Beate Morgenstern

Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten


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wurde, hörte die Toleranz auf. Sein Atelier der Straße zu. Da störte kein Baum. Er brauchte Licht seiner Arbeit wegen und hatte welches. Sie war von Sonne abhängig, ging auch im Winter ins Bräunungsstudio, um ihre bleiche Gesichtsfarbe aufzubessern, wurde dennoch nicht besonders braun. (Er hingegen sah nach den ersten Sonnenstrahlen wie ein Südländer aus.) Matt war sie. Aber das war ja normal. Sie schaltete wie üblich den Klassiksender an. Ein Konzert wurde übertragen. Sie nahm sich eine Decke, schlief ein. In der Nacht wurde sie wach. Immer noch lief das Radio. Sie holte sich aus dem Kühlschrank ein Glas Saft, bekam darüber Hunger, schnitt sich vom Käse ab und ging dann ins Schlafzimmer. Er hatte es offenbar vorgezogen, in seinem Atelier zu schlafen, was er sonst nie tat. Aber sie wollte sich keine Gedanken machen. Sie brauchte ihren Schlaf.

      In den nächsten Tagen kam er nur, um sich etwas zu essen zu holen. Er offenbar in einer guten Phase, redete allerdings mit ihr nur das Notwendigste, erkundigte sich nicht, ob es ihr wieder besser gehe. Nichts. Auch sie fragte nicht nach seiner Arbeit, wie sie es sonst tat. Mal zeichnete er sie in der Küche. Bleib so sitzen, sagte er. Seine Augen glitten beim Zeichnen über sie weg, als sei sie irgendein Gegenstand. Was ist?, fragte sie schließlich. Bist du mir böse?

      Er schüttelte den Kopf, sah sie jetzt aber voll an. Der Ausdruck in seinen Augen vielleicht schwermütig. Dieses Gesicht mit dem dunklen Stoppelbart, der Nase, die sich der linken Gesichtshälfte zuneigte, dem höher stehenden, größeren Auge. Es war ihr vertraut. Sie meinte immer, sie könne alle Stimmungen herauslesen. Doch er hatte es abgeschlossen, so dass sie zu seinen Gedanken keinen Zugang hatte. Ich wüsste auch nicht, weshalb. Ich bin dir ja auch nicht böse, fügte sie hinzu.

      Schön, sagte er.

      Aber irgendetwas stimmt nicht. Nicht reden!, ermahnte er.

      Sie gehorchte. Wenn er arbeitete, durfte man nicht den Mund aufmachen. Dann sagte sie sich, dass sie aus der Tatsache, dass er sie zeichnete, schließen konnte, er wandte sich ihr zu. Eigentümlich aber war schon, mit welcher Distanz er sie plötzlich behandelte.

      Als er eines der Blätter weglegte, wagte sie, wieder zu reden: Ich werde mich für die nächste Woche gesundschreiben lassen.

      Ja.

      Eingekauft müsste werden, das Übliche. Wenn du das übernehmen könntest. So gut fühle ich mich noch nicht.

      Ja.

      Ja, du machst es oder ja, du hast es gehört?

      Ja. Nichts weiter.

      Mein Gott, er ist beleidigt, aber wieso? dachte sie. Bisher hatte eine Verstimmung kaum Stunden angehalten. Noch dazu konnte sie keinen Grund erkennen, warum er sich abkapselte. Mit einem Mal wurde sie wütend. Sie hatte den ersten Schritt auf ihn zugemacht. Warum er ihr auch immer böse war, sie hatte genügend positive Signale gegeben. Sie behielt ihr freundliches Gesicht. In solchen Situationen hatte sie ihr sonst so bewegliches Gesicht vollkommen unter Kontrolle. Sie machte sich eine Freude daraus, zu lächeln und gute Laune zur Schau zu stellen. Das wirkte bei ihren Schülern. Da war es geradezu eine Waffe.

      Schon wollte sie ihm sagen, sie werde sich für ein Schuljahr beurlauben lassen und in die Staaten fahren für eine Arbeit, die sie schon seit Langem vorgehabt hatte. So würde sie ihn ganz sicher aus der Reserve locken. Dann fiel ihr ein, dass er, wie er jetzt gestimmt war, ihr kalt lächelnd entgegenhalten würde, die finanziellen Mittel für die Reise, seinen Unterhalt und den der Wohnung würden nicht ausreichen. Warum muss immer ich zurückstecken! dachte sie. Warum? Dass er so an mir hängt, hat nur mit seiner Abhängigkeit zu tun. Ich bin es so leid! Ihre Wut nahm zu, wurde die beständige Wut, die sie auch schon an sich kannte.

