Mara Dissen

Todbringende Entscheidung


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Tage, kommt ja auch dir dann zugute“, versuchte sie sich, mit einem verheißungsvollen Satz, lächelnd wieder einzuschmeicheln, in der Hoffnung, das Thema somit beenden zu können.

      „Wer ist krank?“, setzte Claas seine Befragung unbeirrt und mit versteinerter Miene fort.

      „Kennst du nicht.“ Ohne eine weitere Reaktion abzuwarten, drehte sich Tanja um und wollte die Küche Richtung Wohnzimmer verlassen.

      „Halt! Hiergeblieben!“, schrie Claas ihr in unkontrollierter Lautstärke hinterher. Tanja schoss herum, die Augen zu Sehschlitzen verengt, die Lippen zusammengepresst, setzte sie bedächtig, aber zielbewusst, einen Fuß vor den anderen, blieb mit geballten Fäusten dicht vor ihrem Mann stehen.

      „Spinnst du?“ Ihre herausgequetschten Worte klangen wie das Zischen einer Schlange, verfehlten aber bei ihm ihre gewünschte Wirkung.

      „Ich kenne alle deine Kollegen. Es sei denn, du hättest deinen Arbeitsplatz an die Rezeption eines anderen Hotels verlegt. Wäre ja nicht dein einziges Geheimnis vor mir. Ach, was heißt hier schon vor mir? Es gibt bestimmt noch mehr Menschen, die ein Interesse an deinen aushäusigen Aktivitäten haben. Wo warst du vor einer Woche? Was hast du gemacht? Du hattest keinen Nachtdienst. Ich weiß es. Also komm, sag es schon.“

      Tanja suchte nach einer bewährten Verhaltensstrategie, fand keinen geeigneten Zugang und entschied sich verunsichert für einen Gegenangriff.

      „Wo warst du? Auf jeden Fall nicht hier, als ich nach Hause kam. Also spiel hier nicht den Oberschiedsrichter“, entzog sie sich seinen Fragen. Entschlossen verließ sie die Küche, knallte die Eingangstür hinter sich zu, wusste, dass sie soeben die Anfänge einer Schlacht verloren hatte. Verkrampft saß sie hinter dem Steuer ihres Autos und versuchte, ihrer Angst Herr zu werden.

      „Was weißt du? Und wo warst du, ja du?“, flüsterte sie leise vor sich hin, indem sie nachdenklich das Haus beobachtete. Nach wenigen Minuten startete sie den Wagen und raste mit quietschenden Reifen aus der Garageneinfahrt. Für heute hatte sie genug von Claas, ihrem Mann, den sie liebte, der ihr jedoch noch vor wenigen Minuten als scheinbar Fremder gegenüber stand.

      Den Kopf in die Hände gestützt, saß Claas über seinen Computer gebeugt, ohne die aufgerufene Datei zu beachten. Wie schon so oft wollte er alles wieder gut machen, wusste nicht, ob er die Kraft dazu besaß, zweifelte an seinem festen, unwiderruflichen Willen, konnte sich seine Unsicherheit nicht eingestehen.

      Kurz vor einundzwanzig Uhr parkte Tanja ihr Auto auf dem Gästeparkplatz des Hotels. Die Nutzung war den Angestellten nur gestattet, wenn das Haus nicht voll ausgebucht war, und somit freie Plätze auch für das Personal zur Verfügung standen. Tanja hatte keinen Überblick über die Belegung des Hotels. Für die letzten beiden Tage hatte sie Urlaub genommen, was in letzter Zeit öfter vorgekommen war. Ihr Urlaubsanspruch war zusammengeschrumpft. Sie hatte sich nie Gedanken gemacht, ihrem Mann für die wenigen verbliebenen Resturlaubstage Rechenschaft abgeben zu müssen. Zu sehr war er in seine Bankgeschäfte eingebunden. Sie ging stets davon aus, dass er sich auch zukünftig nicht mehr als eine zusammenhängende Woche Urlaub mit ihr genehmigen lassen würde und hielt diese Anzahl von Urlaubstagen sorgsam zurück. Sollten ihm die Unregelmäßigkeiten auffallen, würde ihr eine Erklärung ohne große Verbiegungen spontan einfallen. Sie war stets davon ausgegangen, dass es dazu nie kommen würde. Nach seinem heutigen Auftritt war sie sich darin nicht mehr sicher. Notfalls müsste sie ihren Chef um ein paar Gefälligkeitslügen bitten. Es kamen bei ihr keine Skrupel auf, ihren Chef einzubinden. Deutlich hatte er immer wieder seine Zuneigung zu ihr zum Ausdruck gebracht, was ihre Kolleginnen und Kollegen mit Spott kommentierten, aus dem nicht selten Neid herauszuhören war. Tanja hatte eine Sonderstellung, die sie geschickt verstand, auszunutzen.

      „Hi, Tanja. Du bist heute aber früh dran. Da kannst du nicht stehenbleiben. Wir sind voll ausgebucht. Ach ja, kannst du nicht wissen, warst ja nicht da. Wie waren die Urlaubstage?“, wurde sie aus ihren Gedanken von Lars aufgeschreckt, der eine Abkürzung zur Bushaltestelle über den Parkplatz nahm. Sie hatte ihn nicht kommen sehen. Seine oberlehrerhafte Besserwisserei konnte sie noch nie ertragen, bemühte sich aber trotzdem um die freundliche Antwort, die man von ihr erwartete.

