Sven R. Kantelhardt

Brand und Mord. Die Britannien-Saga


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zurück und berichtet mir!“

      Tallanus stürzte weiter, um seine wenigen Habseligkeiten zu retten. „Packt alle Wertsachen zusammen – wir müssen in den Wald!“, rief er, als er die niedrige Kate seines Onkels, des letzten in Regulbium lebenden Verwandten, betrat.

      Da gellte der Ruf „Pikten“ von draußen herein. Tallanus bekreuzigte sich. Warum hatte er nur gezögert? Wenn Álainn nicht gewesen wäre … Bald lief er mit seinem alten Onkel und dessen einziger Milchkuh im Schlepptau auf den nahen Waldrand zu. Die vorsichtigsten und schnellsten Dorfbewohner verschwanden gerade vor ihnen zwischen den Bäumen. Tallanus blickte zurück. Die Boote konnte man nun bereits klar erkennen, aber noch immer waren nicht alle Menschen aus dem Dorf geflohen. Einige waren zu alt und krank, andere zu geizig und konnten sich nicht von ihrem Besitz trennen. Wo war nur Álainn? Hoffentlich hatte sie bereits die Sicherheit des Waldes erreicht.

      Regulbium, Mai 441

      Álainn

      Wo blieb nur ihre Mutter? Sie selbst hatte hastig einen Beutel mit Essen und einige Decken zusammengerafft, aber die alte Frau tauchte einfach nicht auf. Verzweifelt lief Álainn zurück in ihre Hütte. Dort stand ihre Mutter vor der offenen Truhe und blickte scheinbar orientierungslos auf ihre Sachen.

      „Mutter komm! Die Pikten sind da!“

      Ihre Mutter sah sie verständnislos an. „Welche Pikten? Ich weiß noch gar nicht, was ich zur Hochzeit anziehen soll.“

      Schon seit einigen Jahren vergaß ihre Mutter immer wieder Dinge und in den letzten Monaten war es immer schlimmer geworden, aber sie konnte doch unmöglich die Pikten vergessen haben.

      „Welche Hochzeit denn?“, fragte Álainn verwirrt.

      „Na die von Coira und Gail natürlich.“

      Die war nun schon vier Jahre her. Oder waren es fünf? Verzweifelt griff Álainn nach der Hand ihrer Mutter und zerrte sie unter lautem Protest aus der Hütte. Im Dorf waren noch einige Leute und weitere rannten vor ihnen in Richtung Wald. Sie waren nicht die Letzten. Doch irgendetwas stimmte nicht in dem Bild. Sie blickte noch einmal zurück und der Schreck schnürte ihr die Kehle zu.

      Am Strand unter dem alten Kastell lag eine Reihe von Booten, die dort nicht hingehörten. Lederbespannte Curachs! Und da erhob sich auch schon Kampfgeschrei und das Klirren von Waffen und zerbrechendem Geschirr mischte sich mit den Hilferufen derer, die zu spät geflohen waren. Wie sie selbst.

      Plötzlich tauchten zwei Fremde hinter der nächsten Hütte auf. Sie waren fast nackt und mit wilden blauen Mustern bemalt. Álainn schrie auf, drückte ihre Mutter an die Hauswand und stellte sich schützend vor sie. Der Schnurrbart des ersten Angreifers bog sich zu einem Grinsen. Er hob seine Axt. Instinktiv streckte sie die Hände zur Abwehr hoch, doch der Schlag traf sie unerwartet fest. Sie spürte noch, wie sich einer ihrer Finger schmerzhaft überdehnte, dann wurde es um Álainn herum dunkel.

      Beufleet, April 441

      Ceretic

      „Silber? Wie viel Silber?“, fragte Hengist.

      Ceretic seufzte innerlich. Das war das Einzige, was den Sachsen zu interessieren schien. Er hielt dem bohrenden Blick seines Gegenübers stand. Hengists eisgraue Augen starrten ihn unter buschigen rotblonden Brauen unverwandt an. Ceretic fröstelte. Zwinkerte Hengist niemals?

      Es würde schwer werden, ein stabiles Bündnis zwischen Britanniern und Sachsen zu schmieden. Eine Treue, die allein auf Silber beruhte, konnte jederzeit überboten werden. Vielleicht würden im Laufe der Zeit Familienbande hinzukommen und den Mammon ersetzen? Bei diesem Gedanken erschien seltsamerweise das Bild von Hengists schöner Tochter vor seinem geistigen Auge.

      „Ich habe natürlich nur eine Anzahlung dabei, aber Vortigern hat viel Silber in seinem Hort, viel mehr Silber. Er ist der Hochkönig Britanniens!“, antwortete er diplomatisch und griff mit weit ausholendem Gebaren in den Beutel an seinem Gürtel. Es klirrte hell und als Ceretic die Hand herauszog, war sie mit Silbermünzen gefüllt. Hengist pfiff erstaunt durch die Zähne und Ceretic atmete auf. Wenn sich auch dieser Wilde von einer einzigen Handvoll Silber blenden ließ, würde es vielleicht doch gelingen, die Sachsen als Auxiliares zu werben.

