Elke Schwab

Mord ohne Grenzen - Elsass-Krimi


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      „Das habe ich mir gedacht“, erwiderte der große Mann mit einem amüsierten Grinsen. Bevor er noch etwas anfügen konnte, sprach Tanja hastig weiter: „Es stört Sie doch hoffentlich nicht, wenn ich an Frau Radecks Stelle Ihre Fragen beantworte?“ Auf das Schweigen des Commandants fügte sie erklärend an: „Sie fühlt sich nicht gut.“

      „Sind Sie, wie sagt man bei Ihnen, l’infirmière?“

      „Nein, das bin ich nicht“, stellte Tanja klar und warf trotzig ihre langen, dunklen Haare zurück. „Ich bin nicht Sabines Pflegerin, ich bin Tanja Gestier, Kriminalkommissarin der Landespolizeidirektion Saarbrücken.“ Sie trug extra dick auf, in der Hoffnung, dass es gut klang. Aber schon der nächste Satz machte ihr klar, dass der Commandant durch diese Äußerung nicht zu beeindrucken war.

      „Von meiner Dienststelle in Strasbourg ist mir nichts über eine Verbindungsbeamtin aus Saarbrücken mitgeteilt worden.“

      „Verbindungsbeamtin?“ Tanja ahnte, dass sie mit dieser Frage ihre Unwissenheit verraten hatte. Aber jetzt war sie heraus.

      „Die Stimme aus Deutschland?“

      „Die Stimme aus Deutschland“, wiederholte Tanja begriffsstutzig.

      „Wir haben es hier mit einem Verbrechen in Frankreich zu tun, dessen Opfer aus Deutschland stammt“, erklärte er endlich genauer.

      Jetzt verstand Tanja. Wenn sie sich weiter so anstellte, konnte sie ihren Einsatz in Frankreich schnell wieder vergessen.

      „Ihre Kollegen haben wohl noch nichts über meine Rolle in diesen Ermittlungen erfahren“, bluffte Tanja in ihrer Not.

      „Oh. Le Juge d’Instruction hat sich bereits über den Fall informiert. Ich werde ihn wohl über sein Versäumnis aufklären müssen.“

      „Wer ist der Juge d’Instruction?“ Tanja ahnte Schlimmes.

      „Der Untersuchungsrichter, der das Verfahren überwacht.“

      Der große Mann grinste immer noch. Dabei zogen sich seine vollen Lippen auf der linken Seite nach oben, was anzüglich wirkte. Tanja bemühte sich, diesen Ausdruck zu übersehen. Besser war es, sich jetzt darum zu kümmern, dass ihr der Fall nicht aus den Händen glitt. Und das konnte ihr nur gelingen, indem sie umgehend nach Saarbrücken fuhr. Dort musste sie alle Hebel in Bewegung setzen, um als Verbindungsbeamtin eingesetzt zu werden. Nur welche Hebel waren dafür nötig? Sie fühlte sich so hilflos, kannte sich mit den Regelungen der deutsch-französischen Zusammenarbeit der Polizei nicht aus.

      „Ich muss zuerst nach Hause fahren, bevor ich hier mit meiner Arbeit beginnen kann“, erklärte sie so lässig, wie es ihr gerade möglich war.

      „Wirklich?“ Wieder dieses Grinsen.

      „Ja. Warum?“

      „Als Verbindungsbeamtin sind Sie hier unentbehrlich.“

      Jetzt nahm er sie auch noch auf die Schippe. Tanja kochte innerlich. „Keine Sorge. Ich werde zurückkommen.“

      „Lassen Sie mich nicht zu lange warten.“

      „Was wird hier gespielt?“, fragte Sabine dazwischen. „Ich kann es nicht fassen. Annabels Leben ist in Gefahr und Sie haben nichts Besseres zu tun, als meine Freundin anzubaggern.“

      Erschrocken wich Jean-Yves Vallaux zurück. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Er hob beide Hände als Entschuldigung, doch diese Geste sah Sabine nicht mehr. Sie brach in Tränen aus, ging zu Boden und schüttelte sich vor Weinkrämpfen.

      „Am besten fahre ich sofort los und kümmere mich um alles.“ Tanja beugte sich erschrocken zu ihrer Freundin herunter und meinte: „Du musst zu einem Arzt gehen. Du brauchst etwas zur Beruhigung.“ An den Commandant gewandt fragte sie: „Gibt es in Potterchen einen Arzt?“

      „Nein. Der Nächste ist in Sarre-Union. Und ich bezweifle, dass der noch erreichbar ist.“

      „Dann komm mit mir nach Saarbrücken“, schlug Tanja vor.

