E.R. Greulich

Zum Heldentod begnadigt


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und eines deutschen Soldaten unwürdig. Mein zweiter Fuß ist noch lange nicht über die Schwelle, da brüllt's mir auch schon entgegen: "Noch mal rrausss!" Fluchtartig schließe ich die Tür und stehe wieder da wie vor einer unüberwindlichen Eskaladierwand. Diesmal klopfe ich an und nehme die Mütze in die Hand. Wieder muss ich zurück. Beim dritten Mal endlich hat der Himmel Erbarmen, besser gesagt der Spieß, was ja hier dasselbe ist, vielleicht auch ein bisschen mehr.

      "Richtig ist's noch lange nicht", sagt der Spieß, "aber bleiben Sie jetzt hier. Sie heißen mit Vornamen?" Er trägt alles fein säuberlich ein.

      "Sie sind Grafiker", sagt er sarkastisch am Schluss, "dann tippe ich bei Ihnen auf Hochverrat."

      "Erraten", antworte ich nicht ganz soldatisch, was ihm aber sichtlich imponiert. Er gibt mir nun Belehrungen, wie ich die Schreibstube zu verlassen hätte, und mit gespieltem Bemühen zaubere ich einen einigermaßen Abgang.

      An diesem Abend füllt wieder das Geschwätz Hedlers die Stube. Er steht kurz vor seiner Prüfung als Kraftfahrlehrer und sieht sehr schwarz für sich! Er stellt seine Prüfung so dar, als wäre sie für einen normalen Durchschnittsmenschen einfach nicht zu bestehen. In den nächsten Tagen ist er sehr nervös, sehr engagiert, und seine selbst gepriesene Loyalität hat wesentlich nachgelassen. Unteroffizier Gotze übernimmt für ihn den Dienst des Stubenältesten.

      Gotze schauspielert den Strengen und macht mächtigen Rabatz, wie der Landser sagt. Er hat's auch bitter nötig, denn er ist von Natur alles andere als ein Soldat. Viel zu gutmütig und menschenfreundlich, die beiden unbrauchbarsten Eigenschaften beim Kommiss.

      Zwei interessante Gegensätze: Hedler spiegelt vor, was bei ihm nicht da ist: Kameradschaft und Menschlichkeit. Gotze spiegelt vor, was bei ihm nicht da ist: Strenge und eiserne Härte.

      Kein Wunder, dass man sich mit Gotze besser versteht. Sein Theaterdonner, den er oft über unsere Stube hinpoltert, kränkt nicht, sondern amüsiert mich insgeheim. Selbst dann, wenn ich manchmal mitleiden muss unter allgemeinen Strafprozeduren.

      Wir werden eingeteilt. Der größte Teil des Stabes muss vorerst Dienst bei der 1. Kompanie mitmachen, der kleinere Teil kommt zu Feldwebel Tarstag in Funkerausbildung. Ich gehöre nicht zu den Letzteren. Ich lerne bei Unteroffizier Scharer, dass ich reinweg gar nichts kann. Nicht mal stillstehen. Gott sei Dank können es die anderen auch alle nicht. Wir bekommen es gelehrt. Linksum, rechtsum, stillgestanden, in Linie zu einem Gliede angetreten usw., wie der Landser sagt, bis zur Vergasung.

      Ich glaube, dass der Dienst bei den Funkern nicht ganz so nervtötend ist, und spreche mit dem Spieß wegen meiner Versetzung zu den Funkern. Der Versuch glückt, und ich komme vom Regen in die Traufe. Wir paar Mann werden von Feldwebel Tarstag gesondert geschliffen, und zwar noch toller als in der 1. Kompanie. Lediglich in der Zeit, in der die anderen am Maschinengewehr gedrillt werden, weiht man uns in die Wunder des Funkens ein.

      Heute muss der ganze Stab das erste Mal antreten. Der Spieß hält eine Rede, die dasselbe Konzept verrät wie die des Leutnants. Danach kommen die praktischen Tagesfragen. Vielerlei wird durchgesprochen. Aber eine Angelegenheit wird nur schüchtern gestreift: Wir dürfen einen Feldpostbrief in der Woche schreiben, der unverschlossen auf der Schreibstube abzugeben ist und vom Führer des Stabes gelesen wird. Leutnant Grabe liest auch alle ankommenden Briefe. Es ist bei Strafe verboten, das Postamt des Truppenübungsplatzes zu benutzen, ganz gleich, zu welcher Art der Nachrichtenübermittlung. Telegramme bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Regimentschefs.

      Nachdem wir weggetreten sind, summt es heftig auf der Stube. Am schwersten leiden die unter den Bedingungen, die schon seit Langem ihre Strafe hinter sich haben und die Unbequemlichkeiten des Gefangenseins fast vergaßen. Diejenigen, die direkt aus dem KZ hierher geholt wurden, nehmen es stur. Für sie hat sich die Lage insofern gehoben, als sie relativ besseres Essen bekommen. Alle anderen Beschränkungen sind sie zu gewohnt, als dass es sie sehr berühren könnte. Die aus dem Moor Gekommenen haben nur eine begreifliche Hauptsorge. Wann können uns unsere Frauen besuchen?