      „Bringt Met, wir wollen den Boten des britannischen Hochkönigs gebührend empfangen!“, rief Hengist laut und schon eilte Rowena mit einem großen Büffelhorn herbei. Hinter ihr brachten weitere Frauen mehr Trinkhörner herein.

      „Rowena, meine Tochter“, bemerkte Hengist.

      „Wir haben uns schon getroffen“, stieß Ceretic so unbeteiligt wie möglich hervor und hoffte inständig, dass die brennende Röte, die ihm in die Wangen stieg, niemandem auffiel. Rowena schenkte ihm ein kurzes Lächeln, als sie ihrem Vater das Horn reichte, dann machte sie einen Knicks und verschwand wieder.

      Hengist nahm einen tiefen Zug und reichte das Horn mit dem süßen Gebräu an Ceretic weiter. „Ein prächtiges Mädchen, nicht wahr?“ Für einen Augenblick glättete ein seltenes Lächeln seine harten Züge. Ceretic wollte gerade zustimmen, da kehrten die scharfen Falten zurück. „Wehe, wenn sich irgendein Kerl an sie heranmacht. Die Schicksalsfrauen haben Rowena bestimmt, einmal Königin zu werden.“

      Ceretic spürte fast körperlich einen Stich in seiner Brust. Wie sollten seine Bündnispläne bei diesem finsteren und herrischen Mann eine Chance haben?

      Hengist fuhr ungerührt mit seiner Vorstellung fort. „Und das hier ist mein Sohn Oisc.“ Dabei zog er einen aufgeweckten Blondschopf von vielleicht zwölf Jahren an der Schulter von seinem etwa ebenso alten Spielkameraden weg.

      „Hallo“, bemerkte Oisc kurz und war schon wieder verschwunden.

      Hengist schmunzelte ihm hinterher. „Eigentlich heißt er Octha, aber alle nennen ihn Oisc, ich weiß selbst nicht warum, hat sich einfach so eingeschlichen. Der andere Junge war übrigens Ebissa, der Sohn meines Bruders Horsa.“

      Dithmarschen, Mai 441

      Ordulf

      Am Abend im Familienrat war die Stimmung noch düsterer als das heraufziehende Gewitter. Die Stube wurde spärlich durch die Glut des langsam verlöschenden Herdfeuers erleuchtet, das dann und wann noch einmal von einem kräftigen Luftzug angefacht wurde, wenn die ersten Gewitterböen durch das Windauge im Giebel pfiffen. Das rote Licht der Glut und tiefe Schatten zeichneten die Züge des Vaters noch schärfer nach, als sie bei Tageslicht schon waren.

      „Du willst das Land unserer Väter verlassen, die Wurt, die dein Großvater mit eigenen Händen gebaut hat?“, grollte der alte Swæn seinen Sohn und Stammhalter an. „Und deine beiden Brüder willst du gleich noch mitnehmen?“ Dabei schaute er mit grimmig zusammengezogenen Brauen zwischen Agill und Ordulf hin und her, die sich auf der langen Wandbank so schmal wie möglich machten. „Und mich wollt ihr mit eurer alten Mutter und ein paar Knechten allein zurücklassen? Schöne Söhne habe ich da herangezogen!“

      „Das Meer steigt jedes Jahr höher“, warf der jüngere Swæn ein.

      „Dann nimm dir ein Beispiel an deinem Großvater und mach auch die Wurt höher!“, schimpfte sein Vater.

      „Aber Swæn“, unterbrach ihn seine Frau Wiebke. „Du weißt selbst, dass ein Mann bei Zeiten losziehen und Silber und Ruhm erwerben muss. Das ist seit jeher so gewesen und du selbst hättest mich wohl kaum auf diesen matschigen Hügel bekommen, wenn du nicht vorher deine Tapferkeit und Tüchtigkeit mit dem Schwert bewiesen hättest. Swæn und Agill sind nun alt genug. Lass sie ziehen. Im Herbst werden sie mit Ruhm und vielen guten Silberstücken heimkehren. Nur Ordulf ist noch zu jung.“

      „Aber ich bin doch gar nicht zu jung und ich will …“, begann Ordulf.

      „Ruhe! Du bleibst hier auf dem Hof. Jetzt erst recht, wo du dich vor den verdammten Ebbingemannen so blamiert hast“, donnerte sein Vater. Wie immer gefiel es ihm gar nicht, wenn sich seine Frau einmischte. Insbesondere da er, wie ebenfalls üblich, nicht gegen Wiebkes Argumente ankam. „Wir reden morgen noch einmal über die Sache“, knurrte er, um sein Gesicht zu wahren, auch wenn jedem klar war, dass es niemals dazu