      „Nein. Ich bleibe hier“, stellte Sabine klar.

      6

      Im Büro der Kriminalpolizeiinspektion in Saarbrücken herrschte eine Betriebsamkeit, die Tanja sofort das Schlimmste ahnen ließ. Sollte dort die Hölle los sein, würde sie niemals die Möglichkeit bekommen, im Elsass nach der Tochter ihrer Freundin zu suchen.

      Milan Görgen, ihr Teampartner, sah sie als Erster. Sofort sprang der Kollege von seinem Platz auf und eilte ihr entgegen. „Unser Dienststellenleiter fühlt sich auf den Schlips getreten, weil du eine ausländische Behörde auf ihn losgelassen hast, ohne ihn vorzuwarnen.“

      „Ich habe was?“ Tanja verstand gar nichts.

      „Die Kripo in Strasbourg hat sich bei ihm gemeldet und nach der Entsendung einer Verbindungsbeamtin namens Tanja Gestier gefragt.“ Milan grinste, wodurch seine lange Nase noch länger wirkte und sein ganzes Gesicht mehr an einen Lausbuben, denn an einen erwachsenen, fast fünfzigjährigen Kriminalkommissar denken ließ.

      Tanja stieß die angehaltene Luft aus. Dieser Mistkerl von Commandant. Er hatte sie ins offene Messer rennen lassen.

      Sie steuerte ihr Büro an.

      „Deine Kaffeemaschine muss zurzeit für den Abteilungskaffee herhalten“, rief Milan und folgte ihr. „Der Automat ist kaputt.“

      „Das heißt also, dass ich mir jetzt einen Kaffee holen kann. Das ist alles, was mich gerade interessiert.“

      „Was ist im Elsass passiert?“

      Tanja schenkte sich in. Sie fühlte sich aufgewühlt. Leider schaffte es der Kaffee nicht, diesen Zustand zu mildern. Im Gegenteil. Sie verhaspelte sich ständig, während sie versuchte, Milan die wenigen Einzelheiten mitzuteilen, die sie bisher in Erfahrung gebracht hatte.

      „Es geht dir also nur um einen Freundschaftsdienst?“

      „Für mich ist es mehr“, murrte Tanja. „Die Tochter meiner Freundin ist im gleichen Alter wie Lara. Sie ist in einem fremden Land spurlos verschwunden. Da kann ich nicht einfach stillsitzen und hoffen, dass alles gut ausgeht.“

      „Aber in Frankreich gibt es doch auch Polizei.“

      „Klar. Aber Sabine vertraut mir mehr als denen.“

      „Dazu kann ich dir nichts sagen. Mit der Arbeit der französischen Polizei kenne ich mich nicht aus“, gestand Milan.

      „Ich auch nicht.“

      „Das merkt man.“ Milan lachte. „Wie es aussieht, hast du bereits einen Fehlstart hingelegt. Übergangen zu werden, findet unser Vorgesetzter nämlich nicht so toll.“

      Kaum hatte er ausgesprochen, wurde die Tür schwungvoll aufgestoßen. Dieter Portz trat mit einer Miene ein, die nichts Gutes verhieß.

      „Warum stellst du mich vor vollendete Tatsachen?“, fragte er anstelle einer Begrüßung. Er lehnte sich an den Türrahmen, verschränkte die Arme vor der Brust und wippte mit seinem rechten Fuß, eine Angewohnheit, die immer dann zutage trat, wenn er nervös war. Mit seinen stechend blauen Augen fixierte er Tanja, zeigte mit dem Zeigefinger auf sie und antwortete selbst: „Weil ich dann zustimmen muss, wenn ich mein Gesicht nicht verlieren will.“

      Tanja wurde ganz heiß. Mit brüchiger Stimme fragte sie: „Was heißt Gesicht verlieren?“

      „Was glaubst du, wer mich über die eigenmächtigen Handlungen meiner Mitarbeiterin in Frankreich aufgeklärt hat?“, stellte Portz in schneidendem Ton eine Gegenfrage. „Nicht Tanja Gestier, wie es der vorgeschriebene Dienstweg wäre. Nein. Der Commissaire Divisionaire von Strasbourg. Und weißt du, was der Commissaire Divisionaire für einen Dienstgrad besitzt? Kriminaldirektor.“

      Tanja staunte darüber, in welchen Ebenen der Fall von Annabel Radek in Frankreich gelandet war. Eigentlich ein gutes