E.R. Greulich

Zum Heldentod begnadigt


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wird weiter gefragt. Leutnant Grabe macht ein ungeduldiges Gesicht.

      "Was ist dann", fragt einer, "wenn man gefangen genommen wird?"

      Der Führer des Stabes richtet sich auf: "Darüber müssen Sie sich klar sein, dass dies das größte Unglück ist, das Ihnen zustoßen kann. In jedem Falle wird es Ihnen nach Beendigung des Krieges schwerfallen, nachzuweisen, dass Sie nicht übergelaufen sind, sodass Sie bei Ihrer Rückkehr mit einem Landesverratsprozess zu rechnen haben. Sie wissen, das bedeutet die Todesstrafe."

      Mäuschenstill ist es nach diesen Worten des Leutnants. Man hört die Einzelnen atmen.

      Zum Abschluss sucht Leutnant Grabe uns klarzumachen, dass die Briefzensur nicht so schwer genommen werden solle. Er, nur er persönlich lese die Briefe, und wenn er auch noch verhältnismäßig jung sei, so habe er sich als Soldat die nötige Lebenserfahrung geholt. Zudem sei er selbst verlobt, kenne die kleinen Freuden und Leiden von Braut- und Eheleuten und lese sowieso diskret über die intimen Briefstellen hinweg.

      Woran wir die Kontrolle hätten, dass nur er die Briefe lese, wagt einer zu fragen. 'Leutnant Grabe lächelt überlegen: "Erstens durch mein Wort, das ich Ihnen gebe, dann an meinem Namenszug auf der Rückseite der zensurierten Briefe, und drittens merken Sie ja selbst, dass Sie lange auf die Post warten müssen. Wenn sie jeder x-beliebige Mann lesen würde, bekämen Sie die Briefe schneller ausgehändigt und dürften auch mehr wegschicken je Woche. Aber ich kann mich nicht zerreißen, ich bin auch nur ein Mensch."

      Die Instruktionsstunde war beendet, und wir hatten das Wort des Leutnants, dass nur er allein unsere Briefe zensuriere. Nach drei Wochen kam Leutnant Grabe weg von uns. Die nächsten Briefe waren mit dem Zeichen des Spießes und teilweise mit dem Feldwebel Tarstags versehen.

      Die Unentwegten bohren immer wieder an um Ausgang. Da fällt das Zauberwort: Nach der Vereidigung. Selbstverständlich warten nun alle mit Ungeduld auf den "großen Tag". Der Probesonnabend kommt. Die Offiziere sind aufgeregt, als gelte es heute schon. Selbstverständlich geht alles daneben. Wie auf einer richtigen Generalprobe. Tolle Dinge werden angedroht, sollte die morgige Uraufführung nicht besser ausfallen.

      "Das kommt mir vor wie eine Farce", sagt Paul, "zu so einer feierlichen Handlung eine Generalprobe."

      "Kommiss, Paul", versuche ich seine Stirnfalten aufzulockern. "du bist immer noch zu sehr Zivilist. Bevor du wirklich Soldat bist - das heißt, der Mann, der sich fürs Dritte Reich mit dem Tod rumschlägt - bist du erst mal Schauspieler. Die besten Schauspieler kommen am schnellsten zu Sternen und Tressen. Hier ist alles Kino, fauler Zauber, Kulisse. Natürlich nach festen Regeln, genaueren als auf der Bühne. Du kannst ein Schweinehund sein. Wenn deine Kehrtwendungen klappen, wenn's klatscht bei deinen Gewehrgriffen, dann bist du ein angesehener Mann. Dein Stillgestanden mag technisch einwandfrei sein, wenn's nicht knallt dabei, weil deine Hacken zu konisch und nicht mit einem Hufeisen versehen sind, dann taugt es nur halb soviel. Im schlimmsten Schauerdrama wird nicht mit soviel Gewitter- und Windmaschinen gearbeitet. Wer den farblosesten Untergrund liefert, lässt sich am besten streichen, gibt also das beste Material."

      "Das heißt also, der Charakterloseste hat hier die größten Chancen", sagt Paul.

      "Erraten", spöttele ich.

      Sonntag früh hat es gefroren. Der Schnee knirscht, und mir tut die Kapelle leid. Das Regiment nimmt im Karree Aufstellung und wartet. Wartet ziemlich lange, und dann kommt der Regimentschef, Oberstleutnant Harung. Er soll ein alter Afrikaner sein. Seine Stimme jedenfalls macht es glaubhaft. Er röhrt wie ein heiserer Schakal. Gemessenen Schrittes betritt er das Pult, das mit Tannengrün und dem Hoheitszeichen geschmückt ist, und spricht bekannte, schon oft gehörte Worte. Die Eidesformel wird von einem Offizier vorgesprochen, Satz für Satz wird nachgebetet. Ich muss wieder an Pauls gestriges Wort denken: Farce. - Wir sehen uns eine Sekunde lang in die Augen, und ich weiß, dass auch er daran denkt.