      Sie würde ihn nicht so einfach loswerden. Aber eine Lösung würde es geben. Wenn sie es wollte, würde sie eine Lösung finden. Sie hatte noch immer erreicht, was sie wollte.

      Du magst mich nicht mehr!, sagte er.

      Ja, antwortete sie.

      Aber ich mag dich sehr.

      Ja? Die Aussage zum jetzigen Zeitpunkt erstaunte sie. Ihr ganzer Hass löste sich in nichts auf. Manchmal könnte ich dich umbringen, sagte sie. Aber du mich sicher auch.

      Ja.

      Wir halten trotzdem noch einige Jährchen aus.

      Er schüttelte den Kopf. Corvina, ich habe solche Angst, dich zu verlieren.

      Deine Gedanken immer. Ich bin doch da.

      Ich halte es nicht mehr aus, Corvina. Ich muss dem ein Ende machen, verstehst du.

      Nein, verstehe ich nicht.

      Er ging an eine der Küchenschubladen, hielt mit einem Mal ein großes, scharfes Messer, das sie zum Bratenschneiden benutzte, in der Hand.

      Tu dir nichts an, bat sie. Ich hab dich auch gern. Wirklich.

      Nein, ich tu mir nichts an, sagte er. Was solltest du ohne mich anfangen, Corvina.

      Sie wollte schon loslachen darüber, wie grandios er die Tatsachen verdrehte. Doch sie unterließ es. Sie waren nun auf dieser Ebene von Beziehung angekommen. Auf einer theatralischen. Noch mehr reizen sollte sie ihn nicht.

      Er legte das Messer auf den Tisch, zog sie mit einem Griff um ihre Taille von der Sitzbank zu sich heran und in die Höhe. Selbst als er das Messer aufnahm und an ihre Kehle setzte, hielt sie es noch für einen Scherz. Sie war doch seine Lebensversicherung.

      Lass es gut sein, sagte sie. Du würdest dich sehr unglücklich machen.

      Erst, als er den Schnitt setzte, begriff sie. Mit einem Mal war ihr, als wäre ihr ganzes Leben auf diesen Punkt hinausgelaufen.

      Die Polizei, die er selbst benachrichtigt hatte, traf ihn malend an. Er war an einer riesigen Leinwand beschäftigt, die auf den ersten Blick nur aus roter Farbe zu bestehen schien. Doch dann sah man Strukturen, kleine Textilstücke, aus weiblicher Kleidung bestehend, eine lange rote Haarlocke darin und wenn man genau hinsah, einen weiblichen Torso. Die Farbe, mit der er malte, stellte sich als Blut heraus. Corvina!, erklärte er den Polizeibeamten sein Bild. Ich war die letzten Tage wie im Fieber.

      Er schien nicht wahnsinnig. Aber offenbar war er es. Er hatte, um sein Bild fertigzustellen, sein Objekt getötet. Er selbst gab ein ganz anderes Motiv an. Er sagte, er habe seine Frau zu sehr geliebt und sei mit der Vorstellung ihres Verlusts nicht mehr fertig geworden, so dass er sie schließlich getötet habe.

      Warum er die Polizei gerufen und sich nicht selbst umgebracht habe, wollte man wissen, worauf er erwiderte, dass er doch sein Werk beschützen müsse.

      Er wurde in eine geschlossene Anstalt überwiesen. Seine Bilder erzielten Höchstpreise. Er selbst zeichnete, malte nicht mehr, bat lediglich um einige Federzeichnungen, die ganz gegen seine Art einen konventionellen Stil aufwiesen und eine Frau mit langem, lockigem Haar, großen Augen, einer Hakennase und einem schmalen vorspringenden Kinn darstellten. Schön war sie nicht zu nennen. Aber wer zeichnete heute noch schöne Frauen.

      Zehn Jahre nach dem Tod Corvinas wurde dem inzwischen reichen, wenn auch weiter in einer Anstalt befindlichen Maler der Wunsch einer großen Ausstellung erfüllt. Obwohl er als völlig ungefährlich galt, ging er mit zwei Beamten in Zivil in diese Ausstellung, der eine hatte sich mit Handschellen an seine linke Hand angeschlossen, ohne dass die Gäste es bemerkten. Man befürchtete für ihn einen großen Erregungszustand. Als er vor dem »Corvina« betitelten Bild stand, liefen ihm aber nur die Tränen. Ich liebe dich noch immer!, flüsterte er. Du bist jetzt berühmt und wirst nie vergessen. So sagte er, als ob auf dem Bild, das nichts weiter als verschieden strukturierte rote Farbe, eine leichte Kontur, einige Textilschnipsel und eine Haarlocke aufwies, tatsächlich seine jahrzehntelange Lebensgefährtin abgebildet und gegenwärtig sei.

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