Mara Dissen

Todbringende Entscheidung


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und schüttelte den Inhalt auf den Fußabstreifer. Sekundenlang betrachtete sie regungslos das Sammelsurium, das sich vor ihren Füßen ausbreitete. Widerwillig ging sie in die Hocke, schob mit beiden Händen Unmengen von Schminkutensilien, Kugelschreiber, beschriebene und unbeschriebene Notizzettel, Geldbeutel, benutzte Taschentücher, ein halbes, angebissenes, hartes Brötchen, eine Kleinbildkamera ziellos zu immer neuen Häufchen zusammen.

      „Scheiße, wo ist das Mistding nur?“; entfuhr es ihr leise. Erneut begann sie hektisch mit ihrer chaotischen Suche, betrachtete nachdenklich das Handy, das sie zusammen mit einem Päckchen Erfrischungsbonbons von einem Häufchen hob. Achtlos schmiss sie die Packung in das angrenzende Blumenbeet, reinigte das Display ihres Handys mit dem Jackenärmel, spreizte den Zeigefinger, um die Tastatur zu bedienen und hielt in der Bewegung inne. Es beunruhigte sie, dass sie Petra in der Nacht telefonisch nicht mehr erreicht hatte. Sie brauchte Gewissheit, in welchem Zustand Petra sich befand und würde im Wohnzimmer einen erneuten Versuch starten. Hastig steckte sie das Handy in ihre Jackentasche.

      „Was machst du hier?“

      Tanjas Kopf schnellte in die Höhe. Erschrocken starrte sie mit leicht geöffnetem Mund, was ihr ein dümmliches Aussehen verlieh, auf ihren Mann, der breitbeinig in der geöffneten Haustür stand.

      „Ich suche meinen Hausschlüssel und kann ihn nicht finden“, nuschelte sie vor sich hin, während ihre Hände erneut den ausgebreiteten Inhalt ihrer Handtasche durchsuchten.

      „Warum hast du denn nicht geklingelt? Ich mache dir doch die Tür auf. Da musst du doch nicht deinen ganzen Krempel hier auskippen. Komm, ich helfe dir hoch. Liebes, ich bin so froh, dass du wieder hier bist.“

      Tanja richtete sich auf, betrachtete nachdenklich ihren Mann, schien ihn erst jetzt bewusst wahrzunehmen. Bruchstückhaft rief sie sich ihren Streit ins Gedächtnis, der durch Petras unsäglichen Auftritt in den Hintergrund gedrängt worden war. Verärgert trat sie gegen ihre Tasche, versuchte mit einem Ausfallschritt über deren Inhalt ins Hausinnere zu gelangen, nahm emotionslos in Kauf, dass ihr Absatz sich mit einem knirschenden Geräusch in den Schminkspiegel bohrte.

      „Habe ganz vergessen, dass du zu Hause bist, dass Sonntag ist“, stammelte sie verwirrt, setzte ein gezwungenes Lächeln auf und versuchte, in dem Gesicht ihres Mannes zu lesen. Seine bohrenden Fragen und ihre ausweichenden Antworten vom Vortag standen wieder zwischen ihnen, ein Zustand, den sie unbedingt beenden wollte, nicht wusste, ob sie für aufwändige Verschleierungstaktiken nach der kräftezehrenden Nacht noch fähig war. Sie hoffte auf das immerwährende Harmoniebedürfnis ihres Mannes und wurde in ihrem Wunsch bestätigt.

      „Komm schon her. Alles ist wieder gut. Du siehst ja grauenvoll aus. Lass das alles liegen. Ich sammle das gleich auf.“ Liebevoll nahm Claas seine Ehefrau in die Arme, hielt sie schweigend fest umschlungen, löste sich von ihr, umschloss mit beiden Händen ihr Gesicht und küsste sie zärtlich auf den Mund. Erleichtert ließ Tanja ihren Kopf auf seine Schulter sinken, spürte ihre Erschöpfung, die sich bleischwer in ihren Gliedern ausbreitete, wollte nur noch alle Gedanken ausschalten, schlafen, bis sie wieder zu klarem Agieren fähig sein würde.

      „Ich bin so müde. Kannst du mich ins Bett bringen und ganz, ganz warm zudecken“, flüsterte sie ihrem Mann ins Ohr, fuhr mit einer Hand tastend über ihre Jacke, erhielt Gewissheit, dass sich das Handy noch in ihrer Tasche befand.

      „Genauso machen wir das. Ich muss dir nur vorher noch etwas mitteilen“, weckte Claas erneut ihre Aufmerksamkeit.

      „Na los“, stöhnte sie gequält auf und löste sich von seinem Körper. „Was ist denn so...“, endete der Rest ihres Satzes in einem Schrei, der an Hysterie nicht zu überbieten war.

      Der Stoß, den sie ihrem Mann verpasste, war heftig, verriet ihr Entsetzen, brachte ihn aus dem Gleichgewicht, ließ ihn gegen die Garderobe stolpern. Wie von Furien gehetzt raste Tanja durch den Flur und blieb in der weit geöffneten Wohnzimmertür wie angewurzelt stehen.

      „Was ist hier los?“, brachte sie mit gepresster Stimme hervor. Jedes einzelne Wort gefährlich leise, überdeutlich akzentuiert ausgestoßen, versetzte sie Claas in allerhöchste Alarmstellung.