      Wir stehen, stechen die Eidesfinger in die Luft, und der Arm wird uns lahm. Ich denke: Ein erzwungener Eid ist kein Eid. Ich weiß, dass Hunderte Kameraden jetzt ähnlich denken. Das allein macht die peinliche Theatervorstellung erträglich.

      Am nächsten Morgen nach der Vereidigung haben wir Instruktionsstunde beim Führer des Stabes. Wieder ein wichtiges Thema. Leutnant Grabe klärt uns über den genauen Begriff der Fahnenflucht auf.

      "Wenn ein Soldat in der Kneipe sitzt", beginnt der Leutnant mit einem praktischen Beispiel, "und geht nicht rechtzeitig nach Hause, sondern bleibt über die Urlaubszeit dort sitzen, was ist das, Schneider? Schneider, setzen Sie sich noch einmal hin! 'Himmeldonnerwetter, was ist das für ein lahmarschiges Aufstehen! Das mach ich ja mit meinen verwundeten Beinen besser! Also los, Schneider, machen Sie Ihren Mund auf. Was begeht der Soldat, der seinen Urlaub überschreitet und dabei gefasst wird?"

      "Fahnenflucht."

      "Falsch, Schneider! - sagen Sie es ihm, Thieme, Sie sind ja ein alter Aktiver."

      "Unerlaubte Entfernung von der Truppe, Herr Leutnant!"

      "Sehr gut. Sehn Sie, Schneider, so wird geantwortet,"

      "Jawohl, Herr Leutnant!"

      "Na also", schnauzt Leutnant Grabe.

      "So, und wenn nun einer hier die Lust verliert, zu seinem Kameraden äußert, dass er nicht mehr mitmachen will, steigt bei Nacht und Nebel über die Umzäunung und wird nach einigen Tagen gefasst, was ist das?"

      Der dicke Heinrich Polz grient.

      "Na, Polz, was ist das?"

      Polz springt auf, grient aber weiter. Der Leutnant ist mindestens ebenso gespannt wie wir.

      "Pech, Herr Leutnant."

      "Stimmt, Polz", Grabe geht auf den Scherz ein, "ich meine jetzt juristisch gesehen, als Tat."

      "Landesverrat, Herr Leutnant."

      "Blödsinn, Polz, das hat mit Landesverrat nichts zu tun, das ist Fahnenflucht. Und womit wird das bestraft, Griebe?"

      "Mit dem Tode, Herr Leutnant"

      Durch … Litke?"

      "Durch das Gewehr, Herr Leutnant,"

      "Quatsch, Litke, wie heißt das?"

      "Es heißt so, Herr Leutnant."

      "Warum heißt es so?"

      "Es heißt ja auch durch den Strang, durch das Beil oder durch den elektrischen Stuhl, Herr Leutnant."

      "Einverstanden, Litke. Aber in unserem Fall heißt es durch Erschießen. Und das ist eine unangenehme Sache. Ich rate Ihnen, Finger davon. Wenn man erst dieses heiße Metall im Bauch hat, braucht man nie wieder eine andere warme Mahlzeit. Ganz abgesehen von der Unehre, die für alle Ewigkeit auf demjenigen lastet."

      "Det würde mir ooch zeitlebens bedrücken", flüstert einer in meiner Nähe.

      Leutnant Grabe erhebt sich befriedigt über den Eindruck seiner Worte. "So, Schluss jetzt." Er wendet sich zum Gehen. Einer spritzt wie ein Besessener zur Tür und reißt sie auf. Einer brüllt "Achtung!"

      Als hätten sie Explosivstoff unter den Gesäßen, springen sechzig Mann in einem einzigen Knall auf, Blickwendung zum Leutnant. Der steht lächelnd in der Tür, dankt noch einmal durch lässiges Anlegen der Hand an die Mütze und geht. Es klappt schon ganz schön. Ein doller Rummel.

      2

      Ob die anderen Einheiten unseres Regiments nicht so guten Unterricht über Fahnenflucht erhalten haben?

      Nicht lange nach dieser Instruktionsstunde geht grauengeladenes Wispern durch die Stuben. "Einer ist erschossen worden wegen Fahnenflucht" Das Wispern bestätigt sich. Der Spieß verliest einen Regimentsbefehl, der folgendermaßen schließt: "… Des Morgens um sieben Uhr wurde das Urteil vollstreckt."'

      Vielen armen Teufeln scheint das nicht so schön klargemacht worden zu sein, denn ähnliche Regimentsbefehle werden uns noch des Öfteren vor Weihnachten vorgelesen. Von unserem Haufen versucht keiner auszureißen.

      Ist