Regina Raaf

Kyla – Kriegerin der grünen Wasser


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stehende Bein.«

      Kyla ahmte seine Haltung nach und imitierte die Schwerthaltung mit dem Stock. Ihr war klar, dass sie bei einer richtigen Ausführung mit dem Gewicht des Schwerts zu kämpfen haben würde, aber Zygal schien sich vorerst damit zufrieden zu geben, dass sie nur die Haltungen und Bewegungen nachahmte. Sie versuchte, sich so gut wie möglich alles zu merken, was er ihr zeigte und führte eine Hut nach der anderen aus. Schließlich wischte Zygal sich den Schweiß von der Stirn, bevor er die Schwertspitze zu Boden sinken ließ.

      »Hören wir auf?«, fragte Kyla hoffnungsvoll. Zygal lachte. »Das hast du dir wohl so gedacht. Aber auch das ist eine der Grundstellungen. Diese Hut nennt sich Alber.« Zygal lachte abermals, als er ihre gerunzelte Stirn bemerkte. »Ich glaube, das kann ich mir gar nicht alles merken«, bekannte Kyla unglücklich.

      »Keine Sorge, wir werden diese Huten immer wieder üben. Und es gibt noch so viele mehr, aber für den Moment ist es wirklich genug. Wir machen später mit anderen Übungen weiter, die deinen Körper wieder mehr fordern werden, als deinen Geist. Deine Muskeln werden danach sicherlich eine ganze Weile schmerzen, aber es wird besser mit der Zeit, glaube mir.«

      Immer wieder baten Olha und Zygal darum, Ihnen zu glauben. Kyla fragte sich, ob ihr das jemals möglich sein würde. Dass Zygal ihr eine Waffe in die Hand gegeben hatte, war sicherlich ein Fortschritt in diese Richtung, aber dass sie sie in Ketten legten, konnte Kyla nicht verzeihen.

      Als sie abends mit Zygal und Olha am Tisch saß, schmerzten Kylas Muskeln in ihren Armen und Beinen tatsächlich um die Wette. Zygal hatte sie zuletzt immer wieder die gleiche Strecke laufen lassen, auf der sie mehrere Heuballen überwinden und unter aufgetürmten Ästen hindurchkriechen musste. Die Wunden an ihren Knien waren erneut aufgeschürft. Olha hatte ihr Kräuterverbände für jedes gemacht und Zygal gebeten, Kyla vorerst ein Kriechen auf dem Boden zu ersparen.

      Nun saßen sie zusammen, aßen Bohnen mit Speck und Zygal schien über die Sache noch mal eingehend nachgedacht zu haben, denn er sagte: »Kyla, du wirst je einen Tag mit Kampfübungen verbringen, und den nächsten mit Lernen. Noch vor Beginn der jeweiligen Lehrstunden wirst du genügend Wasser für die Tiere holen und unseren Vorrat im Haus auffüllen. Du benutzt zwei große Gefäße, die ich selbst gefertigt habe – das Gewicht wird deine Muskeln ebenfalls stählen.«

      Kyla hätte bei seinen Worten am liebsten losgeweint. Sie verstand nicht, warum sie sich so quälen sollte, denn noch nie hatte sie eine Frau mit vielen Muskeln gesehen. Männer mochten oftmals damit prahlen, wenn sie das Fleisch ihrer Arme zu ganzen Bergen auftürmen konnten – Kyla hatte selbst beobachtet, wie sie es manchmal taten, um untereinander zu konkurrieren, oder um eine Frau zu beeindrucken. Aber sie hatte nichts davon vor und fand es ungerecht, ihren Körper auf Zygals Geheiß hin trainieren zu müssen. Vor allem auch, weil er seinen eigenen ganz offensichtlich so vernachlässigte. Sie sagte jedoch nichts – was hätte es auch genutzt? In der Welt, in der sie nun lebte, hatte sie nicht das Sagen, aber sie schwor sich, es Zygal eines Tages heimzuzahlen.

      Als sie nach dem Essen ins Bett geschickt wurde, nahm sie mit scheinbarer Gleichmut hin, dass der Schmied ihr die Kette anlegte. Auf seinen Gute-Nacht-Gruß erwiderte sie jedoch nichts, sondern drehte sich nur auf die Seite, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen.

      Der Morgen kam, und mit ihm ein Tag voller ungewohnter Mühsal. Nachdem Kyla von ihrer Kette befreit worden war, reichte Olha ihr zwei große Behälter, die aus dünnem Metall hergestellt waren. Auf dem Hinweg zur Höhle waren sie, trotz ihrer Größe, noch leicht. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Kyla sie soweit gefüllt hatte, dass sie sie zum Ziegengehege tragen konnte. Jetzt konnte sie die Wasserkübel jedoch kaum noch anheben. Sie schaffte es, indem sie ihre gesamte Kraft aufbrachte. Nun wollte sie nur noch so schnell wie möglich den Weg zurücklegen. Kyla gab sich alle Mühe, aber die Henkel der Behältnisse schnitten ihr tief in die Handflächen und einer rutschte ihr aus den Fingern, woraufhin sich das Wasser auf die ausgetrocknete Wiese ergoss. Hilflos musste sie zusehen, wie ihre aufwendige Arbeit vor ihren Augen im Nichts verschwand. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, das Wasser aus dem anderen Behältnis einfach aufzuteilen – vermutlich würde es niemandem auffallen, und sie hätte nur die halbe Last zu tragen. Dann entschied sie sich jedoch dagegen und ging in die Höhle zurück, um den nun leeren Behälter wieder aufzufüllen.

