Beate Morgenstern

Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten


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er streng zu ihr gesagt. Er wünschte, er hätte sich nicht bedrängt gefühlt. Ja, er hatte sich bedrängt gefühlt, was sie vielleicht auch bemerkt hatte und zu ihren Gunsten deutete. Noch einmal ganz von vorn, warum nicht, Eduard!, hatte sie gebeten. Man kann immer neu anfangen! Der Freund seiner Frau kam weiter zu ihr. (Nach so vielen Jahren konnte der nicht mehr anders.) Sie zeigte sich dem, der nach dem Gesetz immer noch ihr Mann war, in schwarzer, raffinierter Unterwäsche. Seine Nacktheit war sie gewohnt. Und er fand nichts dabei, wenn sie nackt herumlief. Damit hatte er nicht das geringste Problem. Aber dass sie sich für ihn auf diese aufreizende Weise anzog, war schwer erträglich gewesen. Du hast ja Angst, Eduard!, hatte sie gesagt und so hübsch gelächelt, wie nur sie es konnte. Und wenn es der Punkt wäre!, hatte er geantwortet, dann solltest du darauf achten und es auf sich beruhen lassen. Sie aber hatte alle Warnungen missachtet, war stattdessen immer übermütiger geworden, hatte gespielt wie ein Kind, wie damals als junge Frau. Eindringlich hatte er sie gewarnt, hatte nach Lösungen gesucht. Sie wohnten nun einmal in einem Haus zusammen, und keiner würde weichen. Er hatte begonnen, das Dachgeschoss auszubauen mit einem ganz eigenen Ausgang für ihn zum Grundstück. Er unter dem Dach wohnend, sie im Erdgeschoss. Beide vollkommen getrennt voneinander. Das wäre es gewesen. (Der Keller für beide zugänglich. Sie benutzte ihn als Garage für ihr Auto, und er hatte eine große Werkstatt dort eingerichtet.) Eintritt verboten! Ein Schild mit dieser Aufschrift hatte er über dem Zugang zum Dachgeschoss angebracht. Sie hatte sich nicht schrecken lassen. Als junge Frau war sie trickreich wie zielstrebig vorgegangen, um ihn, in dessen Lebensplan keine Frau vorgesehen war, zu bekommen. Nun tat sie dasselbe und meinte, sie hätte wieder Erfolg. Doch erst als sich dieser Rosenduft aus ihrer Jugendzeit wie eine Schleppe durch die Räume zog, durch die sie ging, wusste er keinen Ausweg mehr. Überall dieser Duft, den er hasste und liebte. Er atmete ihre Gegenwart ein. Ja, es konnte sein, dass seine Fantasie den Duft in Räumen freisetzte, wo sie sich nie aufhielt, so überreizt war er. Kein Entweichen gab es. Sie hatte nichts weniger als seine Freiheit, seine Unabhängigkeit bedroht. Wäre sie nicht so starrsinnig gewesen! Ihr Tod wurde unausweichlich. Er hatte es mit seinen beiden Händen tun wollen. Als er sie berührte, war sie aus dem Schlaf aufgefahren. Was ist los?, hatte sie gefragt, geglaubt, er hätte eine Nachricht von ihrer drogenabhängigen Tochter. Er hatte sie in seine Arme genommen, gestreichelt, was sie willig geschehen ließ. Ach Eduard, wie ich mir das gewünscht habe! Er hatte leise und freundlich: ja? gesagt, sie nicht beunruhigen wollen, nun, da es keine andere Lösung mehr gab. Wie im Scherz hatte er ihren schmalen Kinderhals umfasst. Was du für starke Hände hast, Eduard!, hatte sie gesagt. So'n dünner Mann, aber Hände wie Schraubstöcke und können doch so zärtlich sein. Sie hatte sich wie eine Katze an seinen Händen gerieben. - Verzeih, es geht nicht anders, hatte er gesagt