Friedrich Wulf

Taten ohne Täter


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Es ist nur die Wirklichkeit und in der werden weit mehr Referate besprochen, ganz nüchtern, als Lehrer von ihren Schülerinnen verführt oder umgekehrt. Ja, wenn die Zukunft schon jetzt existierte. Mal angenommen, wir könnten uns an die Zukunft erinnern wie an Einzelheiten aus der Vergangenheit, dann wäre die Vergangenheit nicht so verführerisch und ich wüsste jetzt schon, welchen Lauf mein Gespräch mit Moni nehmen wird, auch von den Fortschritten der Macbeth Lektüre wüsste ich, sähe die Veränderungen im Verhältnis zu Rick, Ben, Moni und Tanja. Etwas vom Kommenden zu wissen, wäre wahrscheinlich fürchterlich. Könnte man es handelnd verändern, hätte es nicht die Härte des Faktischen, würde man das Kommende aber wirklich kennen und könnte nicht eingreifen, dann...

      „Hallo Theo, hörst du mich? Moni fuchtelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum, ihre Brüste wippten ein wenig. „Ich sehe immer nur graue Wände gegenüber.“ „Bitte, setze dich, nicht der Garten oder deine Wände stehen zur Debatte, sondern dein Referat. Sag mal, was hast du dir dabei eigentlich gedacht?“ „Wieso? Gefällt es dir nicht?“ „Ob es mir nicht gefällt?“

      „Ist ja schön und gut, dass du auch entlegene Quellen angezapft hast, aber du spekulierst zu viel über Shakespeares Sexualität. Gut, man meint aus den Sonetten bisexuelle Tendenzen ableiten zu können, aber daraus kannst du doch nicht machen, dass er eigentlich schwul gewesen sei.“ „Ich meine, er musste sich verstellen, das war so - damals, er wäre in Teufelsküche gekommen, Scheiterhaufen und so.“ „Nein, Moni, das geht nicht, so geht das nicht. Meinetwegen erwähne die Bi-Spekulationen, aber nicht mehr.“

      „Hat Freud nicht spekuliert, ein relativ ungebildeter Bursche aus der Provinz habe unmöglich die Werke schreiben können, es sei ein anderer gewesen, es sei Bacon gewesen, der die Stücke geschrieben habe. Und in dem neuen Film, genau die gleiche Vermutung. Ist das etwa nicht reine Spekulation, aber weil es...“ Sie suchte nach Worten. „Weil es dieser Wiener Seelen-Scharlatan gesagt hat, deswegen...“

      „Nun ja, lassen wir das. Aber sag mal, wie kommst du denn auf den nackten Unsinn, Shakespeare sei verwickelt gewesen in dies und das, ja, er habe Marlowe seinen literarischen Konkurrenten umbringen lassen, damit ihm allein der Lorbeerkranz gebühre.“ „Theo, wer so morden und wüten lässt und wessen Phantasie so blutig ist, der macht es auch selbst, schreckt selber auch vor Mord nicht zurück.“ „Moni!, wer einen Mord schildert, muss kein Mörder sein. Bitte, denk‘ mal nach.“ „Genau, das habe ich ja.“ „Nein, du hast Hirngespinste aufs Schauerlichste verzwirbelt.“ „Ich finde meine Argumentation schlüssig.“ „Ja, Verrücktheit mit Methode, das finde ich bei dir.“ „Nein, sehe ich nicht so, Marlowe war genauso berühmt wie Shakespeare oder?“ „Ja, durchaus.“ „Und Marlowe wurde am 30. Mai 1593 in einer Kneipe umgebracht. Im ganzen dreiundneunziger Jahr schreibt Shakespeare nur Komödien, weil er keine Tragödien schreiben kann, das würde ihn nämlich permanent an seine eigene Untat und Schuld erinnern wie Macbeth, der nicht mehr schlafen kann und Gespenster sieht. Aber jetzt kommt der Clou, um sich für die Bluttat so richtig in Stimmung zu bringen, haben seine kranken Gedanken das kälteste Monster der Literatur erzeugt: Richard III. So! Danach konnte er Marlowes Mord planen.“ „Wahnsinn, Moni, du redest wirr, das kommt doch nirgends vor in der Literatur über Shakespeare.“ „Und? Weißt du übrigens, wann Richard III zum ersten Mal aufgeführt wurde? Jetzt halte dich fest, oder schütte dir ’nen Schuss Rum in den Tee.“ Sie machte eine Pause. „Zur Jahreswende 1592/93. Na was sagst du nun?“ Bei den Worten, „und im Mai 93 Marlowe“, durchschnitt sie ihre Kehle mit dem Zeigefinger. „Das alles ist kompletter Irrsinn Moni. Verrrückt!“ „Wieso?“

      „Streichen, ersatzlos streichen.“ „Ach schade, ich fand das ‘ne geniale Idee, den Leuten hätte es sicher gefallen. Und ausschließen kannst du es auch nicht.“ Ich stöhnte: „Moooni!“ „Warst du dabei, die Tat wurde nie aufgeklärt, also... Ja, ist ja schon gut.“

      „Auch die Form geht nicht. Du machst aus Shakespeares Leben eine Familiensaga. Das liest sich wie eine Geschichte mit Haupt- und Nebenhandlungen, komplett mit Intrigen, bösen Onkeln, Dreiecksverhältnissen, fetten Tanten, Hexenverbrennungen, Wegelagerern in Strumpfhosen, märchenhaften Wäldern, Feiglingen, Helden und wilden Kämpfen.“ „Ja genau! Und -, ist es nicht spannend?” „Durchaus.” „Also, was willst du mehr?” „Die einem Referat angemessene Form.” „Sagst du nicht immer, dass wir uns unsere Biografie erzählen und unsere Lebensgeschichte so modellieren, wie es uns in den Kram passt, dass wir hier vergessen und dort hinzufügen, damit wir mit uns zufrieden sind?” „Ja ja, ich weiß ja, aber das ist ein Referat.” „Theo, ich bitte dich, wenn wir in unserem wirklichen Leben aus- und umdichten, wie es uns Spaß macht, warum sollte ich dann nicht dort verdichten und neu verknüpfen, wo die Faktenlage sowieso äußerst bescheiden, ja, völlig umstritten ist?”

      „Bitte, schreib es um. Dieser Teil“, ich tippte auf die Stelle im Referat, „geht auch nicht. Man kriegt ja den Eindruck, als wären die Leute permanent auf speed gewesen. Du kannst die Ekstasen unserer Jugend doch nicht auf die Zeit projizieren, nein Moni, so geht das wirklich nicht.“

      „Das war eine faszinierende Zeit, hab’ ich überall gelesen, wenn man jung war auf jeden Fall, und wer wurde schon alt? Es war eine Menge los, Abenteuer auf See, die Lockungen der neuen Kolonien, der Pfefferhandel usw., usw. Bier war Grundnahrungsmittel, denk nur an die Porter-Szene.“

      „Ach ja, hier - das ist stark. Was haben die Armen gegessen? ‚Rattenragout‘, und was hast du hier noch aus den Zutaten der Hexenküche genommen, um deine Geschichte zu pfeffern? Man habe maggot pie geschmaust? Moni, bitte umschreiben und die Märchen rausstreichen, okay?“

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