Mann.
Hier unterbrach lautes Grölen der Anwesenden den Vortrag.
„Hengist, der Edle, | Hadulohas streitbarer Held, |
mit ihm fuhren die Männer | hin zu Finns Burg. |
Der Friesen König, | der finstere Finn, |
verriet Hnæf, seinen Schwager, | und seiner Krieger Schar. |
Im silbernen Mondlicht, | nach Singen und Trunk, |
gewappnet zur Gräueltat, | Frieslands Getreue er rief. |
Doch Hnæfs Mannen | bemerkten den Anschlag. |
Hengist der Held | hütete die Halle. |
Sie hielten fünf Tage | gegen Feinde den Ort. |
Der grimme Torwächter | erschlug jeden Gegner. |
Als die Friesen sahen | den bitteren Streiter |
drangen sie in die Halle | von hinten durchs Dach. |
Hnæf ward erschlagen | und der Helden gar viele, |
da ließ Finn ab vom Töten | und sprach freundlich mit Hengist. |
Die Sachsen zu bleiben | in seinem Saale er lud, |
bis die Stürme sich legten | und die Schwalbe erschien. |
Dann richteten die Sachsen | die Steven zur Heimkehr. |
Die Nacht vor der Seefahrt | Finn zum Gelage sie bat |
doch Hengist sann finster | über die Schmach, die ihm Finn tat, |
als er erschlug König Hnæf, | des Hadulohers Herr. |
Voll Rache im Herzen | erhob sich der Krieger |
und erschlug in der Halle, | die Hnæfs Blut getrunken, |
König Finn und seine Getreuen | in unbändigem Grimm!“ |
Das Gedicht hatte ihn hergeführt. Der Gesang des Scop war zwar langsam und unbeholfen, aber die Worte hatten eine Saite in Ceretic zum Schwingen gebracht und ein Gedanke hatte sich in ihm festgesetzt: Dieser Hengist schien ihm der richtige Mann für König Vortigerns Plan. Ein Haudegen, der für eine Handvoll Silber bereit war, einem fremden König zu dienen.
So war es ihm zumindest damals vorgekommen. Missmutig stocherte er mit einem Stecken in der letzten Glut des Feuers, während über ihm ein unangenehm kalter Westwind einen Schauer gegen das Reeddach trieb. Wie sollte aus so einem schlechten Gedicht auch etwas Gutes werden? Drei Tage saß er nun in Beufleet, der Heimat dieses berühmten Hengist. Nach der Fürsprache des Jungen, der sie von Wagos Hof in Feddersen hierher geführt hatte, waren sie von Hengists jüngerem Bruder Horsa freundlich aufgenommen worden. Dessen Frau Erkenhilde kümmerte sich persönlich um das Wohlergehen der britannischen Gäste. Der Held selbst war allerdings nicht zu Hause. Dabei brannte Ceretic darauf zu erfahren, ob sich seine Hoffnungen erfüllten.
Ungeduldig schaute er sich um. Malo und Tavish waren nirgends zu sehen. Vermutlich halfen sie ihren sächsischen Gastgebern bei irgendwelchen landwirtschaftlichen Arbeiten. Immerhin lernten sie so etwas von der Sprache der Barbaren. Ceretic selbst verstand inzwischen fast jedes Wort. Einmal mehr erinnerte er sich voll Dankbarkeit an den väterlichen Freund Wulf, der ihn neben der sächsischen Sprache auch gelehrt hatte, sein Schwert wie ein römischer Legionär zu führen. Das machte es Ceretic einfach, nach Wulfs Tod Aufnahme in Vortigerns Diensten zu finden, denn der Hochkönig versuchte seine catuvellaunischen Krieger nach Art der römischen Legionen zu drillen.
„Herr Ceretic“, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. Es klang eher wie eine Feststellung denn wie eine Frage. Ceretic fuhr erstaunt herum. Was er sah, verschlug ihm die Sprache. Er starrte mit offenem Mund auf die Person, die ihn so unvermittelt angesprochen hatte. Es war eine Frau, die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte.
„Ich hoffe, Ihr denkt nichts Schlechtes von mir, weil ich Euch einfach so anspreche?“, fragte sie schüchtern.
„Ganz und gar nicht. Ich habe nur keine … Ich weiß gerade gar nicht mehr, wo wir uns zuletzt, äh, begegnet sind“, stammelte er.