und schnell zugedrückt. In einem Augenblick war es vorbei. Schade! dachte er, hörte mit fast wissenschaftlicher Neugier das Knacken und in sich hinein, was er empfand. Schade, schade! Es wäre ihm lieber gewesen, es wäre nicht so weit gekommen. Er also nicht so kalt, dass er nicht Trauer empfinden konnte. Trotz seines Gewinns an Freiheit. Nun hatte er diese Grenzerfahrung gemacht. Das wiederum hatte sie ihm geschenkt. Sie hatte ihm diese ganz außerordentliche Grenzerfahrung geschenkt, die kaum ein Mensch machte. Er notierte seine Gefühle. Es tat ihm leid. Doch er bereute nicht. Er hatte genügend gewarnt, nach einer anderen Lösung gesucht. Er lebte gern. Er hätte auch ihr gegönnt, noch weiter zu leben. Aber er hatte zwischen ihr und sich zu entscheiden gehabt. Die Entscheidung war ihm allerdings nicht schwer gefallen. Die Folgen würde er auf sich nehmen. Doch er würde den Schaden zu begrenzen versuchen. Vielleicht war eine Fahrt ans Meer angezeigt. Ja, sie würden eine Fahrt ans Meer unternehmen. Nach so vielen Jahrzehnten würden sie zusammen verreisen. Das würde ihr gefallen. Er lächelte über seinen Gedanken. Als ob einer Toten noch etwas gefallen oder missfallen könnte! Er schlug eine Rolle rückwärts, eine nach vorn, schloss seine Übungen ab, zog sich an, war nun in der Lage, zu tun, was weiter getan werden musste. Er trug sie über der Schulter in den Keller. Unter hundert Pfund wog sie, war immer zierlich gewesen, hatte aber in den letzten eineinhalb Jahren noch abgenommen aus Gram über die Krankheit ihrer Tochter. Im Keller hatte er eine Plastikfolie bereit gelegt. Er tat die, die einmal seine Frau gewesen war, auf den Boden. Und wie er ihr hübsches Gesicht sah, fiel ihm ein, dass er doch gern eine Erinnerung von ihr hätte und beschloss, ein Abdruck von ihrem Gesicht zu machen. Er cremte es ein. Obwohl sie nicht mehr atmete, tat er zwei Röhrchen in ihre Nase. War es Pietät? Die durch ein nasses Handtuch geschlossenen Augen hatten sich wieder leicht geöffnet. Er drückte die Lider herunter, er nahm vom Mund die Binde ab, rührte Gips an, goss ihn über ihr Gesicht, löste ihn, als der Gips getrocknet war. Sie sah aus, als ob sie schlief. Er tat Geldstücke auf ihre Augen, band ein Tuch um, ein weiteres um das Kinn wie bei seiner alten Töpfermeisterin, die er in den Tod geleitet hatte. Als ob dies eine Bedeutung hätte! Gründlich wusch er sich den Gips von den Händen, tat die Maske in seine Schlafkammer nebenan. Nach kurzem Nachdenken legte er die, die seine Frau gewesen war, zur Seite, zog ihre Knie an den Kopf, winkelte ihre Arme an, wie er das aus alten Bestattungsriten wusste, wickelte sie in Plastikfolie, nahm aus einer Wanne nassen Ton, eine bestimmte errechnete Menge, die ihren Auftrieb im Wasser verhindern würde, umwickelte und verklebte den Klumpen sorgfältig und gab ihn in ihre Arme. Dann hüllte er sie in eine zweite starke Plastikfolie ein. Dass er die erst verschweißte und dann auch noch verklebte, tat er aus reinem Vergnügen an handwerklicher Tätigkeit und ein wenig auch im Hinblick auf die Unversehrtheit des Leibes seiner Frau. Dabei befand er sich in völligem Gleichmut. Es geschah, was geschehen musste. Vielleicht glückte sein Unternehmen. Vielleicht misslang es. Er war da völlig