      Als sie schließlich unter enormen Anstrengungen die beiden Wasserladungen in die Tränke der Ziegen und in den Vorratstank im Haus geleert hatte, ließ Kyla sich in der Küche einfach erschöpft auf dem Boden nieder. Der Holzboden war so herrlich kühl – sie legte ihr Gesicht darauf. Er roch vertraut und erinnerte sie an den Geruch der Bäume. Selbst der Schmutz ließ sie an ihre alte Heimat denken: der Wald – wie sehr sie ihn doch vermisste! Sie wünschte sich sehnlichst, nun den Wind zu hören, der durch die Baumwipfel strich und ihr leise ein tröstendes Lied sang.

      »Bist du krank?«, erklang stattdessen plötzlich Olhas Stimme über ihr. Kyla erhob sich schnell. »Nein.« Olha sah sie forschend an. Schließlich überprüfte sie den Wasservorrat und wies dann auf einen Stuhl am Küchentisch. »Setz dich! Wir werden heute mit dem Unterricht beginnen. Hast du schon mal ein Buch angesehen?« Kyla schüttelte den Kopf. Olha öffnete eine Lade und holte ein in Leder gebundenes Buch heraus. »Hier drin findest du viele Geschichten über unsere Welt. Einige davon sind wahr – einige frei erfunden. Wenn wir mit dem Unterricht irgendwann einmal fertig sind, wirst du diese Geschichten nicht nur lesen, oder selbst eigene aufschreiben können, du wirst auch so viel über alles wissen, was auf unserer Welt vorging und derzeit noch vorgeht, dass du einschätzen können wirst, was wahr und was Erfindung ist. Aber noch mehr wird dir möglich sein, Kyla. Eines Tages wirst du dieses Buch in den Händen halten, und wissen, wie es um die Zukunft von Chyrrta bestellt ist – du wirst sie formen, und alle werden dir folgen.« Kyla starrte sie an. Olha schien wie verzaubert von ihren eigenen Worten zu sein. Ihr Blick war so stolz. Kyla hatte ein seltsames Gefühl, denn dieser Stolz galt ihr.

      »Ich glaube nicht, dass ich aus diesen vielen Zeichen eine Geschichte erkennen kann«, widersprach Kyla, doch sie nahm das Buch und blickte auf die Seite, die Olha aufgeschlagen hatte.

      »Das wirst du, wenn du weißt, was die einzelnen Zeichen bedeuten und wie du sie aneinanderreihen musst. Glaube mir, auf einmal ist es ganz einfach, wenn du dir etwas Mühe gibst.« Kyla hatte ihr zwar zugehört, aber sie antwortete nicht, weil sie es sich einfach nicht vorstellen konnte. Sie betrachtete das Buch eingehend. Es befand sich ein Bild darauf – grünes Wasser, das sich zwischen kahlen Ebenen und steinigen Anhöhen einen Weg bahnte. Kyla machte große Augen. »Da sind Tiere drin, die aus dem Fluss trinken!«

      »Es ist ein sehr altes Buch, Kyla. Damals waren die Flüsse und Bäche noch nicht verunreinigt. Einst waren die Wasser auf Chyrrta ein Quell des Lebens, und es gab Tiere in Hülle und Fülle, sodass kein Chyrrta hungern musste. Egal, ob er in den Siedlungen lebte oder alleine, fernab von anderen. Es gab so viele Tiere, dass es ein Leichtes war, sie zu jagen. Und selbst in den Wassern gab es Lebewesen, die das Überleben eines jeden sicherten.«

      »Aber was ist passiert?« Olha lächelte. »Um das zu erfahren, solltest du das Lesen so schnell wie möglich erlernen, denkst du nicht? Denn vielleicht steht es ja in diesem Buch.«

      »Aber du hast es doch gelesen, oder? Erzähle es mir!« Kyla hatte zum ersten Mal das Verlangen, eine Geschichte erzählt zu bekommen, doch Olha schüttelte den Kopf. »Wir werden nun mit den ersten Zeichen beginnen. Und du wirst sehen, wenn du fleißig bist, brauchst du schon bald nicht mehr andere zu bitten, dir zu erzählen, was dich interessiert.«

      Sie klappte das Buch zu und legte es in die Lade zurück, um ein anderes hervorzuholen. Die Geschichten darin waren wesentlich kürzer, wie Kyla feststellte, und auf der ersten Seite gab es tatsächlich nur einzelne Zeichen zu sehen, die Olha ihr in den nächsten Stunden eines nach dem anderen erklärte. Sie übten die Aussprache, und Kyla sollte ein jedes solange selbst schreiben, bis ihre Finger vor Anstrengung zitterten. Als sie schließlich erschöpft den Federkiel ablegte, den Olha ihr gegeben hatte, stöhnte sie: »Ich übe lieber wieder mit der Axt. Buchstaben schreiben ist viel anstrengender.«

      Olha lachte. »Dann ist es ja gut, dass du morgen stattdessen mit den Kampfübungen fortfahren wirst. Aber genauso, wie das Führen einer Waffe leichter