Gerhard Freitag

Der OGG


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zu sein.

      Wim Van Hanroy war 86 Jahre alt und hatte bereits eine Rejuvenation hinter sich, was ihm Aussehen und Spannkraft eines 50-jährigen verschaffte. Er hatte graue, kurz geschnittene Haare und das blasse Gesicht von jemand, der selten Gelegenheit hat, von natürlicher UV-Strahlung bestrahlt zu werden. Seine fast 2 Meter große hagere Gestalt war allen Bürgern des Solaren Empires schon seit 2 Amtsperioden bekannt. Von Terra nach Zeiss III waren es rd. 24.000 LJ, eine Entfernung, welche die >Solares Empire< in 25 Tagen zurücklegen sollte. Präsident Van Hanroy hatte also genug Zeit, sich und seinen Stab auf die Feierlichkeiten anlässlich des Beitritts des Solaren Empires zum OGG und auf die >Galaktische Direktive< vorzubereiten.

      Da die aktuellen Schiffsnachrichten keinerlei echten Neuigkeitswert hatten, beschloss Van Hanroy, einen Blick ins Weltall zu werfen. Der bewusste Gedanke genügte, damit sein ABC eine Schmalwand seiner Kabine in einen Holoschirm verwandelte, der ein dunkelgraues Nichts zeigte, in dem schwarze Schlieren ein undefinierbares Durcheinander zeichneten. Van Hanroy reagierte verärgert über sich selbst. Wie konnte er nur annehmen, dass man während des Fluges im Hyperraum auf einem Außenschirm etwas sehen könne? Ein Gedankenbefehl stellte den Urzustand der Schmalwand wieder her und der Holoschirm verschwand. Dann ließ er sich die aktuellen Flugdaten in seine virtuelle Sicht einblenden und erfuhr, dass bis zum nächsten Orientierungsausbruch noch etwa 3 Stunden vergehen würden. Dieses Mal würden er und sein Tross – eine Delegation von Politikern, Wirtschaftsfachleuten und Journalisten – zum ersten Mal Gelegenheit haben, in einem terranischen Hantelraumschiff in das Zeiss-System einzufliegen. Sicher erfuhren sie dabei Dinge, die man als Passagier eines zeissonischen Raumers niemals mitbekommen würde.

      Van Hanroy überlegte, wie oft er bereits die Fragen durchgegangen war, die sich mit der Tatsache beschäftigten, dass Terra nun 3 Richter und 300.000 Soldaten an den OGG zu entsenden hatte.

      Warum wollte alle Welt bei diesen Fragen mitreden?

      Sahen die Regierungskollegen, die Abgeordneten der Kammern, die Generäle und die Leitartikler nicht, dass es für die diversen Führer der Kaargh, der Zeissonen oder gar der Alorer gar keinen Unterschied machte, ob die entsandten Richter nun dieser oder jener terranischen Partei angehörten? Warum bloß war Demokratie so ein schwieriges Geschäft?

      An dieser Stelle seiner Überlegungen meldete sich sein Adjutant - Georg Atahasi – über den ABC, als der Alarm losging.

      In allen Räumen des hantelförmigen Raumschiffes ertönten schrille Alarmpfeifen mit kurzem, immer wieder nach oben gerichtetem Klang. Ähnliche Töne gab auch der ABC direkt an das virtuelle Gehör aus, während auf allen aktivierten Holoschirmen ein rot blinkendes Gefahrensymbol aufblinkte.

      Der ABC meldete, dass sein Adjutant und der Kapitän - Commander Hegenbosch - fast gleichzeitig versuchten, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Es wurde auch bereits an seine Tür geklopft. Die Geräusche der Maschinen hatten sich plötzlich ebenso verändert wie die Geräusche der Menschen.

      Sein ABC aktivierte die Verbindungen zu beiden Anrufern, und Van Hanroy begab sich zur Tür und öffnete sie.

      Innerhalb weniger Sekunden hatte sich der ereignislose Flug vom Orionarm ins Zentrum der Galaxis plötzlich zu einem hektischen Abenteuer entwickelt. Er wäre jedoch nicht der Führer der Menschheit geworden, wenn ihn diese mehr oder minder gleichzeitig ablaufenden Ereignisse völlig erschüttern hätten können.

      Er nahm die Meldung des Commanders zur Kenntnis, dass ein Ereignis eingetreten sei, das es gar nicht geben könne. Die >Solares Empire< sei an noch unbekannten Koordinaten in den Normalraum zurückgestürzt. Man wisse noch nicht warum. Der Wachführer meldete, dass alle sofort eingeleiteten Überprüfungsmaßnahmen keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben des Präsidenten ergeben habe. Mehr wisse man noch nicht.

      Nach und nach trafen bei Commander Hegenbosch aus allen Sektionen des Schiffes mehr oder weniger beunruhigende Nachrichten ein, deren Tenor war: „Keine unmittelbare Gefahr, aber wir wissen nicht, was eigentlich passiert ist.“

      Dann wurde der Alarm abgestellt, und das enervierende Pfeifen verstummte ebenso wie das Blinken der Gefahrensymbole auf den Schirmen.

