Katrin Fölck

Zahltag


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traue mich nicht, meinen Mund zu öffnen, weil mir klar ist, dass dann um so mehr nachfolgen würden. Also lasse ich es und die, die schon da sind, bleiben, wo sie sind.

      Der Sturm wütet endlos, so scheint es mir.

       Was, wenn das jetzt der letzte Moment meines Lebens ist? Und das Schreien des Windes das letzte Geräusch ist, das meine Ohren hören?

      Bilder huschen im Schnelldurchlauf an meinem geistigen Auge vorbei. Mit gleichgültiger Gelassenheit lasse ich sie in mir ablaufen.

      Da ist keine Wehmut.

      Kein Bedauern.

      Kein Aufbegehren.

      Nichts.

       Aber wieso nicht?

       Wusste ich bereits, dass es hier zu Ende sein würde?

       War das Intuition?

       Wusste ich, dass es nichts gab, was ich tun konnte, mein Leben zu retten?

       Außer abzuwarten?

      Mein Gehirn hatte das scheinbar schon sehr viel früher erfasst als ich und meinen Körper auf die ausweglose Situation eingestellt. Es gab nur so viel an Energie, wie nötig war. Ich wurde in eine Art Stand-by-Modus, in Ruhe-Status geschalten.

      Keine Aufregung. Kein Adrenalin.

      In meinem Kopf nur den einen Gedanken, mich damit abzufinden, das es eben so war.

      Wenn ich es schon nicht ändern kann, warum also nicht aufgeben?

      Einfach abwarten, was passiert.

      Mein Inneres Ich betrachtet mein bisheriges Leben. Auch wenn nicht alles optimal gelaufen war, so war es doch eigentlich ganz okay, so, wie es war.

      Ich hatte eine behütete Kindheit, wuchs mit der ganzen Liebe, Fürsorge und Aufmerksamkeit wundervoller Eltern auf. Und mit ihrem Geld. Sie unterstützten mich selbst noch bei der Umsetzung meiner abenteuerlichsten und verrücktesten Träume, ohne jegliche Ahnung davon zu haben, wie gefährlich das eigentlich für mich war. Und sie standen mir bei. Immer, bedingungslos. So wie meine Schwester und wie Adrian, mein bester Freund.

       Ob er sich noch vor dem Sandsturm in Sicherheit hatte bringen können? Hoffentlich. Sicher würde er bald mit Hilfe zurückkommen…

       Doch wie will er mich finden? Was will er den Leuten sagen, wo er mich zurückgelassen hat?

       Ganz schnell vergesse ich diese Gedanken wieder.

      Meiner jetzigen Situation sind sie ganz und gar nicht dienlich.

      Die Schulzeit kommt mir in den Sinn.

      Wieder muss ich an Adrian denken und schmunzeln. Mann, was wir doch zusammen für Blödsinn angestellt haben…

      Später dann, der erste Alkohol, den wir aus dem Weinkeller geklaut und heimlich getrunken haben, oder der erste Joint, den wir rauchten… die vielen amourösen Abenteuer mit den nur zu willigen Mädchen, die ich, bei Abwesenheit meiner Eltern, in unsere Villa mit dem schicken Pool zur Party einlud und die wir dann tauschten… mein BWL-Studium, der Camaro, den mir mein Vater in Anerkennung meines erfolgreichen Abschlusses schenkte, die Anfänge einer große Karriere in Vaters Firma, die Hochzeit mit Claudia… und jetzt der Kurzurlaub mit Adrian, der nun scheinbar hier, in den Tiefen der Sandwüste in Marokko für mich endet…

      Müsste ich jetzt von dieser Welt gehen, würde mir Einiges entsagt bleiben. Wie gerne hätte ich noch Kinder mit Claudia gehabt. Einen Jungen und ein Mädchen. Ein Haus. Einen Hund…

      Doch eigentlich habe ich keinen Grund zum Trauern. Ich hatte ein schönes Leben. Ich war immer ein Glückspilz gewesen.

      Und jetzt hatte ich eben Pech.

      So einfach ist das…

      Das Heulen um mich herum wird immer schlimmer.

       Ich muss an unsere Mutproben denken, als Adrian, Odo, der Sohn der Schwester meiner Mutter, und ich einen stillgelegten Brunnen erkunden wollten. Oder an unseren Jungfernflug mit unserem selbst gebauten Flieger. Der Tag, als wir im Eis eingebrochen sind und tropfend zusammen um unseren Kamin saßen….

       Wie oft hatte ich dem Tod schon ins Auge geblickt und war ihm doch immer wieder von der Schippe gesprungen?

       Dass er mich kriegen würde, war mir seit dem Tag meiner Geburt klar.

       Das stand fest. War unabänderlich.

       Aber jetzt schon? Mit 34?

      Das sind meine letzten Gedanken, bevor alles um mich dunkel wird.

      2

      Es ist vorbei.

      Der Sturm hat sich gelegt.

      Es ist still. Erschreckend still.

      Fast schon unheimlich.

      Kein einziges Geräusch. Nur das Rauschen des Blutes in meinen Ohren und das dumpfe, laute Klopfen meines Herzens.

      Ich bin vom Sand eingeschlossen.

      Meine Augen habe ich fest zusammengepresst, die Arme vorm Gesicht verschränkt, als einzige Schutzbarriere vorm feinen Sand...

      Noch bekomme ich Luft. Doch ich traue mich nicht, meine Position zu ändern.

      Angst macht sich in mir breit.

       Was, wenn ich unter meterhohem Sand liege?

       Lebendig begraben?

       Vielleicht würde ich bald ersticken?

      Ich ermahne mich, Ruhe zu bewahren, damit die Panik in mir nicht die Oberhand über mich gewinnt. Ich bemühe mich um eine gleichmäßige Atmung.

      Das gelingt mir nicht.

       Denk nach, sag ich mir.

      Mir ist klar, dass ich hier raus muss.

      Ein kräftiger Ruck geht durch meinen Körper.

      So, als wären durch diese Gedanken meine Lebensgeister wieder geweckt worden, als hätten sie mich an meine eigensten Urkräfte erinnert, nämlich die, dass ich mich selbst retten musste, wenn es niemanden anderen gab, der das für mich tun konnte.

      Infolge der unwillkürlichen Reaktion hat sich meine Körperhaltung verändert. Ich bin mindestens dreißig Zentimeter gewachsen.

      Da war kein großer Widerstand nach oben. Das überrascht mich. Das würde ja bedeuten, dass der Sand auf mir nicht sonderlich hoch wäre…

       Wie viel würde es brauchen, um aus dem Sand heraus zu kommen?

      Ich strecke mich noch etwas weiter.

      Dabei spüre ich jedoch auch mein Knie wieder.

      Sand rieselt, als ich aus ihm auftauche.

      Dann ist mein Kopf frei.

      Luft!

      Ich blinzle in die Runde, um mir einen Überblick über meine Lage zu verschaffen. Doch ich bekomme nur eines meiner Augen auf. Das andere ist verklebt und mit Sand behaftet.

      Mit einiger Mühe versuche ich, meinen rechten Arm dem Sand zu entwinden, ihn freizubekommen, um mir den Sand aus den Augen zu reiben.

      Da ist Blut, das jetzt in den Sand tropft.

      Mein linkes Auge kann ich immer noch nicht öffnen. Es ist zugeschwollen.

      Ich taste es ganz leicht mit den Fingern ab.

      An meiner Schläfe klopft es.

      Ein fast unmenschlicher Schmerz durchzuckt mich.

      Mein Kopf scheint gerade zu explodieren.

      Ich