Sven R. Kantelhardt

Brand und Mord. Die Britannien-Saga


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      Ceretic wandte sich um und was er sah, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen: Zwischen zwei der Inseln, die in Steuerbord als lange Kette vor der fernen Küste lagen, schoss ein Schiff hervor.

      „An die Riemen“, brüllte er vor Aufregung lauter als notwendig. „Das Wasser steht noch ziemlich hoch, die sind schneller hier, als ihr um Hilfe schreien könnt!“

      „Vielleicht haben sie uns gar nicht bemerkt?“, hoffte Tavish. „Sie werden doch nicht unseretwegen so ein großes Schiff losschicken?“

      Doch da schwenkte der runde Bug der Fremden bereits in ihre Richtung. Ceretic sah die Riemen in der Sonne blitzen, als sie sich im raschen Rhythmus aus der See hoben.

      „Pullt was ihr könnt, vielleicht gelingt es uns, im flachen Wasser hinter den Inseln zu entkommen“, rief er und lenkte das Boot durch einen sanften Druck mit dem Ruderblatt auf den Sund zwischen zwei der Eilande in Richtung Steuerbord zu.

      Die Curach war leicht und noch waren Malo und Tavish ausgeruht. Dadurch schafften sie es, die gesamte nächste Stunde ihren Vorsprung vor den Verfolgern zu halten. Doch inzwischen klebte Malo, der vor Ceretic saß, das verschwitzte Haar im Gesicht und auch Tavishs Atem ging pfeifend. Ceretic spürte, wie seine Gefährten ermatteten. Endlich passierten sie den engen Sund zwischen den Inseln und ruderten nun gegen den kräftigen Ebbstrom. Dieser hielt ihre Verfolger allerdings genauso auf wie sie.

      „Haltet durch, sie kommen immer näher“, feuerte Ceretic seine Gefährten an. Er warf in regelmäßigen Abständen Blicke nach achtern und konnte bereits erkennen, wie die See unter den feindlichen Rudern schäumte. Zu ihrer Linken lag das graue Watt bereits hoch und trocken über der See.

      „Verdammt“, knurrte Ceretic, weil sich keine rettende Durchfahrt hinter der Insel zeigte. Er musste noch eine ganze Weile den Kurs halten, bevor er endlich in einen Sund an Backbord einbiegen konnte. Hoffentlich kamen sie überhaupt noch hinter der Insel vorbei. Du Esel, schalt er sich in Gedanken selbst. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Ebbstrom sie so lange aufhalten würde. Nun stand das Wasser deutlich tiefer als zu Beginn der Verfolgungsjagd – vielleicht war es nun sogar für seine Curach zu flach. Wie hatte er sich nur mit den Friesen auf eine Wettfahrt in ihrem eigenen Wattenmeer einlassen können? Er griff mit der Linken nach dem kleinen Bronzekreuz, welches er um den Hals trug, und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Doch der Himmel blieb stumm und der Sund vor ihm verschmälerte sich zu einem breiten Priel.

      „Die Friesen werden langsamer“, keuchte Tavish von vorne.

      „Ja, sie wissen, dass wir in der Falle sitzen“, entgegnete Ceretic verbittert. Im Gegensatz zu Malo und Tavish, die auf den Ruderbänken nach achtern blickten, schaute er geradeaus und dort zeigte sich nur noch trockenes Watt. „Gleich setzen wir auf und dann müssen diese friesischen Hunde nur noch warten, bis sie auf dem Trocknen zu uns herüber spazieren können.“

      Erschrocken starrten ihn seine Gefährten an. „Gott stehe uns bei“, rief Tavish erbleichend.

      „Und errette uns aus der Hand dieser Heiden!“, vervollständigte Malo das Gebet.

      Da lief ein leichter Ruck durch das Boot. Sie saßen auf dem Schlick.

      „Der Herr sei uns gnädig“, murmelte Malo und bekreuzigte sich hektisch.

      Ceretic stieg aus und richtete sich auf. Vor ihnen erhob sich auf fünfhundert Schritte trockenes Watt, dahinter glänzte die rettende See in der Sonne. Unerreichbar.

      Wobei, schoss es Ceretic durch den Kopf, unerreichbar für die meisten Boote, aber was war schon unerreichbar für eine Curach?

      „Schnell, raus aus dem Boot. Wir tragen es über die trockene Stelle!“, rief er mit neu erwachtem Mut. Auch die Augen seiner beiden Männer blitzten hoffnungsvoll auf.

      Sofort sprangen sie in den Schlick, in dem sie knöcheltief einsanken. Dann packten sie das Boot und zogen es noch etwa hundert Schritte durch das immer flacher werdende Wasser.

