalen Linie. »Keine weiteren Fragen mehr, Euer Ehren.«
»In Ordnung«, nickte Richter Nelson. »Mr. Larsson? Ihre Zeugin.«
Janes und Diegos Pflichtverteidiger stand ruckartig auf, sodass sein Stuhl laut über den Boden kratzte. »Danke, Euer Ehren.« Vorne angelangt, stellte er sich freundlich lächelnd vor die Sitze der Geschworenen. »Auch von meiner Seite einen schönen guten Morgen an Sie, geschätzte Damen und Herren.« Er drehte sich zu Barbara, jedoch nicht, ohne sein Lächeln zu verlieren.
»Miss Willow, mein Kollege hat mit Ihnen bereits über die Persönlichkeit meiner Mandantin gesprochen. Was können Sie uns denn zu meinem Mandanten, Mr. Torres sagen?«
Barbara Willow überlegte. »Ich habe nie direkt mit ihm zusammengearbeitet. Zwar war er auch für kleinere Tätigkeiten im Haus zuständig, aber die meiste Zeit verbrachte er im Garten. Trotzdem hat er so gut wie jedes Mal mit uns, also mit seinen Kollegen, zu Mittag gegessen. Er ist sehr aufgeschlossen und hat uns oft zum Lachen gebracht. Seine Art Geschichten zu erzählen ist einzigartig lustig.« In Erinnerungen schwelgend blickte sie ins Leere.
»Was war mit dem vorigen Gärtner passiert?«
»Mr. Hall hat ihn gefeuert. Es war ein älterer Mann, der bereits lange Jahre auf dem Anwesen gearbeitet hatte. Doch der Chef war mit seiner Arbeit nicht mehr zufrieden gewesen. Der Garten sah verwahrlost aus. Fast so, als würde sich niemand mehr darum kümmern.«
»Finden Sie, dass Mr. Torres sein Handwerk versteht?«
Bevor sie antwortete, blies Barbara die Wangen auf und ließ die Luft dann geräuschvoll entweichen. »Tut mir leid, das kann ich nicht beurteilen. Er ist noch sehr jung, aber einer von den Kollegen hatte mal angedeutet, dass er bereits viel Erfahrung hat. Wenn ich es mir recht überlege, hat man nach ein paar Wochen sogar eine deutliche Besserung bezüglich der Pflanzen im Garten sehen können.«
»Und dies hier ist der Schuppen mit den Geräten für den Garten. Erde und Dünger sind dort neben dem Regal. Die Schubkarre steht unter dem Vordach hinter der Garage.«
Die Haushälterin der Halls, Annette Philipps, wies mit präsentierender Geste in den Holzverschlag und beobachtete Diegos Reaktion. Sie wirkte streng mit ihrem akkuraten Aussehen. Ihre dunkelbraunen Haare hatte sie am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden und trug eine makellos weiße Schürze über ihrem marineblauen Kleid.
Diego nickte zufrieden und ließ den Blick schweifen. Alles sah gepflegt aus, die elektronischen Geräte wie der Rasenmäher und der Häcksler schienen so gut wie neu zu sein.
»Gefällt mir. Fast zu schön, um wahr zu sein, bei dem Gehalt. Wo ist der Haken?«, fragte er und lachte kurz auf. Lächelnd sah er die Angestellte an, die ihm das Grundstück sowie das Haus zeigen sollte, wo er in Zukunft möglicherweise seiner Tätigkeit als Gärtner nachkommen würde. Die Frau versuchte sich ebenfalls an einem Lächeln, doch es scheiterte kläglich.
»Es gibt keinen Haken«, antwortete sie und knetete ihre Hände. Sie mied Diegos Blick. »Abgesehen davon, dass der Garten eine wirkliche Herausforderung ist. Mr. Hall war sehr unzufrieden mit dem letzten Gärtner, den er angestellt hatte. Er hat den Garten mehr und mehr verkommen lassen. Doch wenn alles gut läuft und Sie die Probezeit überstehen, wird er Ihnen sicherlich einen festen Arbeitsvertrag vorlegen.«
»Was meinen Sie mit Herausforderung?«, wollte Diego wissen. Er hatte zwar die Hofauffahrt gesehen, aber außer einer Menge Unkraut war ihm nicht viel Negatives aufgefallen. Er musste zugegeben, dass der Rosengarten von weitem ziemlich ausgedörrt aussah. Doch er wusste aus eigener Erfahrung, dass das schnell passierte, wenn man sich bei der Hitze nicht ausreichend um die Pflanzen kümmerte.
