Mara Dissen

Todbringende Entscheidung


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Ausgangstür und näherte sich zielstrebig der Zapfsäule. Bronk empfand sein Vorgehen nicht als gute Tat, sondern als pflichtbewusstes, selbstverständliches Verhalten gegenüber einer hilfsbedürftigen Person. Er hätte das Kopfschütteln seiner Kollegen wieder einmal nicht nachvollziehen können.

      Petra blieb wie ihr befohlen auf dem Hocker sitzen und verfolgte aufmerksam jeden Handgriff des Kommissars. Ihre Mundwinkel schoben sich unmerklich zu einem ironischen Grinsen in die Höhe.

      >Das läuft ja wie am Schnürchen. Hab doch gewusst, dass du Gefallen an mir gefunden hast. Schade, dass Tanja deinen Balztanz nicht sehen kann<, interpretierte sie, die vor ihren Augen ablaufenden geschäftigen Szenen. Bronk wechselte seine Aktionsplätze Zapfsäule und Kasse im Laufschritt, wies, nachdem er drei Kunden bedient hatte, die Fahrer der immer länger werdenden Autoschlange energisch zurück, nahm deren Proteste ungerührt zur Kenntnis und stellte den altmodischen Ständer mit der Aufschrift <geschlossen> in der Einfahrt auf. Mühelos gelang es Petra, ihr selbstgefälliges Lächeln gegen einen gequälten Gesichtsausdruck auszutauschen, als Bronk die Ladentür energisch hinter sich schloss.

      „So, das wäre erledigt. Habe sogar noch ein paar Spirituosen für Sie verkauft. Damit sie nicht allzu sehr wegen der verlorenen Kundschaft heute enttäuscht sein müssen“, beendete Bronk seine ungewohnten Arbeitsgänge, rieb seine verschmierten Handflächen aneinander und schaute sich suchend nach einer Reinigungsmöglichkeit um.

      „Sie können da in den Nebenraum gehen. Da ist ein Waschbecken und unter dem Tisch liegt ein Stück Kernseife, falls Sie sowas brauchen. Nein, warten Sie, ich zeige es Ihnen.“ Mimik und Gestik zwischen unausweichlicher Qual und Selbstbeherrschung angesiedelt, gelang es Petra, das Helfersyndrom bei Bronk in Schwingung zu halten.

      „Sie bleiben auf jeden Fall hier sitzen, bis ich mich gewaschen habe, und dann suchen wir uns einen Platz, der für Sie bequemer ist und unterhalten uns soweit Ihnen das heute möglich ist“, lächelte Bronk sie an und duldete keine Widerrede.

      Petra hatte keinen Moment in Erwägung gezogen, sich seinen Anweisungen zu widersetzen. Es kam ihr jetzt zugute, dass sie in den zurückliegenden Jahren die Gesellschaft in Männergruppen dem Zusammenhalt in Frauengemeinschaften vorgezogen hatte. Sie glaubte zu wissen, wie Männer ticken, spürte jedoch im Umgang mit Bronk Verunsicherung. Sie schwankte, ihre derbe, burschikose Art, die durchaus anziehend auf manche Männer wirkte, auszuspielen oder sich auf eine hilfsbedürftige Zurschaustellung ihrer Person zu verlagern. Instinktiv entschied sie sich für eine Mischung der konträren Darstellungsformen.

      „Kommen Sie, wir gehen in den kleinen Nebenraum. Ich habe da einen Stuhl mit Lehne entdeckt. Ist doch angenehmer für Sie als hier auf diesem ollen Hocker“, stand Bronk schon nach wenigen Minuten wieder vor Petra und umfasste ihren Ellenbogen, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. „Vorsichtig, verfangen Sie sich nicht wieder in Ihren weiten Hosenbeinen“, stieß er als besorgte Warnung aus, als Petra ins Straucheln geriet.

      „Herr Bronk, Sie sind sehr aufmerksam, denken einfach an alles“, bedachte sie den Kommissar mit einem koketten Augenaufschlag und hielt sich unnötigerweise an seiner Schulter fest, ließ ihre Hand jedoch sofort wieder fallen, als sie spürte, dass sich Bronks Schulterpartie verkrampfte.

      „Na ja, alles kann ich nicht im Kopf behalten, aber ich habe daran gedacht, Sie nach dem Zettel zu fragen, den Sie suchen wollten.“

      „Den Zettel? Was für einen Zettel meinen Sie? Ich wollte was suchen? Wenn Sie meine Freunde fragen würden, bekämen Sie die Antwort: Vergessen Sie’s. Petra ist ’ne Schlampe, aber eine ausgesprochen liebenswerte“, kicherte sie, warf Bronk einen schnellen Blick zu, erfasste seinen versteinerten Gesichtsausdruck und entschied sich, einen Schmerzenslaut, begleitet von einer gequälten Mimik, auszustoßen.

      „So, jetzt setzen Sie sich erst einmal. Im Sitzen lässt es sich viel besser reden und denken vielleicht auch.“ Die Hände in den Hosentaschen vergraben unternahm er keine Anstalten, Petra zu unterstützen und ihr somit unnötige Schmerzen zu ersparen. Bronk war eindeutig auf Distanz gegangen, was auch Petra nicht entging.

