Katrin Fölck

Zahltag


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das ist auch keine Lösung.

       Ich muss hier raus. Unbedingt.

      Die Sonne, die unablässig strahlt, trägt ihr Übriges dazu bei, es zu meiner Gewissheit werden zu lassen: Sie würde mich im heißen Sand braten.

      Ich atme mehrfach tief ein. Ich weiß, dass das, was jetzt kommt, größte körperliche Anstrengung von mir verlangt.

      Ich beginne, mit meinen Händen den Sand von meinem Körper weg zu schieben. Mich frei zu schaufeln. Auszugraben.

      Doch das gelingt mir nicht wirklich. Denn der feine Sand rutscht immer wieder zurück.

      Ich versuche, mich mit den Beinen nach oben zu stemmen, doch was soll das bringen, außer Schmerzen?

      Ich stecke fest. Das kann ich nicht nur sehen, sondern auch spüren.

      Ich versuche es dennoch weiter.

      Doch dann zeigt mir mein Körper meine Grenzen an. Ich vermag es einfach nicht, mich aus dem Sand heraus zu bekommen. Wie auch, ohne etwas zu haben, an dem ich mich festhalten kann?

      Ich befinde mich nach wie vor bis zur Brust im Sand.

      Und weit und breit keine Menschenseele.

      Ich keuche.

      Ich schwitze.

      Und ich habe mörderischen Durst.

      Die Sonne knallt unbarmherzig vom Himmel.

      Ich bin am Ende meiner Kraft.

      3

      Die Sonne thront über allem.

      Sie ist unerbittlich.

      Ich habe das Gefühl, dass der Boden unter mir schwankt. Wahrscheinlich ist meine Wahrnehmung gestört, von der Gehirnerschütterung, die ich beim Überschlag mit meinem Wagen davon getragen haben musste.

      Irgendwie ist mir schlecht. Und schwindlig.

      Ich erinnere mich an das Blut, das zugeschwollene Auge, die unerträglichen Schmerzen im Knie.

      Neugierig versuche ich, etwas durch mein leicht geöffnetes rechtes Auge zu erfassen, was um mich herum passiert. Doch dafür muss ich den Kopf anheben. Das ist wegen der Schmerzen im Nacken nahezu unmöglich für mich.

      Ich sehe die Sonne über mir, die mich blendet, und Sand und lasse mich erschöpft wieder zurücksinken.

      Es schaukelt. Vor und zurück. Irgendwie scheine ich mich fortzubewegen. Jedoch, ohne selbst etwas dafür zu tun.

      Als das Schaukeln endlich aufhört, sehe ich nur durch einen winzigen Spalt des geöffneten rechten Auges eine Gestalt, die in ein langes Gewand oder einen Schleier gehüllt zu sein scheint. Ich sehe nur ihre Umrisse. Das Gesicht liegt im Dunkeln.

      Ich weiß nicht, wo ich bin. Wahrscheinlich dem Himmel näher als der Erde.

      …Die Mutter Gottes gekommen, um mich zu empfangen…

      -----

      Es ist stockdunkel.

      Ich höre seltsame Laute. Lang gezogen. Klagend. Und Stimmen.

      Ich liege auf dem Rücken, auf etwas Weichem.

      Meine Finger versuchen bereits zu ergründen, was es ist. Es könnte Fell sein oder eine Decke.

      Jemand hatte mich gefunden.

      Über mir die Weite des Sternenhimmels. Vor mir das Knistern und Flackern eines Feuers mit dem typischen Geruch von verbranntem Holz.

      Immer wieder dämmere ich weg.

      Mal kürzer, mal länger.

      Ich erinnere mich an den Sturm, den Sand um mich herum, der mich langsam, aber stetig einschließt.

      In meiner Panik beginne ich zu schreien.

       Nein. Ich will nicht sterben… Ich will hier nicht begraben sein.

      Kurz darauf spüre ich die sanfte Berührung einer Hand, die meine Wange streift, bevor sie dann einige Zeit auf meiner Stirn verweilt.

