Mara Dissen

Todbringende Entscheidung


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können.

      „Er war wieder da, gibt einfach keine Ruhe. Der klammert sich richtig an mir fest. Manchmal habe ich das Gefühl, mich nicht mehr an alles zu erinnern, was ich ihm an den Tagen vorher gesagt habe. Rede dann einfach so drauf los. Das ist nicht gut, nein, quatsch. Das ist gefährlich, verdammt gefährlich. Ich bin fix und fertig.“ Petras letzter Satz war nur noch geflüstert, sodass sich Tanja vorbeugen musste, um ihn zu verstehen. Irritiert über Petras Verhalten, das ihr vollkommen wesensfremd erschien, hob und senkte Tanja ihre Schultern, breitete die Arme seitlich aus und überlegte fieberhaft, wie sie auf diese Aussage reagieren sollte.

      >Die dreht mir ab. Hätte ich nie von der gedacht. Von wegen Tobsuchtsanfälle, nix da, die klappt zusammen. Stell die ruhig<, schoss es Tanja durch den Kopf.

      „Hast du noch Schmerzen?“, täuschte sie Anteilnahme vor.

      „Na klar, was denkst du denn. Bin mit Tabletten zugedröhnt. Bin richtig, richtig dätsch.“

      Tanja warf ihr einen langen Blick zu, zog es vor, die Aussage nicht zu kommentieren.

      „Ich weiß immer noch nicht, weshalb du hierher kommen wolltest. Wir haben doch alles durch. Ich war doch vor zwei Nächten die ganze Zeit...“, unterbrach Tanja ihren Satz, als sie sah, dass Moni sich der Sitzgruppe näherte und fuhr flüsternd fort „bei dir und habe dir geholfen. Was willst du jetzt hier von mir?“, war sie kaum noch zu vernehmen.

      „Moni, muss das jetzt sein? Auch du hast doch bestimmt mitbekommen, dass ich hier ungestört ein Gespräch führen möchte. Also geh an deine Arbeit und verschwinde hier.“

      „Ich mache gerade meine Arbeit. Siehst doch, dass die Zeitschriften hier auf dem Tisch mal wieder neu geordnet werden müssen. Wenn du ungestört quatschen möchtest, mach das doch zu Hause oder geh in ’ne Kneipe“, quetschte Moni beleidigt eine Antwort heraus, drehte sich um und stolzierte mit durchgedrücktem Rücken zurück zum Empfangstresen.

      „Also los, mach schnell. Wir können hier nicht ungestört reden. Meine Kollegin wird keine Ruhe geben, bis sie weiß, was hier gerade passiert. Zur Not erfindet sie was, und darin ist sie sehr einfallsreich. War wirklich kein guter Gedanke, hierher zu kommen“, fuhr Tanja ihren Gast an, ohne sich über die Wirkung ihrer Worte Gedanken zu machen.

      „Du musst mir einfach nur zuhören und mich beruhigen. Das kannst du gut, ging doch vor zwei Tagen auch. Warum kommt der wieder, immer, immer wieder? Was will der ständig noch von mir? Der macht mir Angst. Ich habe es zuhause einfach nicht mehr ausgehalten. Ich muss mich wahnsinnig konzentrieren, immer wieder bei dem Gleichen zu bleiben. Der macht mich so verrückt, dass ich Angst habe, was anderes zu erzählen.“

      „Und deshalb kommst du hierher? Das hättest du mir auch am Telefon vorjammern können“, schnauzte Tanja sie an.

      „Ich wollte dich sehen, muss doch wissen, ob ich mich noch auf dich verlassen kann. Dafür muss ich dir in die Augen sehen können. Ich kann doch nicht zu dir nach Hause kommen. Du willst doch nicht, dass dein Mann mich kennenlernt“, beugte sich Petra flüsternd, mit schmerzverzerrtem Gesicht über Tanjas Schulter.

      „Ja, und hier hast du genauso wenig aufzutauchen. Das war von Anfang an klar. Das gehört zu unseren Absprachen. Schon vergessen? Warum solltest du dich nicht mehr auf mich verlassen können? Wir haben das doch alles schon durch. Wie oft denn noch?“ Angstvoll blickte sich Tanja nach ihrer Kollegin um, die schnell den Kopf in die entgegengesetzte Richtung drehte.

      „Wir können hier nicht weiter reden. Moni findet bestimmt einen Grund, hier wieder aufzutauchen. Ich bringe dich jetzt zur Tür und rufe dich heute Nacht zu Hause an. Bleib ruhig. Du bist vollkommen durch den Wind. Mach jetzt keinen Fehler.“

      Petra zog geräuschvoll die Nase hoch und verschmierte mit ihrem Handrücken den Rotz im Gesicht. Angeekelt reichte ihr Tanja ein Papiertaschentuch.

      „Hier, nimm und mach dich verdammt noch mal sauber. Wie bist du eigentlich hierher gekommen? Doch wohl nicht mit deinem eigenen Auto?“

      „Tanja, ich habe jetzt Feierabend. Kommst du?“, war Monis ungeduldige Stimme zu vernehmen.

