E.R. Greulich

Zum Heldentod begnadigt


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bedacht sind. Diese Lockerungen bestehen in Sonntagnachmittagsurlaub, alle vierzehn Tage einmal. Wir Funker unter Aufsicht Feldwebel Tarstags und der Funkunteroffiziere Schmott und Mirat. Tarstag ist für jeden Einzelnen von uns verantwortlich. Er weiß genau, dass seine Berufssoldatenlaufbahn hin ist, wenn er mit einem weniger zurückkommt.

      Das erste Mal marschieren wir in ein benachbartes Nest und kehren in die Dorfkneipe ein. Es gibt nichts weiter als dünnes Bier.

      Wir sitzen vor unserem Dünnbier und sind sooo lustig.

      Wer austreten will, muss sich bei Tarstag abmelden. Unruhe flackert auf in seinen Augen, wenn einer etwas länger bleibt. Es ist eine Viecherei, für ihn und für uns. Als wir endlich ein wenig warm geworden sind vom Tabaksrauch und vom lauten Leben in der Kneipe, müssen wir wieder aufbrechen. Leicht aufgelöst in kleine Trupps trotten wir nach Hause. Wo kein Unteroffizier dabei ist, wird gespöttelt. Einige fluchen.

      "Uff solch een Ausjang vazichte ick", räsoniert Necke, "da leje ick ma lang uffs Bette, denn weeß ick, wat ick von'n Sonntach zu halten habe und brauch die Komödje nich mitzumachen:'

      "Vergiss nicht", sage ich, "dass das Hinlegen auf die Betten am Tage verboten ist."

      "Denn mach ick ehmd krank", murrt er weiter, "wenn man uns Klamauk macht, kann ick det ooch mal umjekehrt uffziehn."

      "Und was das Schlimmste ist", empört sich Paul Lewenz, "im ganzen Lokal nicht ein einziges Mädchen, keine Frau, kein weibliches Wesen. "

      "Oho", provoziere ich, "war denn die Dame hinter dem Schanktisch nichts?"

      "Seit wann sind denn sechzigjährige Muhmen weibliche Wesen?", entrüstet sich Paul, "es ist nicht nur schlimm gewesen, sondern auch verdächtig." Er bohrt sich richtig in den Gedanken hinein. "Die Leute im Ort guckten alle so dumm."

      "Du merkst aba ooch allet", stichelt Necke, "meinste, det hat sich hia noch nich rumjesprochen, det uffn Heuberg Zuchthäusla ausjebildet werden?"

      "Ja", sagt Paul, "das ist mir auch aufgefallen. Soldaten sind sonst das Zauberwort für alle Weiberröcke. Uns fliehen sie. Für diese Volksgenossen sollen wir nun begeistert in den Krieg ziehen. Es macht keinen Spaß."

      Polz lacht brutal: "Mensch, du Dussel bist doch nich hier, damit et dia Spaß macht. Kriech is übahaupt keen Spaß. Kriech is großa Rotz. Det merk dia, dass de uffhörst zu spinnen."

      "Recht hast du", sinniert Paul, "man muss viel abgebrühter werden. Schließlich beurteilen mich ja diese Menschen ganz falsch. Die wissen gar nicht, dass ich wegen meiner Gesinnung im Zuchthaus gesessen habe. Die sehen in jedem Zuchthäusler den Mörder, Totschläger oder Räuber."

      "Det sind doch heute die wenichsten", murrt Pelz, "Schleichhandel, Schwarzschlachten und allet die Sachen haben sich die Herren janz alleene uff'n Hals jeladen. Hättense keen Kriech machen soll'n. Jetzt sind Zuchthäusa und Konzertlaga proppevoll. Und wenn man's ehrlich bekiekt, steht heutzutare jeda Deutsche mit een Been ins Zuchthaus. Wenn du zum Beispiel mit hundert Mark Wochenlohn uff deine schmalen Karten Kohldampf schiebst und dir bietet ena ne fette Jans an foa zehnfachet Jeld, denn kofst se. Weil eenmal sattjefressen mehr wert is als det janze Papierjeld. Kricht man dia nu dabei, denn wirste vaknackt und kommst als Volksschädling hinta Stacheldraht und Jitta. Haste dia jenuch abjehungert dahinta, wirste mit vorläufija Wehrwürdichkeit betraut und darfst for die Dussels den Heldentod sterben, die alle detselbe bejehn, dia aba trotzdem schief ankieken, weil se bis jetzt noch nich jeschnappt wurden." Polz ist ordentlich in Fahrt, und es ist gut, dass wir nur zu viert sind, denn es gibt Leute, die glauben, ihre Scharte dadurch auswetzen zu können, dass sie sich als Hundertfünfzigprozentige gebärden.

      Meine Vermutung verdichtet sich verdichtet sich, dass Polz wegen Schwarzschlachtens 'gesessen hat.

      Wir sind angelangt vor dem Schlagbaum des Truppenübungsplatzes. In Marschordnung geht es zur Baracke. Tarstag ist zufrieden, es fehlt niemand. Ausgehungert von dem erhebenden Ausgang fallen wir über unsere bescheidene Abendration her.