      Doch wahrscheinlich halluziniere ich da bereits schon, des Flüssigkeitsmangels wegen.

      Von weitem dringt der Gesang eines Engels zu mir. Ich verstehe kein Wort davon, was er singt.

      Ich muss im Himmel sein.

      -----

      Ich sehe in das Gesicht eines wunderschönen Mädchens, das sich über mich beugt. Ihr Antlitz ist so makellos, wie ich kaum eines je gesehen habe.

      Und ich habe wirklich schon viele schöne Mädchen gesehen. Sehr viele.

      Sie jedoch ist wirklich außergewöhnlich.

      Doch mehr noch sind es ihre Augen.

      Sie sind honigfarben.

      Ihre Stimme, die zu mir durchdringt, ist nicht von dieser Welt. Die Melodie, die sie anstimmt, so fremdartig, unglaublich melancholisch und dennoch wunderschön.

      Ich spüre, wie mein Kopf leicht angehoben wird, bevor mir etwas eingeflößt wird, das ganz eigenartig schmeckt und mich dennoch so unbeschreiblich leicht ins Land des Vergessens führt.

      4

      Manchmal habe ich das Gefühl allein zu sein.

      Dann wieder dringen, wie durch Watte, Stimmen zu mir.

      Ab und an fühle ich, dass mich jemand an den Schultern umfasst und aufrichtet, um mir etwas einzuflößen, wovon immer wieder ein Teil mein Kinn hinab läuft.

      Auch, wenn ich versuche, mich aus der Umklammerung zu befreien und mich hin und her winde, nützt es mir nichts. Der Andere ist stärker.

      Also ergebe ich mich meinem Schicksal.

      Manchmal ist es eine Art Brühe, die meine Lebensgeister wieder wecken soll. Manchmal ist es sehr stark gesüßter Tee, der mir geschmacklich in Erinnerung bleibt, da er einen seltsamen Nachgeschmack hat, dessen Wirkung ich bereits kenne, weil er mich ins Land der Träume führt und macht, dass meine Schmerzen gehen.

      Den größten Teil der Zeit verbringe ich in einer Art komatösem Schlaf, träume wirr oder halluziniere im Fieber.

      Schweiß perlt auf meiner Stirn.

      Mal ist mir heiß, mal eiskalt.

      Mal liege ich ruhig auf dem Boden und dann wieder scheine ich mich langsam schaukelnd vorwärts zu bewegen.

      Die Hubschrauber, die längst die Gegend nach mir absuchen, kann ich nicht hören. Da befinde ich mich schon zu weit vom Unglücksort entfernt. Zu tief in der endlosen Weite der Wüste.

      5

      All meine Freunde sind da, meine Schwester, meine ganze Familie… Es ist ein rauschendes Fest. So, wie es sich Claudia immer gewünscht hat…

      Sie sieht bezaubernd aus in ihrem weißen Kleid… Weiße Tauben fliegen in den Himmel und rote Herzluftballons. Vor uns eine dreistöckige Torte, verziert mit gelben Marzipanröschen und silbernen Perlen…

      Hatte sie sich also doch gegen mich durchgesetzt, grinse ich. Dabei wäre ich lieber mit ihr auf eine einsame Insel geflogen und hätte sie barfuß am Strand bei Sonnenuntergang geheiratet. Ganz ohne diesen ganzen Schnickschnack. Nur wir beide, allein…

      Ich höre das Rauschen des Meeres und spüre eine tastende Hand auf meiner Stirn, die stört.

      Blinzelnd versuche ich, herauszubekommen, wer das ist, der mich da berührt.

      Erst nach und nach wird mir klar, dass ich geträumt habe.

      Da sind diese Augen. Die Schönsten, die ich je gesehen habe. Sie sind honigfarben, fremdartig und magisch und gehören in das Gesicht eines Mädchens, das ebenso schön ist. Der Rest