      „Hörst du? Versprich mir, dich auszuruhen. Hast du noch genügend Schmerzmittel? Manchmal habe ich dich ja wegen deiner burschikosen Art und deiner Fäkalsprache, zu der du manchmal neigst, verabscheut. Ich muss aber sagen, so würdest du mir heute viel besser gefallen, als in dem Zustand, den du hier an den Tag legst. Also, werde wieder die Alte.“

      Petra stützte sich auf ihren Oberschenkeln ab und quälte sich mühsam aus dem Sofa zum Stand. Tanja umfasste ihren Arm und zog sie langsam Richtung Ausgangstür.

      „Lass das“, schüttelte Petra energisch Tanjas Hand ab. Es fiel ihr jedoch schwer, sich ohne Hilfe gerade aufzurichten, schlurfte mit kleinen Schritten, den Oberkörper weit gebeugt, zum Tresen, an dem sie sich mit beiden Händen festklammerte.

      „Na, genug gesehen und gehört? Dann fangen Sie mal an, ihre Geschichte zusammenzubasteln. Vergessen Sie aber nichts. Schau’n Sie mal.“ Mit einem leisen Stöhnen schob sie mit einer Hand ihre langen, braunen Haare hinter das rechte Ohr, hob langsam ihren Kopf, rang sich ein Lächeln ab, das ihr schmerzverzerrtes, knochiges Gesicht in eine hässliche Fratze verwandelte. Moni starrte entsetzt auf das blutunterlaufene Auge, das das Gesicht zu beherrschen schien und schnappte geräuschvoll nach Luft.

      „So, und nun machen Sie was draus und wehe, es entspricht nicht der Wahrheit. Dann komme ich wieder, und wir verfassen gemeinsam eine Geschichte.“ Ohne eine Reaktion abzuwarten, löste sie sich vom Tresen und schlurfte aus der Hotelhalle.

      „So gefällst du mir wieder“, rief Tanja lachend hinterher, um auf diese Weise ihr Entsetzen zu kaschieren, die aufgekommene Angst zu unterdrücken.

      „Sag mir, dass das nicht wahr ist. Ich träume wohl. Hat die mir eben gedroht? Die gefällt dir doch wohl nicht wirklich?“, stotterte Moni atemlos, konnte ihre Angst nicht verbergen.

      „Mach Feierabend. Sie wird nicht wieder kommen. Nein, ich mag sie nicht. Komm, fahr nach Hause“, murmelte Tanja, ohne ihre Kollegin anzuschauen.

      „Du, ich kenn die doch. Wenn ich mir das schreckliche Auge wegdenke, das andere hatte ja auch eine undefinierbare Farbe, mir mal vorstelle, wie groß und klapperdürr die wahrscheinlich ist, wenn sie sich so richtig hinstellt, die langen braunen Haare, dieses Schmutzigbraun und dann dieser entsetzliche Schlabberlook. Na klar, die war doch schon mal hier. Bei dir. Die hat hier gewohnt, hat doch bei mir eingecheckt. Warte mal. Hey, jetzt fällt mir sogar ihr Name ein. Stautmeister, na klar, Stautmeister heißt die. Die war deinetwegen hier oder habt ihr euch hier kennengelernt? Ihr habt euch doch prima verstanden, habt nach deiner Dienstzeit an der Bar gehockt, die Köpfe zusammengesteckt und stundenlang geredet. Sag mir ja nicht noch einmal, dass du sie nicht magst. Das ist aber alles irgendwie komisch.“ Mit jedem Satz nahm Monis Stimme an Lautstärke zu, steigerte sich in schmerzende Höhen.

      „Ich übernehme. Der Fahrstuhl bewegt sich. Es kommen Gäste. Benimm dich gefälligst und hau ab“, herrschte Tanja ihre Kollegin an, ohne auf die Ausführungen einzugehen. Unwillig kopfschüttelnd schnappte Moni ihre Handtasche, verließ grußlos das Hotel, betrat Sekunden später erneut die Halle.

      „Darüber reden wir noch mal, verlass dich drauf. So lasse ich mich von deiner Freundin nicht behandeln und von dir auch nicht“, fauchte sie Tanja an und rannte erregt aus dem Haus, als sich die Fahrstuhltür öffnete, und Gäste die Halle betraten.

      „Scheiße“, murmelte Tanja, bevor sie mit einem berufsmäßig aufgesetzten Lächeln die Gäste empfing.

      Müde und abgekämpft stand Tanja am frühen Morgen vor ihrer Haustür und suchte hektisch in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel. Zum wiederholten Mal durchwühlte sie die Seitentaschen, konnte sich nicht erinnern, in welchen Ecken des vollgestopften, überdimensionalen Beutels ihre Suchergebnisse bereits erfolglos verlaufen waren. Sie zwang sich, ihre fahrigen Bewegungen unter Kontrolle zu bringen, die Gedanken an das nächtliche Treffen mit Petra zu verdrängen. Es gelang ihr nicht. Sie