      Einmal komme ich noch zu einem Ausgang in meiner Ausbildungszeit in Deutschland. Erst habe ich Lust abzublasen, aber die Kameraden drängeln. Sie möchten jemand dabei haben, der Klampfe spielt. Sie wollen nach Winterlingen marschieren, eine Strecke weg vom Heuberq, wo man uns angeblich noch nicht kennt, wo also die Aussicht besteht, mit holder Weiblichkeit in Berührung zu kommen. Außerdem könnte man einen unzensurierten Brief in Winterlingen im Briefkasten verschwinden lassen. Das Letztere gibt den Ausschlag, und ich gehe mit. Unser Funkunteroffizier hat uns telefonisch angemeldet, und so platzen wir nicht ganz unerwartet in die Wirtschaft. Das hat den Vorteil, dass jeder von uns außer dem Dünnbier einen Schnaps bestellen darf. Auf mehrmaliges Anstoßen später noch einen. Die Atmosphäre ist tatsächlich bedeutend wärmer als beim letzten Mal. Wir werden zwar nicht von Weiblichkeit erdrückt, aber es sind ein paar nette Mädchen anwesend, die unsere berüchtigte Einheit nicht zu kennen scheinen. Unteroffizier Schmott setzt sich ans Klavier, ich stelle mich mit der Gitarre dazu.. Wir werden langsam aufgeräumt. Doch wir sind noch lange nicht aufgetaut, da bläst Tarstag zum Aufbruch. Wir haben eine Wut. Noch fünf Minuten werden Tarstag abgerungen, aber dann ist der Aufbruch so plötzlich, dass es beinah wie Flucht aussieht. Tarstag hat beobachtet, wie einige Augenpaare schon zu tief ineinander schauten. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Frau Anlass zur Fahnenflucht ist.

      Draußen herrscht Stockfinsternis, trotzdem finden sich alle ein. Wir marschieren wie die Besessenen, getrieben von der Ungeduld Tarstags.

      Drei Kilometer vorm Heuberg liegt eine Schenke am Ausgang eines kleinen Dorfes. Unteroffizier Schmott schaut auf die Uhr.

      "Donnerwetter, sind wir geklotzt."

      Eine kurze Besprechung mit Tarstag verläuft positiv. Wir kehren ein, denn wir haben praktisch noch anderthalb Stunden Zeit. Tarstag wollte uns bloß von den Fahnenfluchtanlässen forthaben.

      Als wir in die Kneipe kommen, wollen grad zwei Fräulein aufbrechen. Unter Hallo werden sie genötigt dazubleiben. Es sind die einzigen weiblichen Wesen ohne "Begleitung". Anfangs fühlen sie sich wohl als Mittelpunkt so vielen Mannsvolkes. Aber eine halbe Stunde nach unserer Ankunft rüsten sie unaufhaltsam zum Aufbruch. Ein ganzes Rudel möchte sie "vor die Tür" bringen.

      Es werden Blickgefechte ausgefochten. Die besten Chancen bei der kleinen Schwarzen scheint Spockermann zu haben. Er bleibt auch am längsten draußen. Tarstag wird unruhig und geht selbst nachsehen. Vor dem Schanklokal herrscht Dunkelheit und Stille. Nichts von einem abschied nehmenden Pärchen, nichts von Spockermann.

      Unruhig geworden, gehen wir alle suchen. Ergebnis: Spockermann ist fort. Tarstag sitzt mit mahlenden Backenknochen und geballten Fäusten. Alle sind wütend, sitzen und warten. Warten und hoffen, dass er noch kommen wird. Der Uhrzeiger rast erbarmungslos. Bis zur letztmöglichen Sekunde wird gewartet. Dann geht's im Eiltempo über schneeverharschte Felder. Ab und zu prasselt ein schlimmer Fluch.

      "Det hat uns noch jefehlt, schimpft Polz, "jetzt könn' wa vielleicht 'ne Suppe auslöffeln."

      Ein Stück vorm Schlagbaum steht an einem Chausseestein Spockermann. Tarstag erkennt ihn. Keines Wortes würdigt er den Mann, der ihm eine solch angstgehetzte Stunde bereitet hat. Schweigend schließt sich Spockermann an. Wie ein Verfemter trottet er hinter uns her, unserm Bau entgegen.

      Zu Haus setzt es ein schweres Donnerwetter auf der Schreibstube, dessen sehr lauter Kontrahent sich im Spieß verkörpert, während den um so stilleren Spockermann abgibt.

      Er wird verurteilt zu vier Wochen Stubendienst. Für uns fallen noch allerhand neckische Verschärfungen dabei ab, mit der deutlichen Absicht, uns zu einem Nachtbesuch bei Spockermann anzuregen, bei ihm den "heiligen Geist" erscheinen zu lassen.

      Da das nicht gelingt, haben wir beim Spieß mächtig eingebüßt. Sein vorher gar nicht so unangenehmer Sarkasmus geht über in offenen Hohn und hässliche Redewendungen. Er macht aus seiner Meinung keinen Hehl, dass er uns allesamt als Verbrecher betrachtet. Spockermann wird von uns zwar nicht des Nachts verhauen, aber von allen gemieden.

      Lange Zeit nachdem, wir lagen bei Tebourba, und Spockermann hatte sich durch kameradschaftliche Haltung rehabilitiert, frage ich ihn eines Nachts, als wir Wache stehen,