      Entschlossen benachrichtige Van Hanroy seinen Adjutanten: „Wir sehen uns mal in der Zentrale um. Ich denke, wir brauchen einen persönlichen Eindruck von den Dingen“, sendete er und verließ die Präsidentensuite. Atahasi und Van Hanroy machten sich auf den Weg durch die Gänge und Antigravlifte, um zur Zentrale zu gelangen.

      Dort angelangt, fanden die beiden Neuankömmlinge ein geordnetes Chaos vor. Die ABCs der Zentrale-Besatzung waren imstande, eine ungeheure Datenflut fast gleichzeitig zu verarbeiteten. Man sollte daher meinen, dass es so viele Minuten nach der Alarmauslösung zumindest Meinungen über die Ursache des unerwarteten Hyperraumausbruchs geben sollte. Tatsächlich schwirrten aber noch immer die unterschiedlichsten Theorien durch die virtuelle Welt, und einige Besatzungsmitglieder diskutierten sogar mit Worten.

      „Die nächste Sonne - Spektraltyp A2 – befindet sich rd. 9,2 LJ an den Koordinaten...“, ertönte eine Stimme in diesem Augenblick und rasselte in schneller Folge einige Zahlen und Ziffernkombinationen herunter, die weder Van Hanroy noch Atahasi etwas sagten.

      „Soweit wir festgestellt haben, ist diese Sonne der am nächsten gelegene Stern. Er befindet sich direkt hinter uns“, übersetzte Commander Hegenbosch die Angaben der Scannerbesatzung. „Der Hyperfunk funktioniert ebenfalls nicht. Der Normalfunk scheinbar schon. Bis jetzt haben wir noch immer keine Ahnung, warum wir aus dem Hyperraum in den Normalraum zurückgefallen sind. Es geschah ohne erkennbare Auswirkungen auf das Schiff. Unsere Datenbanken sagen, dass so etwas in der Raumfahrtgeschichte Terras noch nie vorgekommen ist“.

      „Und wir sind 9 Lichtjahre weit weg von der nächsten Sonne?“

      „Ja. Und wir waren genau auf Kurs. So viel haben wir festgestellt.“

      „Haben Sie schon eine Idee, was wir jetzt machen?“

      „Als nächstes versuchen wir herauszufinden, ob uns etwas geschehen kann, wenn wir versuchen, wieder eine Hyperraumphase einzuleiten.“

      „Ich würde gerne hier bleiben und die Vorgänge an Ort und Stelle verfolgen.“

      „Gerne, Mr. President, nehmen Sie beide hier Platz.“ Mit diesen Worten deutete Commander Hegenbosch auf eine Sesselgruppe, die zu Besprechungszwecken in der Nähe des Kommandostandes stand.

      Präsident Van Hanroy und Atahasi schalteten ihre ABCs wieder auf die Kommandofrequenz des Schiffs und sahen sich interessiert um. Seit dem unerhörten Zwischenfall waren nun schon mehr als 15 Minuten vergangen und niemand hatte eine vernünftige Idee, was ihren Flug durch das unbeschreibbare Kontinuum des 5-D-Raumes wohl unterbrochen haben könnte.

      Nach einigen weiteren Minuten konnten sie verfolgen, wie Commander Hegenbosch und die Zentralebesatzung beschlossen, die Reise durch Einleitung eines weiteren Hyperraumfluges fortzusetzen. Kaum hatte der Pilot die entsprechenden Kommandos abgesetzt, als er auch schon, an den Kommandanten gewandt, meldete: „Chancenlos, Sir. Es werden alle Kommandos ausgeführt und alle maschinellen Sequenzen abgearbeitet. In jener Millionstelsekunde, in der das Eintauchen in das übergeordnete Kontinuum erfolgen soll, passiert dann – nun – genau überhaupt nichts, absolut nichts, kein einziges Kontrollinstrument sagt uns, warum nichts passiert. Es geschieht halt nur einfach nichts.“ Seiner Stimme war eine gewisse Verzweiflung anzuhören.

      Diesmal schwirrten auch keine anderen Vorschläge oder Meinungen durch die virtuelle Welt. Niemand hatte mehr einen konkreten Vorschlag.

      Auf dem umlaufenden Holoschirm, der in zwei Meter Höhe über dem Boden der Zentrale begann und sich über die gesamte Zentralekuppel erstreckte, waren Millionen von funkelnden Sternen zu sehen. So nahe dem Zentrum der Milchstraße, waren manche Sternballungen schon zu einem gleißenden Lichtfleck zusammengewachsen. Die Aussicht war eigentlich überwältigend, hätte das Gefühl der Hilflosigkeit nicht alles andere überwogen. Unter dem Panoramaschirm waren die vielen kleineren Nebenschirme der einzelnen Stationen angeordnet. Sie zeigten die unterschiedlichsten Diagramme, blitzende Zahlenreihen, Kolonnen von sich ändernden Parametern oder auch stillstehende Werte und Grafiken.