Die junge Frau lachte leise. Sie war schön, eine wahre Schönheit sogar. Hochgewachsen und schlank mit strahlend blauen Augen und goldenem Haar.
„Entschuldigt. Eigentlich kennt Ihr mich auch noch gar nicht. Ich bin Rowena, Hengists Tochter“, fuhr die Sächsin fort.
Irrte Ceretic oder flog eine zarte Röte über ihr Gesicht? Nein, er musste sich in der dunklen Halle geirrt haben.
„Wir haben uns in Feddersen getroffen, aber da wart Ihr viel zu beschäftigt, um mich zu bemerken. Ihr habt ein Lied aus Eurer Heimat vorgetragen – so eine klare Stimme wie Eure und solche Musik habe ich noch nie gehört. Auch etliche noble Männer, die etwas von diesen Dingen verstehen, bestätigten später öffentlich, sie hätten nie ein besseres Lied vernommen.“
Ceretic bemühte sich um eine passende Erwiderung, damit er nicht wie ein ungalanter Trottel dastand. „Verdammt“, murmelte er.
Das Mädchen schien nicht sicher, ob es ihn richtig verstanden hatte und hob erstaunt die Augenbrauen. Ceretic schluckte hart. Er hätte sich ohrfeigen können.
„Ich bin Euch schon begegnet und habe Euch nicht bemerkt?“, fragte er schließlich. „Wenn meine Aufgaben mich so in Beschlag nehmen, dass mir solche Anmut wie die Eure nicht auffällt, dann bin ich pflichtbewusster als ich mir je vorstellen konnte.“ Und definitiv pflichtbewusster als ich dachte, fügte er in Gedanken hinzu. Ziemlich plump, aber die junge Sächsin errötete schon wieder, demnach war sein Gestammel wohl doch nicht so übel gewesen.
Dann legte sie die Stirn in Falten und richtete sich kerzengerade auf. „Ihr seid ein Dichter, der sich auf Worte versteht“, bemerkte sie kühl, drehte sie sich um und stolzierte aus der Halle. Ceretic blickte ihr noch eine ganze Weile verwirrt hinterher.
Dithmarschen, Mai 441
Ordulf
„Kommst du mit? Wolderich hat einen Gast, der allen freien Sachsen etwas mitzuteilen hat. Heute Nachmittag wird er in Fahrstedt sprechen.“ Aufgeregt lief Ordulf über den Hof. Nach der schlimmen Flut vor einer Woche, bei der sie drei volle Tage vom Meer eingeschlossen auf ihrer Wurt hatten ausharren müssen, war er nun voller Tatendrang.
„Kümmere dich erst um die Schafe“, rief sein ältester Bruder, der wie sein Vater und Großvater Swæn hieß, missbilligend. „Oder hilf mir.“ Er mühte sich gerade mit einem großen Ast ab, den die Sturmflut auf ihrer Weide zurückgelassen hatte. Aus dem Treibholz sollte ein neuer Türpfosten entstehen. Aber Ordulf war schon fort, um nach Agill, seinem nächst älteren Bruder, zu suchen.
Am Nachmittag schlossen sich ihm dann aber doch beide Brüder an. Ordulf hatte seine besten Kleider angelegt und schritt eilig voraus. Es war kein weiter Weg und in der flachen Marsch konnten sie die hoch aufragende Wurt der Wolderichsmannen nicht verfehlen. Auf dem großen Hof angekommen, schaute Ordulf sich gespannt um. Zwischen dem Langhaus mit den Stallungen und den dicht gedrängten Katen der Knechte und entfernteren Verwandten Wolderichs, blieb ein runder Platz frei, der zum Zusammentreiben des Viehs oder für Versammlungen genutzt wurde. Darauf befand sich bereits eine ansehnliche Schar meist junger Männer.
„Seht nur“, raunte Ordulf seinen Brüdern zu. „Der dort drüben mit der Lederkappe kommt doch aus der Nordermarsch. Und sogar Leute von der Geest sind da!“
Swæn stieß ihn als Antwort nur stumm in die Seite und winkte mit dem Kopf noch weiter nach rechts hinüber. Ordulf blickte in die angedeutete Richtung und kniff die Augen zusammen, um schärfer zu sehen. Dann erkannte er ihn auch: Hoger, einer der Führer des Ebbingemannengeschlechts.
Unwillkürlich tastete Ordulf nach seinem Sax. Zwischen