      „So, nun müssen wir sie tragen“, befahl Ceretic. Er packte wieder allein das Heck, aber das geschah ihm ganz recht. Zum einen hatte er heute noch nicht gerudert, zum anderen war er es gewesen, der sich von den Friesen hatte in die Falle treiben lassen. Nun, das wollen wir erst einmal sehen, dachte er. Der Schweiß rann ihm in Strömen von der Stirn und er trat im Watt mit seinen blanken Füßen auf eine scharfkantige Muschel. Aber das alles nahm er kaum wahr.

      „Weiter, weiter!“, keuchte er. Ceretic traute sich nicht, sich nach den Friesen umzuschauen. Inzwischen hatten die drei Britannier die höchste Stelle des Wattes überquert. „Wir schaffen es“, schrie Ceretic außer Atem. Endlich spritzte um Malos Füße wieder Wasser auf. Wunderbar kühl umschloss es einen Augenblick später auch Ceretics Knöchel. Noch ein paar Schritte und sie konnten die Curach wieder zu Wasser lassen. Sie hatten es geschafft! Nun wendete sich Ceretic den Verfolgern zu.

      Die Friesen hatten inzwischen erkannt, was vor ihnen geschah und die Verfolgung der sicher geglaubten Beute zu Fuß aufgenommen. Aber um ihr tiefer gehendes Schiff herum stand das Wasser noch immer mehr als knietief und sie kamen nur langsam voran. Ceretic nahm sich sogar die Zeit, den Feinden den blanken Hintern zu zeigen. Eine Geste, die er den wilden Pikten abgeschaut hatte. Eigentlich nicht seine Art, aber die gerade durchlittene Anstrengung und Anspannung versetzten ihn in eine Art Rauschzustand. Auch seine Gefährten lachten erleichtert, als sie wieder in die Curach stiegen und losruderten. Diesmal half ihnen der Ebbstrom, der sie rasch dem offenen Meer entgegen zog. Als die Friesen schließlich die Kante des trocken gefallenen Watts erreichten, stimmten sie ein wütendes Geheul an. Aber Ceretic und seine Gefährten waren unerreichbar und in Sicherheit.

      „Wir haben den Friesen in ihrem eigenen Wattenmeer eine Nase gedreht“, lachte Malo begeistert.

      Auch Ceretic grinste breit. „Das muss die Nachwelt erfahren. Ich werde ein Lied darüber dichten!“

      Dithmarschen, April 441

      Ordulf

      Ordulf kniff die Augen zusammen und sah voller Sorge in den grauen Himmel. Dann wandte er seinen Blick wieder hinab auf die ebenso graue See, die sich in endlosen Wellenkämmen auf das Land zuschob. Das Watt war bereits vollständig überflutet und die See leckte an den vorgelagerten Sanddünen, welche die Sommerfluten gewöhnlich bis in den Oktober hinein von den Weiden fernhielten. Nun waren es noch über drei Stunden bis zum Hochwasser und die Flut stieg mit beängstigender Geschwindigkeit. Es würde nicht helfen nur zu bangen und zu warten, er musste das Vieh in Sicherheit bringen. Zuerst die Rinder, sie bildeten die eigentliche wirtschaftliche Grundlage des Hofes, auch wenn die Pferde ungleich wertvoller waren.

      Ordulf rief die zwei Knechte heran, die mit ihm auf der Wurt geblieben waren. Gemeinsam machten sie sich daran, die Rinder, die weit verstreut auf dem Marschland grasten, erst zusammen und dann zur Wurt zu treiben. Es ging langsamer als gedacht und Ordulf war bald in Schweiß gebadet, trotz des scharfen Westwindes.

      Sein Vater und die beiden älteren Brüder waren bereits früh am Morgen zur Außenweide aufgebrochen, um die Pferde hereinzubringen. Er als jüngster Sohn musste sich um die weniger wertvollen Tiere kümmern und so oblag ihm nun die gesamte Verantwortung. Er fluchte leise. Warum hatten sie so lange gewartet? Der neue Mond war gerade erst einen Tag alt und seit Sonnenaufgang blies ein Westwind, der langsam aber in immer wiederkehrenden Böen zum Sturm anschwoll. Und das so spät im Jahr! Was hatte Uuodens Zorn nur zu dieser Unzeit erregt?

      Inzwischen schlugen die Wellen immer wieder über die seewärts gelegenen Sanddünen und bedeckten bereits weite Teile der Marschwiesen. Die Entwässerungsgräben waren zum Überlaufen gefüllt. Nun ging es schneller, denn auch die widerspenstigen Bullen schienen zu merken, was dort von See her auf sie zukam. Instinktiv strebten sie dem hohen Land zu. Nervös schoben und stießen sie sich gegenseitig durch das Tor der Palisade, welche die kleine Wurt umschloss. Ordulf und die Knechte mussten aufpassen, nicht dazwischen zu geraten. Schließlich waren alle Tiere im Pferch. Erschöpft lehnte sich Hinnerk, der jüngste der Knechte, gegen das Gatter, aber Ordulf, der selbst gern verschnauft hätte, konnte ihm keine Ruhe gönnen.

      „Los, weiter, wir müssen die Schafe