      Die Antwort ist sehr dazu angetan, hohe Kampfeslust unter uns neuen Rekruten zu entfachen. Vorläufig überhaupt nicht heißt es, nach Weihnachten soll versucht werden, denen, die sich tadellos geführt haben, einen Besuch ihrer Frau zu ermöglichen.

      Ein buntes Gitter umgibt uns, gewirkt aus einem reizenden Muster von Versprechungen, Verboten, Verboten, Versprechungen.

      "Bist du auch T d f geschrieben?" fragt mich Paul, dem es ebenfalls gelungen ist, zu den Funkern zu kommen.

      "T d f?" glotze ich dumm.

      "Ja, tropendienstfähig. Was auf dem Zettel gestanden hat bei der ärztlichen Untersuchung."

      Ach so, der Zettel. Da habe ich das Draufsehen verpasst.

      Aber ich weiß ohnehin, dass ich T d f bin."

      "Gut", sagt Paul befriedigt, "da bleiben wir ja zusammen."

      Er war Angestellter bei einem großen Konzern. Seine höhere Schulbildung erkennt man leicht an der gepflegten Sprache. Die neue Atmosphäre bedrückt ihn. Der meist zusammengekniffene Mund ist sichtbarer Ausdruck dafür. Seine Ungeschicklichkeit nimmt oft rührende Formen an gerade, weil er sich krampfhaft bemüht, ein guter Soldat zu sein.

      Als ich ihn einmal allein fassen kann, sage ich ihm, dass mir sein unverhohlener Eifer auffällt. "Du könntest bei deiner Unbeholfenheit doch gut den braven Soldaten Schweyk mimen", schließe ich meine Beobachtung.

      "Nein", sagt Paul ernst, "erstens fehlt mir die pfiffige Dummfrechheit des Schweyk dazu, und dann ist das doch kein Massenausweg. Besonders nicht in unserer Einheit, wo man sowieso auf derartige Manöver von uns rechnet. Ganz abgesehen davon", fährt er schmunzelnd fort, "halte ich den anderen Weg für klüger, denselben, den du auch gehst."

      "Nämlich?" frage ich gespannt.

      "Durch Vorbildlichkeit in Kameradschaft und jeder anderen Beziehung eine stille Autorität unter den Kameraden zu erwerben.

      "Sehr gut", sage ich nun auch schmunzelnd, "du hast wohl den ,Stillen Don' gelesen, Paul?"

      "Allerdings", lacht er, "und noch andere gute Bücher. Und schon daher weiß man, dass dieser Wahnsinn eines Tages zusammenbrechen muss. Und auf wen werden dann die führungslosen Kameraden hören?"

      "Nicht auf die, die sich die Zeit vorher zu Kompanieclowns machten", ergänze ich Paul. "Richtig", sagt er und gibt mir die Hand. Wir verstehen uns.

      Es kommt nach mehr Nachschub in unsere Stube. Teils Schicksalskameraden, teils "Unbelastete" von anderen Truppenteilen, Oberschützen Gefreite, Obergefreite. Die Kommandierten sind völlig unbescholten und durchweg mehrere Jahre Soldat. Das Leben wird toll in der Bude. Etwa sechzig Mann in einem Raum von ungefähr 8 mal 10 Metern. Trotzdem muss alles nach altpreußischem Muster wie am Schnürchen klappen. Der väterliche Ton des Spießes und der Ausbildungsunteroffiziere ist nach einer knappen Woche weggeblasen wie Tarnungsgras vom Winde.

      Am Sonntagmorgen haben wir als Soldaten die erste Instruktionsstunde beim Führer des Stabes, Leutnant Grabe. Zuallererst beschwert er sich, dass unsere soldatischen Manieren schlecht sind, und droht endgültig für falsches Betreten der Schreibstube Strafen an. Dann teilt er uns mit, dass derjenige, der vor dem Feinde fällt, vom Führer die Wehrwürdigkeit zugesprochen bekommt. Ob jemand noch irgendwelche Fragen hätte. Viele melden sich. Der erste fragt: "Wie ist das zu verstehen, Herr Leutnant, auf unseren Gestellungsbefehlen steht doch extra in Rotschrift: Für die Dauer Ihres Wehrdienstes ist Ihnen die Wehrwürdigkeit verliehen. Jetzt sagen Sie, die wird erst nach dem Heldentod vom Führer gegeben."

      Leutnant Grabe ist unangenehm berührt. "Sie haben doch noch nichts geleistet. Um Ihre endgültige Wehrwürdigkeit zu erlangen, müssen Sie erst einmal beweisen, dass Sie bereit sind, für Führer und Vaterland alles zu opfern, notfalls das Leben. Was auf Ihren Gestellungsbefehlen stand, ist eine vorläufige Angelegenheit."

      Die Instruktionsstunde ist wirklich wertvoll. Ich weiß nun, dass es in Deutschland zwei Arten von Wehrwürdigkeit gibt, eine vorläufige und eine endgültige. Die vorläufige ist für das aus Strafhäusern und KZs zusammengetriebene Kanonenfutter, die endgültige,