Friedrich Wulf

Taten ohne Täter


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stehen, reizt sie ihren Gatten. Sie würd’s tun, wenn sie’s versprochen hätte. Sie würde, während es sie anlächle, ihr Baby von der Brust reißen und ihm das Hirn an der Wand herausschlagen, hätte sie es versprochen. Ich bin mal gespannt, wie sie die Figur anpassen werden. Die Gruppen kamen gut voran, die Ergebnisse wuchsen.

      Ich fuhr zur Hecke, sackte mit den Rollen in den weichen Boden dahinter und erleichterte mich. Schwerfällig mit flappenden Flügelschlägen hoben Krähen sich vom gepflügten Acker in den septemberwarmen Nachmittag. Im Sommer fielen sie nicht so auf. Nur wenn sie hartnäckig einen Milan oder Bussard attackierten mit lautem Gezeter. Zeichen waren sie in jener Geisterwelt bei Shakespeare; alles konnte dort zum orakelnden Zeichen werden: die Eule den Falken jagend, die gebrochene Deichsel so gut wie das Jammern der Katzen unterm Mond. Die zirpende Grille kündete vom Tod. Und die Folge? Gebete, Fürbitten, Hexenverbrennungen, Wallenstein, der Untergang ganzer Imperien. Meine Gedanken wanderten wieder zurück zum Macbeth-Kurs.

      „Soll ich zum Kindermörder werden?“ rief ich nach der Pause in die unruhige Klasse. „Wir sind keine Kinder!“ „Ich will auch kein Mörder werden, obwohl der die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Menschen hat.“ Jetzt habe ich sie, dachte ich und war zufrieden. „Gibt es etwas Schöneres als die absolute Aufmerksamkeit? Ja, Rick?“ „Die ist absolut nervig. Die Idee kann nur einem frustrierten Paukerhirn entspringen, eine Déformation professionnelle sozusagen. Der Pauker wünscht sich die totale Aufmerksamkeit immer, hat sie aber nie. Mir sind Katzen lieber als Hunde.“ „Richtig, es geht nicht um die ungeteilte Aufmerksamkeit, sondern ums rechte Maß, darauf kommt es mir an.“

      „Nothing comes from nothing”, sagte Ben. „Wir sind schon mitten drin. Nothing comes from nothing, meinetwegen. Was treibt Macbeth zum Mord?“ Ich ging an die Tafel und sammelte: Ehrgeiz, Machtstreben, Einflüsterungen der Lady, günstige Gelegenheit, Prophezeiungen der Hexen, Schicksal, das Dämonische und Böse. „Alles schön und gut. Wir brauchen es genauer. Wir brauchen Erklärungen, Kausalitäten. Ich schlage vor, wir gehen von der Hypothese aus: Alle Geschehnisse sind in gegenseitiger Abhängigkeit miteinander verknüpft, alles kann mithilfe des Verstandes erklärt werden, wenn wir uns den Text genau ansehen.“

      „Schließlich ist alles determiniert“, sagte Rick, „ja, in guter Literatur sogar überdeterminiert“, äffte er mich nach. Die Klasse lachte.

      „Also, ihr habt euch einen ersten Überblick verschafft. Aber es muss uns auch ums Detail, um die Feinheiten gehen. Wie hat er es gemacht? Shakespeare war wortreich, gilt als schwer, ist also genau das Richtige für euch. Ich schlage vor, dass wir den Text mit verteilten Rollen Zeile für Zeile lesen und diskutieren. Einverstanden?“

      „Das ist langweilig.“

      „Wir sind nicht im Kino!“

      „Das ist lehrerzentrierter Bullshit, ich will selbst was machen.“

      „Genau, wir wollen nicht die Lehren des Lehrers, wir wollen selbst gestalten, keinen kurz- und kleingekauten Brei, ekelhaft.“

      Die Reaktion hatte ich natürlich vorhergesehen. Wenn man es nur geschickt genug anstellte, dann war es ja so einfach, die Leute in genehme Richtungen zu lenken. Die Motive der Menschen sind ja so leicht zu durchschauen. Die meisten Handlungen sind determiniert wie die Bewegungen von Billardkugeln.

      Andererseits ist ein halbes Dutzend von Motiven auch nicht wenig, denn miteinander kombiniert, dehnen sie sich aus zu einer ungeheuren Zahl von Möglichkeiten, doch ein bisschen Menschenkunde vorausgesetzt, hat man schnell herausgefunden, welches die stählerne Triebfeder ist und welche Neigungen nur weich mitdrängen und also kaum wirksam sind.

