Rabea Blue

Saving Rapunzel


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zu ihr herunter, sodass sein Gesicht nur noch Zentimeter von ihrem Ohr entfernt war.

      »Du weißt ganz genau, dass ich sie finden werde. Und wenn ich hier alles kurz und klein schlagen muss. Ich rate dir dringend, es mir zu sagen. Andernfalls habe ich kein Problem damit, jedes Buch, jedes Bild an der Wand, jedes von dir genähte Kissen, einfach auf einen Haufen zu werfen und zu verbrennen.«

      Verzweifelt begann Jane zu weinen. Sie sank auf die Knie.

      »Die Heulerei hilft dir auch nicht weiter«, brüllte Theodore. Erneut stampfte er zur Schrankwand. Mit einer Hand griff er hinter die Reihe mit den Büchern und schleuderte sie aus dem Regal. Dann riss er alle Schranktüren auf, zerrte Janes Kleider heraus und warf sie auf den Boden. Mit dem Fuß fühlte er darin herum, fand aber nicht das, wonach er suchte. Er öffnete sämtliche Schubladen im Raum, zog sie mit Wucht aus den Schienen und leerte sie auf dem Teppich aus.

      »Wo hast du Kassandras Sachen?« Theodores Augäpfel quollen vor Wut fast aus den Höhlen, als er seine junge Frau anstierte. Jane weinte lauter, zuckte regelrecht, so sehr wurde sie von den Schluchzern geschüttelt. Sie wusste, was ihr bevorstand.

      Als ihr Mann mit ihr fertig war, lag Jane auf dem Boden, nach Luft japsend. Ihre Wange schmerzte, ihr dünner Oberarm war rot verfärbt, so heftig hatte er sie gepackt. Heiße Tränen liefen ihr Gesicht hinab.

      Theodore hatte ihr Geheimversteck hinter dem Schrank im Hobbyraum gefunden. Doch es hatte lange gedauert, bis sie ihm gestanden hatte, wo sie die Bücher und Hefte versteckt hatte. Ihre Zimmer sahen aus, als hätten Diebe nach Geld und Schmuck gesucht. Jemand vom Personal würde sich darum kümmern, da war sich Jane sicher. Doch in ihrem Inneren? Wer würde die Zerstörung dort beseitigen?

       Kapitel Sechs

      »Als zweiten Zeugen möchte ich den Mann aufrufen, den ich hauptsächlich vertrete«, verkündete Jeffrey Miller. »Mr. Samuel Jones.« Alle Anwesenden beobachteten, wie sich ein grauhaariger Mann vom Tisch der Ankläger erhob. Obwohl er einen Gehstock mit sich führte, schritt er mit aufrechter, selbstbewusster Körperhaltung zur Vereidigung und danach in den Zeugenstand.

      Mit selbstsicherer Haltung baute sich der Anwalt vor seinem Mandanten auf.

      »Danke, Mr. Jones. Sie sind nun seit fast sechzig Jahren Mitglied des Alten Kreises. Seit beinahe dreißig sogar im Vorstand. Damit die Geschworenen besser verstehen, um was es genau geht, möchte ich Ihren Verein näher beleuchten. Immerhin hat er einen wichtigen Teil des Lebens von Mr. Hall eingenommen.«

      Er wartete ein bestätigendes Nicken von Seiten Mr. Jones‘ ab und fuhr fort. »Zu Beginn eine in meinen Augen recht einfache Frage: Wie würden Sie selbst, als Vorstandsmitglied, den Alten Kreis beschreiben?«

      Der Mann räusperte sich. »Unseren Verein gibt es schon seit vielen Jahrzehnten. Genau genommen sind unsere Gründungsmitglieder eine Handvoll Männer gewesen, die die gleiche Denkweise, dieselbe Einstellung zu gewissen Dingen hatten. Jeder von ihnen betätigte sich in einem unterschiedlichen beruflichen Bereich, und so bildete sich ein Netzwerk aus Gleichgesinnten, die sich gegenseitig unterstützten. Zum Beispiel haben wir Lieferanten, Handwerker, Banker, Künstler, Ärzte. Die Liste lässt sich beliebig fortführen. Mittlerweile sind wir riesengroß geworden. Fast könnte man meinen, wir wären eine riesengroße Familie.« Er lachte herzhaft über seinen Vergleich. »Wir verfolgen zahlreiche wohltätige Zwecke. Viele von uns haben sich in Kinderheimen des Vereins kennengelernt, kennen sich also schon seit Sandkasten-Tagen. Unser Zusammenhalt untereinander ist sehr stark, aber wir haben auch unsere eigenen Regeln. Außenstehende betrachten uns oft als altmodisch und rückschrittlich. Manche nennen uns eine Sekte. Deswegen hängen wir die Existenz des Alten Kreises nicht mehr an die große Glocke. Kaum jemand weiß, dass es uns gibt.«

      »Herzlich willkommen zu der diesjährigen Abschlussfeier«, tönte die Stimme des Vorstandsvorsitzenden Samuel Jones durch die Halle. Jane versuchte sich umzusehen, ohne ihren Kopf zu bewegen. Die Aufseherinnen würden jede mangelhafte Haltung sofort bemerken.