      „Du bist heute früher gekommen als sonst nach der Nachtschicht. Du hattest doch Nachtschicht, oder? Ich wollte gerade alles wieder in Ordnung bringen, na ja, wegräumen eben. Ich hab es einfach nicht mehr geschafft“, bemühte sich Claas um eine Antwort, die seine Unsicherheit überspielen sollte. Mit hängenden Schultern näherte er sich seiner Frau, knetete nervös seine Hände, widerstand es, Tanja zu berühren. Es entstand eine unheilvolle Stille, die mit jeder Sekunde stärker an Class Nerven zerrte.

      „Ich warte auf eine Erklärung.“ brachte Tanja mit Eiseskälte hervor. Im Zeitlupentempo streckte sie ihren rechten Arm aus, ließ ihn von der rechten Wohnzimmerseite zur linken wandern, um ihn dann kraftlos wieder sinken zu lassen. „Warum sind hier alle Schränke durchwühlt, ist der Teppich aufgerollt, Schubfächer, Regale geleert? Was macht das alles auf unserem Parkett?“, schrie sie ihre Worte laut und unerwartet kräftig heraus.

      „Nun beruhige dich doch. Ich erkläre dir das alles. Lass uns doch vernünftig darüber reden. Sei bitte nicht so böse, so schrecklich wütend, das verkrafte ich einfach nicht, nach allem was..., ach, vergiss es. Ich habe etwas gesucht, war gerade fertig. Du bist einfach zu früh, hättest davon sonst gar nichts mitbekommen. Lass mich das...“

      „Ich bin also zu früh, wieder mal zu früh“, schnitt Tanja ihm seine Worte ab, sog geräuschvoll Luft durch die aufeinander gepressten Zähne ein, hatte genug Sauerstoff aufgenommen, um ihrem Mann mit Brachialgewalt zerstörerische Sätze entgegen zu schleudern. „Was hast du denn gesucht? Hat sie sich hier versteckt, deine Geliebte? Jammerst du deshalb wie damals? Du bist zu früh, du bist zu früh? Keine Angst, so doof bin ich nicht, dass ich glaube, dass sie unter dem Teppich liegt. Dann war sie wohl schon eher auf dem Teppich mit dir.“ Sichtlich erschöpft ließ sich Tanja auf das Sofa fallen. Claas machte ein paar Schritte auf sie zu.

      „Bleib wo du bist“, wurde er durch ihren messerscharf herausgepressten Satz zurückgehalten.

      „Lass das doch bitte ruhen. Kannst du denn diese alte Geschichte nicht endlich vergessen. Wir versuchen doch beide, an unserer Ehe festzuhalten. Wir können doch nicht immer wieder mit dem gleichen Mist von vorne anfangen. Hilft es dir, wenn ich dir sage, wer es war, mit wem ich dich damals betrogen habe, wessen Sachen du morgens nach der Arbeit vorgefunden hast. Du wolltest es doch immer nicht wissen. Überleg doch noch einmal. Vielleicht hilft es dir doch. Und wenn nicht? Du hast doch auch Geheimnisse.“ Claas ließ sich vor seiner Frau auf die Knie sinken, widerstand dem Drang, ihre Beine zu umfassen, nahm das Bild eines jämmerlich flehenden, verzweifelten Mannes in Kauf.

      „Was hast du nun hier im Wohnzimmer gesucht?“ Tanjas Stimme klang schwach. Es war nur schwer auszumachen, ob sie von Gleichgültigkeit oder Müdigkeit beherrscht wurde. Endlos erscheinende Minuten verstrichen. Claas richtete sich wieder auf, kaute an seiner Unterlippe, kratzte sich am Hinterkopf und drehte seiner Frau den Rücken zu.

      „Kämpfst du damit, mir die Wahrheit zu sagen, oder fällt dir keine passende Ausrede ein? Dreh dich bitte um und schau mir ins Gesicht“, beendete Tanja das nicht enden wollende Schweigen, mit einer Stimme, die an Festigkeit gewonnen hatte. Schlaff herunterhängende Mundwinkel, halb geschlossene Augenlider und eine erstorbene Gestik ließen jedoch erahnen, dass sie echtes Interesse an einer ehrlichen Antwort verloren hatte. Unvermittelt spannte sich ihr zusammengefallener Körper. Sie sprang auf, stand mit wenigen Schritten vor ihrem Mann, packte ihn bei den Schultern, ließ ihre Hände sodann an seinen Kopf schnellen, zwang ihren Mann, in ihr angstverzerrtes Gesicht zu sehen.

      „Warst du auch im Keller? Los, sag es mir. Hast du auch im Keller, was auch immer, gesucht?“, schrie sie ihn mit einer sich überschlagenden Stimme an.

      Panik hatte von Tanja Besitz ergriffen. Claas betrachtete seine Frau ungewohnt distanziert, umfasste ihre Handgelenke und befreite seinen Kopf aus der Umklammerung. Tanja vollführte eine halbe Drehung, wobei sich ihr Schuhabsatz in dem aufgerollten Teppich verfing, ruderte mit den Armen, fand ihr Gleichgewicht und hastete keuchend auf den Flur. Mit beiden Händen riss sie die Kellertür auf, die laut knallend an