Mara Dissen

Todbringende Entscheidung


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sprach Bernd ihn unverblümt an.

      „Bist du dir ganz sicher, dass Corinna zu dem Kauf steht?“, brachte Claas statt einer Antwort gequält hervor.

      „Nein, das bin ich nicht. Kann ich bei ihr nie sein. Wann gibt’s denn hier den Startschuss fürs Essen?“, schrie er laut in Richtung Küche und lenkte von seiner Befangenheit ab.

      „Lass diese Machos ruhig schreien. Und du willst wirklich nicht in der neuen Firma deines Mannes arbeiten? Könnte euch doch schneller in ruhigeres Fahrwasser bringen, und ihr seid dann auch am Tag zusammen“, bemühte sich Tanja, die Entscheidung von Corinna nachzuvollziehen und goss das Dressing über den Salat.

      „Auf gar keinen Fall. Ich brauche meine Freiheit. Außerdem belastet mich das gar nicht, wenn Bernd und ich uns nicht so viel sehen. Das bildet er sich nur ein. Ich kann dann meinen Freizeitbereichen nachgehen, und das lasse ich mir nicht nehmen.“

      Tanja überlegte krampfhaft, von welchen Freizeitbereichen hier die Rede sein könnte und stellte überrascht fest, dass sie wenige Einblicke in Corinnas Leben hatte.

      „Was meinst du mit Freizeitbereich?“, hakte sie, nun deutlich an dem Thema interessiert, nach.

      „Nicht so wichtig, für dich zu wissen“, wiegelte Corinna ab. „Es wird schwer sein, in der neuen Stadt eine Arbeit für mich zu finden. Schließlich will ich auch nicht jeden Verkäuferjob annehmen“, wechselte sie das Thema.

      „Kann es sein, dass nur unsere Männer befreundet sind, und wir als Ehefrauen wohl oder übel einfach nur das dazugehörige Anhängsel?“, warf ihr Tanja gereizt an den Kopf und widerstand dem Versuch, von ihrer eigenen Unzufriedenheit in ihrem Beruf zu erzählen.

      „Wir gehen jetzt rein zu den beiden Männerfreunden“, ging Corinna einer weiteren Vertiefung des Gesprächs aus dem Weg.

      „Setz dich doch hier neben Claas“, forderte Bernd seine Frau auf und zeigte auf den freien Stuhl. „Dann kann sich Tanja neben mich setzen, und wir können unsere Freundschaft fast hautnah genießen“, lachte er schallend in die Runde. „So schnell haben wir das ja nicht mehr, wenn wir erst einmal da im unteren Teil Deutschlands sind“, hängte er melancholisch an. Corinna zögerte, bevor sie der Aufforderung ihres Mannes nachkam. Claas rückte seinen Stuhl unmerklich von Corinnas Seite, verschaffte sich Distanz, stellte mit Unbehagen fest, dass seiner Frau die Flucht vor Nähe nicht entgangen war.

      „Schade, dass die beiden so weit wegziehen. Ist ja fast wie auswandern. Ich könnte gut ohne Corinna auskommen, aber er wird dir bestimmt als Freund fehlen. Wir sollten sie wirklich so schnell wie möglich besuchen.“ Claas lag bereits im Bett und beobachtete die Anstrengungen seiner Frau, sich von ihrem BH zu befreien.

      „Ja, sollten wir machen“, antwortete er geistesabwesend. Je länger er seine Frau betrachtete, überkamen ihn erneut Zweifel, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Er bereute, dass er seinen Freund nicht eingeweiht hatte, ahnte, dass sich die Gelegenheit nicht mehr ergeben würde.

      „Lass uns schlafen“, kuschelte sich Tanja an die Schulter ihres Mannes und genoss das von Angst befreite wohlige Gefühl, wissend, dass es nur von kurzer Dauer sein würde.

      Kommissar Axel Bronk legte den Kopf in den Nacken und verfolgte mit prüfendem Blick, die sich verdichtende Wolkendecke. Das Ergebnis seiner Erkundung schien ihn zufrieden zu stellen, wie ihn überhaupt nur wenig aus der Ruhe bringen konnte. Nahezu andächtig versenkte er seine Hände in den Hosentaschen, konnte dabei ein wissendes Grinsen nicht unterdrücken. Er kannte seine Angewohnheit, seine riesigen, unförmigen Hände zu verstecken, sei es in Taschen, verschränkt unter den Achselhöhlen, unter Tischplatten oder zur Not im Sitzen auch unter seinen Oberschenkeln. Bronk nannte es liebevoll Marotte. Der Kommissar war mit sich im Großen und Ganzen im Reinen, wollte aber seinen Mitmenschen den Blick auf seine hässlichen, klobigen Hände ersparen. Er neigte im Gesicht zu Hautirritationen, die häufig mit starkem Juckreiz verbunden waren, weshalb er darauf verzichtete seinen starken Bartwuchs täglich einer Rasur zu unterziehen. Seine untersetzte, gedrungene Statur, die er selber als kräftig bezeichnete, verlieh ihm etwas Behäbiges, Schwerfälliges, was durch sein mitunter unglückliches, ungeschicktes Verhalten noch verstärkt wurde. Es wäre jedoch ein Fehler gewesen, Bronks Charakterisierung darauf zu reduzieren. Der Kommissar war als guter Zuhörer bekannt, der nicht nur einfühlsam mit Opfern agierte, sondern auch Wert auf eine angemessene Behandlung von potentiellen Tätern legte. Sein Umgang mit Kollegen war freundschaftlich und respektvoll, was ihn vor Anfeindungen schützte, wenn seine Ermittlungen wieder einmal auf umständliche Weise vorangebracht wurden. Bronk war ausdauernd. Seine Mitarbeiter wussten, wenn er seine schwer zu bändigende, dunkelbraune Lockenmähne durch starkes Kopfschütteln in Schwingung versetzte, was einige silbergraue Strähnen zum Vorschein beförderte, hatte er sich zäh in einen Fall verbissen.