      Ich hörte die Klasse murmeln und stöhnen, war also bald am Ziel. Noch einen Vorschlag und ich hatte sie so weit. „Dann habe ich da noch eine Schwarte, wäre was für die esoterisch Interessierten, wie wäre es Michaela? Superstition and Witchcraft in the Elizabethan Literature.“

      Nur noch wenige Studierende hörten mir zu, die Klasse vibrierte vor Widerspruch, zu zweit oder zu dritt hatten sie die Köpfe zusammengesteckt und äußerten ihre Unlust und Ablehnung meiner Vorschläge. Es war nicht leicht ernst zu bleiben.

      „Das ist doch Uni-Kacke, das kann machen, wer Englisch studiert.“

      „Ein Referat bringt nur dem was, der es hält, die andern schlafen oder träumen.“

      „Genau, keine langweiligen Referate. Ich will mir doch keine Valium reinpfeifen müssen, um den Vormittag zu überstehen.“

      „Ich glaube, wir wollen alle was anderes, was Selbstständiges. Mit dem Stück was machen, machend erarbeiten und verstehen.“

      „Bitte schön, habe nichts dagegen.“

      Jetzt hatte ich sie, nun noch die geeigneten Projekte anregen, dann hatte ich, was ich wollte.

      „Schlagt vor, ich bin ganz Ohr, ich schreibe Stichworte an die Tafel.“

      „Wir könnten das Stück umschreiben, einen Thriller draus machen.“

      „Die Motive der Figuren untersuchen, was treibt sie an, wie beeinflussen sie sich gegenseitig.“

      „Das Geschlechterverhältnis untersuchen.“

      „Ach ja, ich habe da eine CD-ROM mit Macbeth darauf: Text, Erläuterungen, Videoclips, Hexen, wandernde Wälder, etc. Wer macht das? Warum so zögerlich? Technisches Teufelszeug? Angst? Wenn die Hexen aus dem Monitor wollen, einfach den Stecker raus. Ihr drei? Gut.“

      Dass Ben, einer von Günthers fürchterlichen Vier, mitmachte, wunderte mich nicht. Ich wusste von seinen langen Nächten im Netz. Wie ein Nachtwandler war er in der ersten Woche des Semesters in der Schule herumgetappt, müde und ausgebrannt. Er leide an Jetlag, erzählte er mir. Während der sechs Ferienwochen hatte er die Nächte hindurch gesurft und tagsüber geschlafen. „Eines Tages“, prophezeite ich ihm, „durchgeisterst du nur noch die abgelegenen Winkel des in zahllosen Seiten flimmernd ausgegossenen Netzes und es wird heißen, er war ein frühes Opfer der ewigen Welle.“

      „Wer will das Stück umschreiben?“ „Gut, ihr vier“. Rick und Tanja waren dabei, ich hatte damit gerechnet und konnte also sicher sein, ein erstklassiges Resultat zu erhalten. Rick und Tanja, Macbeth und seine Lady.

      Ich war gespannt darauf, was sie von sich zeigen würden bei der Umformung.

      Ich tue, also bin ich, das war Ricks Lebensslogan. Er gehörte zu den Leuten, die ihren Spaß im Rausch des Risikos suchten. Bungeejumping war etwas für Beamte, die auch mal was erzählen wollten.

      Drei

      „Habt ihr schon gehört, Theo hat mal wieder seine Leute zu einer Lektüre getrickst.“ „Theo unser Trickser weiß immer, was gut ist für die Studierenden. Was ist es denn Theo, womit willst du sie diesmal verwöhnen?“ „Für die Guten nur das Beste“, erwiderte ich dem Kollegen. „Also Macbeth.“ „Da können sie was lernen“, meinte Sabine, „nicht nur Englisch, sondern was fürs Leben.“ „Genau, bei mir soll es eben was fürs Leben geben.“ „Ich war gerade bei denen im Unterricht“, sagte Peter, „er hat sie nicht nur zu Macbeth gemogelt, sie sind auch noch begeistert, dass sie Macbeth machen und sagen der Unterricht wäre geil, total interessant.“ „Keine Wirkung ohne Ursache, alles erklärbar und bedingt und erlernbar, man kann es lernen, liebe Kollegen. Hab’ ich schon Engagement erwähnt? Ich nehme sie ernst, sie können selbst bestimmen.“ „Theo der Trickser spricht von Selbstbestimmung.“ „Sie meinen selbst zu bestimmen, ich zeige ihnen den Nutzen, es sind ihre Fragen, die im Unterricht behandelt werden, ihre Probleme, die besprochen werden. Die Literatur ist mir nur ein patentes Medium. Sie halten Macbeth übrigens für eine Art Thriller. Wenn man Macbeth in die Gegenwart setzen würde, dann als...“ „Ja, - warum nicht,“ meinte Peter. „Peter, das ist doch wohl nicht dein Ernst. Wie soll Unterricht für die Leute interessant sein, wenn du ihnen ihre Dummheiten lässt? Macbeth ein Thriller, welcher Unsinn! In welchem Thriller gibt es die Frage nach Motivation und Schuld? Wo bleiben