      Der ganze Saal war gefüllt. Trotzdem war es so still im Raum, dass Mr. Jones kein Mikrofon brauchte. Akkurat in einer Reihe liefen etwa dreißig junge Männer auf die Bühne und stellten sich hinter ihm auf.

      »Der aktuelle Jahrgang lässt auf viel hoffen«, fuhr Jones fort und präsentierte die Abgänger, die allesamt in Anzüge gekleidet waren. »Die Jungen, Verzeihung, die jungen Herren bessergesagt, haben die Abschlussprüfungen mit sensationellen Noten bestanden. Auch in den mündlichen Prüfungen überzeugten sie voll und ganz.«

      »Mal sehen, was für Lobhuldigungen er sich diesmal wieder einfallen lässt«, hörte Jane ein Flüstern zwei Reihen vor ihr. Es waren zwei Jungen, die in etwa in ihrem Alter sein mussten.

      »Ja genau«, pflichtete der zweite ihm bei. »Letztes Jahr bei meinem Bruder hat er ja gar nicht mehr aufgehört, seine mathematischen Fähigkeiten zu loben. Echt peinlich.«

      »Ruhe«, zischte einer der Lehrer der Jungenschule. »Ihr werdet nächstes Jahr auch froh sein, wenn der Vorstand euch an ein Top-Unternehmen vermitteln kann. Da solltet ihr nicht undankbar sein.«

      An der Seitenwand des Saals standen mehrere Männer. Viele von ihnen hatten bereits ein fortgeschrittenes Alter. Sie klatschten höflich und lächelten, wenn Jones in ihre Richtung sah. Doch immer wieder zuckten ihre Blicke prüfend in die erste Reihe.

      Von ihrem Platz aus konnte Jane sie zwar nicht sehen, doch sie wusste, wer dort saß. Die ältesten Mädchen aus ihrer Schule, die die letzte Klasse, genauso wie die Jungen auf der Bühne, abgeschlossen hatten. Auch sie erzielte hervorragende Noten, das hatte sie mitbekommen. Doch erwähnt wurde dies nie. In all den Jahren, in denen Jane bei den Abschlussfeiern zugesehen hatte, wurden stets nur die männlichen Absolventen aufgerufen.

      »Beginnen wir mit Kenneth Doyle«, rief Jones gerade und zog einen dürren Jungen aus der Reihe der Absolventen. Freundschaftlich legte er ihm einen Arm um die Schultern. »Diesen jungen Herren mussten die Lehrer regelrecht bremsen, sonst hätten die Lehrbücher für ihn gar nicht gereicht, so wissbegierig war er. Das führte dazu, dass er sich aus der Liste der Top-Unternehmen aussuchen konnte, wo er von jetzt an arbeiten will. Ich bin froh, mitteilen zu können, dass er zukünftig als Wirtschaftsprüfer arbeiten wird.«

      Tosender Applaus. Jones vollführte eine kleine Verbeugung, umarmte Kenneth und drückte ihm sein Zeugnis in die Hand. Dann nahm er sich nach und nach die anderen in der Reihe vor. Über jeden sagte er ein paar Worte und freute sich überschwänglich, einen angehenden Arzt, Juristen oder theoretischen Physiker in den Reihen des Alten Kreises begrüßen zu dürfen.

      Als der letzte Absolvent die Bühne verlassen hatte, ließ er alle Anwesenden minutenlang klatschen. Mit Tränen in den Augen sah er den Jungen hinterher, als würden sie in den Krieg ziehen.

      Prompt herrschte Aufbruchstimmung. Die Erzieher erhoben sich, woraufhin auch die jüngeren Schüler und Schülerinnen von ihren Sitzen aufstanden. Bevor Jane aus dem Raum ging, konnte sie gerade noch erkennen, wie Jones von der Bühne aus den Männern zunickte, die am Rande des Saals standen. Daraufhin gingen sie auf die Mädchen in der ersten Reihe zu und packten sie am Arm, um sie aus dem Gebäude zu führen. Worte wurden dabei nicht gewechselt. Es sah fast so aus, als wären sie Verbrecher, die von Polizisten abgeführt würden.

      Keine der Absolventinnen der Vorjahre hatte Jane jemals wieder bei einer Veranstaltung des Alten Kreises gesehen. Ob das ein gutes Zeichen war, wusste sie nicht. Doch sie würde es in drei Jahren selbst erleben, wenn sie die Schulzeit beendete.

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