      „Es waren nur zwei Tage, und die waren ganz in Ordnung. Weißt du was? Ich bleibe hier einfach stehen. Einfach so. Nun reg dich nicht auf und steig in deinen Bus. Alles wird gut“, bedachte sie ihn mit einem aufgesetzten Lächeln und schob ihn am Oberarm Richtung Haltestelle. Es beunruhigte sie, dass ihre Urlaubstage Gesprächsthema waren, tat es aber schnell als Banalität ab.

      Als sie das Foyer des Hotels betrat, wurde sie jedoch erneut mit dem Thema konfrontiert.

      „Gut erholt? Hast dich wohl gelangweilt, sonst wärst du doch nicht so früh schon hier? Na ja, was kann man an zwei Tagen schon anstellen? Du hast dich übrigens noch gar nicht bedankt, dass ich vor einer Woche deine Nachtschicht übernommen habe. Was machst du nur in deiner ganzen Freizeit? Nein, sag es nicht. Ich will von deinen schmutzigen Abenteuern gar nichts wissen“, wurde sie kichernd von ihrer immer gut gelaunten, geschwätzigen Kollegin Moni begrüßt. „Weißt du was? Wenn du schon hier bist, könntest du mich als Dank ja auch schon jetzt ablösen“, fuhr sie erwartungsfroh fort.

      „Tut mir leid, aber ich habe noch eine Verabredung. Sie müsste eigentlich schon da sein. Ich mache es bei dir die nächsten Tage auf andere Weise gut“, bemühte sich Tanja, das Gespräch schnell zu beenden und schaute sich suchend in der Halle um.

      „Wenn du die Frau da hinten in der Ecke meinst, hast du aber seltsame Freunde. Die sieht komisch aus oder, ich sag mal, die hat irgendwas“, zeigte Moni enttäuscht auf eine dunkel gekleidete Person, die zusammengesunken auf dem großen Ledersofa kauerte.

      „Schon gut, Moni. Du kannst beruhigt sein. Das ist meine Verabredung, aber sie ist nicht meine Freundin“, murmelte Tanja abwesend, während sie sich ganz auf die gezeigte Person konzentrierte. „Ach weißt du, vielleicht geht alles ganz schnell, und ich kann dich doch schon ein bisschen früher ablösen“, wandte sie sich, um einen lockeren Tonfall bemüht, erneut der Rezeptionistin zu.

      Tanja mochte Moni und wollte sie nicht vor den Kopf stoßen. Sie kannte jedoch auch Monis Neugier, gepaart mit Naivität. Eine gefährliche Mischung, die ihre Kollegin schon mehr als einmal zu der Erfindung ausufernder Fantasiegeschichten verleitet hatte.

      Tanja stellte sich die Frage, ob es eine gute Idee gewesen war, sich hier mit Petra, dieser auffälligen Erscheinung, vor den nach Sensation heischenden Augen ihrer Kollegin, zu treffen. Sie hätte Petra die direkte Annäherung auf diese Art und Weise verbieten müssen, wusste jedoch auch, dass sie dazu kein Recht hatte, ihre Führungsansprüche, zumindest vorrübergehend, verspielt waren. Für einen Rückzug war es zu spät.

      Entschlossen, das Gespräch so kurz wie möglich zu halten, eilte Tanja mit ausladenden Schritten, von Moni beobachtet, zu der Sitzecke und ließ sich neben Petra auf das Sofa gleiten. Grazil schlug sie die Beine übereinander, warf Petra einen kurzen, prüfenden Blick zu und erfasste sofort, dass sie sich mit anklagenden Worten zurückhalten musste. Petra befand sich eindeutig in einer Stimmung, die beide schnell in eine nur schwer zu kontrollierende Situation versetzen konnte. Tanja mochte Petras direkte, offene Art, mit der sie Menschen in Verlegenheit bringen konnte. Sie verabscheute jedoch das mitunter hemmungslos angewandte vulgäre Vokabular, zu dem Petra fähig war, wenn Wut ihre Emotionen beherrschte.

      „Was hat sich denn in den letzten zwei Tagen verändert, dass du mich unbedingt treffen musst?“, formulierte Tanja ihre Frage vorsichtig und war sich im selben Moment bewusst, dass Petra den Vorwurf heraushören würde. Gebannt betrachtete sie ihre Hände, die verkrampft auf ihrem rechten Oberschenkel lagen, wagte nicht weiterzusprechen und wartete auf eine Reaktion.

      Sekunden zogen sich wie Minuten hin. Die Halle schien sich in einen von Geräuschen abgeschotteten Raum verwandelt zu haben, in dem auch Moni bewegungslos erstarrte. Ungeniert beobachtete die Rezeptionistin ihre Arbeitskollegin und den Gast, konnte nur deren Rücken erfassen und spürte die Anspannung, die von den Personen ausging. Als der Gast sein Gesicht Tanja zuwandte und scheinbar ohne emotionale