sorglos. Dann verstaute er das Paket im Gepäckraum des Wagens seiner Frau, reinigte die Werkstatt. Einige Mühe kostete es ihn, das Auto aus dem Keller die Anhöhe hinauf zu fahren. Sein Grundstück lag tiefer als die Straße. Seit Jahren war er nicht mehr gefahren. Wozu auch? Noch immer war Nacht. Vielleicht sahen ihn Nachbarn oder auch nicht. Er machte sich auf gen Norden, fuhr langsam, hatte Schwierigkeiten, mit den Gängen zurechtzukommen. Am frühen Nachmittag bog er in einen Waldweg ein, legte sich auf die Rücksitze und holte seinen Schlaf nach. Als er aufwachte, war Nacht. Er fuhr zur Küste nahe ans Meer, zog sich nackt aus, hob das Paket aus dem Wagen, trug es auf den Schultern, ins Meer, das völlig ruhig und nachtschwarz war. Er fürchtete sich nicht. Als es tiefer wurde, tauchte er unter der Last ab, nahm das Paket in die Arme, schwamm mit ihm weiter hinaus. Währenddessen dachte er an die Ostseeurlaube, die er allein als Zwanzig-, Einundzwanzigjähriger hier verbrachte hatte und an die Urlaube mit seiner damals jungen Frau und ihrer kleinen Tochter. Wie er seine Frau auf den Armen gehalten hatte. Genau wie jetzt. Als seine Kräfte versagten, ließ er die Last aus seinen Händen gleiten, übergab seine tote Frau dem Meer. Er rechnete mit der Unterströmung, von der er damals gehört hatte. Die würde sie hinaus ins Meer ziehen. Vielleicht begegnen wir uns da oben!, dachte er und ermutigte sie, die ihn zu Lebzeiten nicht mehr hatte haben können. Er hatte die Überzeugung, dass von ihm etwas bleiben würde in diesem unendlichen All. Also auch von ihr. Er kam an Land, schlief im Auto, bis es Morgen war, dachte, es sei besser, erst in der Nacht zu Hause anzukommen. Er hatte Hunger, hielt aber nirgendwo. Er musste sich nicht unnötig zeigen. Als er wieder in seine Kellergarage einfuhr, waren Nachbarn vielleicht Zeugen oder nicht. Einige Tage hätte er noch Ruhe. Dann würde sich der Freund seiner Frau von seiner Reise zurückmelden. Sie war ja nicht dazu zu bewegen gewesen, ihn auf seinem Boot zu begleiten. Doch dann hielt er es für besser, selbst seine Frau als vermisst zu melden.

      Er war auf alles gefasst. Lebenslange Haft wäre eine neue Herausforderung. So sehr er Zwang immer abgelehnt hatte, so eigentümlich war ihm, dass er gern Soldat gewesen war. Vielleicht lag ihm das Spartanische, bloß ein Rädchen in einem Uhrwerk zu sein. Er würde sich auch in einer Zelle sein Leben einrichten können. In gewisser Weise wünschte er sogar zu erfahren, wie er diese Situation bewältigte und ob er dennoch er selbst blieb, unberührt, unabhängig.

      Die Polizei redete von möglichem Selbstmord. Immerhin, sie war ja krank gewesen, in einer Klinik. Der Tochter wegen. Sie maß sich wahrscheinlich Schuldgefühle zu. Die Kindheit hatte sie zunächst bei der Großmutter verbracht und dann in einer Familie, in der Krieg herrschte. Selbstmordgedanken hatte sie während der Therapie geäußert. Ich halte es für unwahrscheinlich, sagte er. Sie war unglücklich. Sie bewältigte nicht, dass unsere Tochter (er sagte jetzt »unsere Tochter«) von den Drogen nicht wegkommt. Aber wer spielt nicht einmal mit dem Gedanken! Man suchte nach ihr, schloss grundsätzlich auch Mord nicht aus. Als Täter erschienen Freund und Mann unwahrscheinlich, wenn auch