      „Frau Stautmeister, bei dem Überfall auf die Tankstelle ist eine größere Summe Bargeld geraubt worden. Sie wollten mir und meinen Kollegen eine Auflistung machen, um welche Summe es sich handelt. Kann ich die Liste haben? Ich hole Sie gerne. Sie müssen nicht aufstehen. Sagen Sie mir nur, wo Sie sie hingelegt haben.“ Bronk blickte sich in dem kleinen Raum um, erweckte jedoch den Eindruck, als wäre er nicht von einem Erfolg seiner Suche überzeugt.

      „Ach den Zettel meinen Sie. Nein, nein, den habe ich nicht verlegt. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich die Auflistung noch nicht gemacht habe. Ich stehe schon die ganzen Tage unter schwerem Medikamentenbeschuss und kann noch nicht klar denken. Und die Summe muss doch genau stimmen, mit der entwendeten übereinstimmen, meine ich. Sonst hätte ich Sie ja belogen und das würde doch Ihre Arbeit erschweren, Herr Bronk“, versuchte sie mit leicht schräg nach oben gerichtetem Kopf, Augen- und Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen, den Kommissar erneut für sich zu gewinnen. Befriedigt stellte sie fest, dass Bronk ihr Lächeln erwiderte, zuckte jedoch zusammen, als die Lachfältchen augenblicklich von tief zerfurchten Stirnfalten abgelöst wurden, die nichts Gutes verhießen.

      „Bitte machen Sie diese Auflistung so schnell wie möglich. Ich schicke Ihnen gerne einen Kollegen, der Ihnen bei der Arbeit behilflich ist. Ich meinte aber mit meiner Frage nicht diese Liste. Sie wollten mir den Zettel geben, den Sie tagelang an der Tür befestigt hatten und am Tag des Überfalls entfernt haben. Dieser Zettel steht ja wohl unmittelbar in Zusammenhang mit dem Raub.“ Bronk gab sich sichtlich Mühe, seine wachsende Ungeduld zu verbergen.

      „Ach, jetzt weiß ich, was für einen Zettel Sie meinen. Und der hängt mit dem Raub zusammen? Kann ich jetzt gar nicht mehr nachvollziehen. Sie müssen mir schon auf die Sprünge helfen“, erwiderte Petra nun ihrerseits um Beherrschung bemüht.

      „Frau Stautmeister, wollen wir das Gespräch wirklich fortsetzen oder möchten Sie nach Hause, vielleicht zu einem Arzt gebracht werden? Wir haben doch bereits ausführlich über den Ablauf des Raubes gesprochen. Wir müssen die offenen Fragen klären. Wollen wir das morgen machen?“ Bronk beobachtete Petras Reaktionen und fuhr fort, als sie sich zu einem heftigen Kopfschütteln entschieden hatte.

      „Also: Sie teilten mir mit, dass sich in der Kasse eine erhebliche Summe Bargeld befand. Wie gesagt, die Auflistung von Ihnen fehlt uns noch. Es stellte sich mir aber die Frage, wieso eine große Summe in der Kasse war. Heutzutage bezahlen doch viele, wenn nicht die meisten Leute, mit Karte, vor allem, wenn es sich um größere Geldbeträge wie beim Tanken, verbunden mit shoppen, handelt. Sie haben mir das so erklärt, dass Ihr Kartenlesegerät defekt war, und Sie dieses durch einen Zettel an der Eingangstür mitgeteilt haben. Diesen Zettel hätte ich gerne. In unserem letzten Gespräch waren Sie der Meinung, ihn in Ihre Hose gesteckt zu haben. Da war er aber nicht. Haben Sie diese Hose getragen, die Sie heute anhaben, mit der Sie sich gerade eben und am Tag des Raubes verheddert haben?“

      Petra hatte sich auf dem Stuhl kerzengerade aufgerichtet. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden, hatte dem Mahlen der Backenknochen Platz gemacht. Es war nur schwer auszumachen, ob sie die Frage nicht verstanden hatte oder nicht verstehen wollte, um Zeit zu gewinnen, Zeit, die sie benötigte um den Kommissar neu einzuschätzen, in erster Linie jedoch, um ihre aufsteigende Wut unter Kontrolle zu bringen.

      „Ich bringe Ihnen den Zettel. Ich habe ihn im Schmutzwäschekorb gefunden. Ist wohl aus der Hosentasche gefallen, als ich die Hose da reinschmiss. Sie hatten sich für mich nicht klar ausgedrückt, sonst hätte ich Ihnen den Wisch schon in die Hand gedrückt, bevor Sie überhaupt den Kassenraum betreten hatten“, fügte sie patzig an, was Bronk zu einem leichten Schmunzeln veranlasste. „Natürlich weiß ich auch, dass er mit dem Überfall in Zusammenhang steht oder sagen wir mal besser, stehen könnte. Weshalb Sie den Schrieb haben wollen, entzieht sich mir aber jeglicher Einsicht. Da ich jetzt kapiert habe, welchen Zettel Sie haben wollen, können wir ja davon ausgehen, dass Sie exzellent im Erklären sind. Dann werde ich ja wohl auch gleich kapieren, wozu Sie den Fetzen brauchen.“

      Mit hochrotem Kopf, der eindeutig ihrer Verärgerung zuzuschreiben war, stützte sich Petra an den Stuhllehen ab,