      Bronk blieb vor dem Eingang der Tankstelle stehen, war unschlüssig, ob er sie betreten oder zunächst umrunden sollte und entschied sich für den Rundgang. Nach wenigen Metern klebte an seinen Schuhen eine dicke Matschschicht, was ihn zu der Einsicht führte, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Unter keinen Umständen wollte er der Tankwartin durch Verunreinigung des Verkaufsraums weitere Unannehmlichkeiten zumuten. Kopfschüttelnd stapfte er weiter, das Gebäude gewissenhaft mit den Augen absuchend, ohne zu wissen, was er zu finden glaubte.

      >Typisch Bronk! Wozu sollte das jetzt dienen?<, fuhr es ihm durch den Kopf, als er, bis zu den Knöcheln verdreckt, wieder vor dem Eingang ankam. Mürrisch stampfte er mehrfach mit den Füssen auf, versuchte nach mäßigem Erfolg, den Dreck an seinen Schuhen an einer Steinkante abzustreifen, zuckte zusammen, als ihm eine Hand auf die Schulter gelegt wurde.

      „Sie wollten doch bestimmt zu mir, Herr Kommissar. Lassen sie nur, wenn das trocken ist, fällt der ganze Dreck viel leichter ab. Kommen sie rein. Meine Kunden interessieren sich nicht für Sauberkeit. Die wollen hier nur billig tanken und shoppen und so schnell wie möglich wieder verschwinden. Nein, das stimmt nicht ganz. Seit einer Woche kommen viel mehr Kunden. Für die ist das Tanken zweitrangig, wollen mich sehen, mich, das Opfer und den Tatort, den sie dann wahrscheinlich zu Hause mit gruseligen, phantasievollen Details ausmalen. Nun kommen sie schon, gleich geht hier doch die nächste Husche runter.“ Energisch zog die Tankwartin den Kommissar am Jackenärmel zur Eingangstür. Nach wenigen Metern zuckte sie zusammen, ließ von ihm ab, krümmte sich, umklammerte mit beiden Händen ihren Nacken, trippelte gebückt, laut stöhnend in den Verkaufsraum und suchte Halt an einem Regal.

      „Frau Stautmeister, wie kann ich Ihnen helfen?“, folgte ihr Bronk aufgeregt, sah sich situativ als Verursacher der körperlichen Qualen.

      „Gleich, geht gleich wieder“, brachte es Petra Stautmeister kurzatmig, mit schmerzverzerrtem Gesicht fertig, den Kommissar auf Abstand zu halten. Bronk schaute sich suchend um, entdeckte einen Hocker, der scheinbar als Tritt zum Erreichen der oberen Regalbretter gedacht war, schnappte ihn sich, eilte zurück und drückte Petra sacht aber nachdrücklich auf die Sitzfläche. Petra schenkte ihm ein dankbares Lächeln, wollte sich jedoch sofort wieder erheben.

      „Nein, nein, Sie bleiben jetzt erst einmal hier sitzen, bis ich mich davon überzeugt habe, dass Sie keinen Arzt benötigen.“

      „Das geht nicht. Schauen Sie sich doch mal die Schlange da draußen an. Nur weil der eine Typ da am Zapfhahn nicht zu Potte kommt, ist hier am Tresen noch nicht der Teufel los. Die wollen nicht nur tanken, die kaufen auch. Das ist ein wichtiger Verdienst für mich, und den brauche ich dringender denn je. Sie wollten doch bestimmt auch noch etwas von mir, sonst wären Sie bei Ihrer vielen Arbeit nicht hierher gekommen. Wir können uns gerne unterhalten. Wird schon irgendwie gehen.“ Petra hatte ihren Oberkörper wieder aufgerichtet, drehte ihren Kopf zur Seite, sodass es ihr gelang, dem Kommissar schräg von unten ins Gesicht zu sehen. Sie bemühte sich, einen koketten Gesichtsausdruck aufzusetzen, ohne Spuren des Schmerzes ganz zu verdrängen. Als sie sich erheben wollte, wurde sie von Bronk entschieden zurückgedrückt.

      „Ich erledige das jetzt hier. Die nächsten zwei Wagen fertige ich für sie noch ab, dann schließen wir. Lassen Sie mich nur machen. Das Geld, das Ihnen