Anstatt zu antworten winkte ihn Mrs. Philipps mit sich. Gemeinsam gingen sie auf das Haupthaus zu. Vor der Fassade waren vereinzelt Blumen gepflanzt, außerdem Efeu, der sich einen Weg das Haus empor bahnte. Auch hier sahen die Blätter gelblich und trocken aus. Einige hatten sogar schwarze Flecken. Fast so, als wären sie mit einem Feuerzeug angesengt worden.
»Ach übrigens«, begann Annette Philipps. »Die optionalen Hausmeister-Aufgaben, die in der Stellenausschreibung erwähnt wurden – wäre das für Sie in Ordnung, die ebenfalls zu übernehmen?«
»Stimmt, da stand etwas zu Reparatur- und Ausbesserungsaufgaben. Also, wenn es sich im Rahmen hält, ist das für mich kein Problem.«
»Auf jeden Fall«, nickte Mrs. Philipps. »Es sind nur kleine Aufgaben, wie Leuchtmittel austauschen, Flüssigkeiten bei der Heizung prüfen. Solche Sachen eben. Und auch nicht im ganzen Haus. Der Westflügel zum Beispiel wird von dem normalen Personal nie betreten.«
»Tatsächlich?« Diego warf einen Blick auf die Seite des Hauses, auf das die Haushälterin deutete. Es sah nicht anders aus, als der Rest des Gebäudes.
Mrs. Philipps nickte. »Ja. Der Chef hat es vor Jahren angeordnet, und dabei ist es geblieben.«
Auf der Rückseite des Hauses angekommen blieb Diego stehen, schockiert von dem Anblick.
Vor den beiden erstreckte sich eine riesige Gartenanlage. Große Felder für Gemüsepflanzen, einige Obstbäume und ein großzügiger Kräutergarten. Allerdings wirkte alles komplett vertrocknet, vollkommen verbrannt. Noch nie hatte Diego gesehen, dass die Sonne so etwas mit Pflanzen machen konnte.
»Himmel«, entfuhr es ihm. »Wird hier denn nicht regelmäßig gegossen?«
»Doch doch«, versicherte Mrs. Philipps. »Der Garten sah nicht immer so aus. Es fing erst vor ein paar Monaten an. Der Zustand wurde zunehmend schlechter. Unser langjähriger Gärtner war zwar etwas schrullig und in die Jahre gekommen, doch er war noch immer ein Meister seines Fachs. Trotzdem bekam selbst er die Pflanzen nicht mehr in den Griff. Das ist mit ein Grund, warum Mr. Hall die Stelle ausgeschrieben hat.«
Diego nickte. Dieser Garten würde ihn definitiv an seine Grenzen bringen. Doch er war sich sicher, dass er der Aufgabe gewachsen war.
Mrs. Philipps wandte sich in Richtung Herrenhaus. »Und jetzt stelle ich Ihnen Mr. Hall vor. Er will mit allen neuen Angestellten reden, bevor er den Arbeitsvertrag bespricht. Ich frage bei ihm nach, ob es ihm gerade passt, dann könnten Sie direkt ab Montag beginnen.«
Kapitel Drei
»Hatten Sie den Eindruck, Mr. Torres hat die Stelle aus einem bestimmten Grund angenommen? Mit einem Hintergedanken?«
»Sie meinen, abgesehen von der guten Bezahlung? Darüber habe ich nie nachgedacht.«
»Dann tun Sie es bitte jetzt«, bat Larsson. »Würden Sie Mr. Torres zutrauen, dass er bei Mr. Hall anfangen wollte, weil er sehr wohlhabend war? Weil es, abgesehen von dem regulären Gehalt, Geld zu holen gab? Oder aber, weil er durch einen Trick Mrs. Hall ihrem Mann ausspannen wollte?«
Irritiert zog Barbara die Augenbrauen zusammen. »Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich kann mich an ein Mittagessen erinnern, an dem er uns nach Mrs. Hall gefragt hat. Offensichtlich hatte er überhaupt keine Ahnung davon gehabt, in welchen Familienverhältnissen sein Chef lebte.«
Eine Woche war vergangen, seit Diego seinen ersten Arbeitstag auf dem Anwesen von Mr. Hall angetreten hatte. Er musste sich daran gewöhnen, dass alle, auch die Kollegen, sehr verschlossen zu sein schienen. Normalerweise war er anders, doch er versuchte, sich anzupassen. Mittlerweile hatte er das Gefühl, ein gutes Verhältnis zu den Kollegen aufgebaut zu haben. Seiner Meinung nach bemerkenswert für die kurze Zeit.