Regina Raaf

Kyla – Kriegerin der grünen Wasser


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zu verlassen. Kyla fühlte sich schläfrig und schwach. Sie verbarg ihr Gesicht im Kissen und trat nach Zygal, als der sich ihre Beine packte. Er zog sie vom Bett und fing sie auf, kurz bevor sie auf dem Boden landete. Dann warf er sie über seine Schulter und trug sie in die Küche, wo Olha bereits mit dem Frühstück wartete. Zygals Körper bebte, das konnte sie deutlich spüren – vor Zorn? Doch dann hörte sie ihn lachen. Es war ein schreckliches Geräusch – hart und brüchig, so, als hätte er es seit Jahren nicht mehr von sich gegeben und müsse es erst wieder üben. Er ließ Kyla von seiner Schulter gleiten und sorgte dafür, dass sie mit dem Hintern auf einem Stuhl zum Sitzen kam.

      »Iss! Auf dem Teller soll nichts übrig bleiben. Du wirst Kraft brauchen.« Kyla sah auf die Berge von Rührei und erkannte auch einige gebratene Fleischstücke. Sie schaute unsicher zu Olha, die heute ein hübsches Kleid trug.

      »Das ist Speck. Er ist köstlich. Du wirst ihn mögen. Zygal hat ihn mitgebracht. Er stammt von einem der geschlachteten Schweine der Herrscherin. Es sind die fettesten, die du je gesehen hast.« Sie strahlte Kyla an. »Fette Schweine – und zwei davon werden bald uns gehören. Das haben wir dir zu verdanken, Kyla.«

      Zygal klopfte ihr so fest auf die Schulter, dass sie fast vom Stuhl fiel. Nun verstand Kyla gar nichts mehr. Woher kam plötzlich die gute Laune der beiden? »Warum mir?«, fragte sie unsicher. Zygal überlegte. Offenbar wägte er ab, wie viel er ihr verraten wollte. »Weil die Herrscherin der Meinung ist, dass du bislang in deinem Leben zu wenig gegessen hast. Und das stimmt eindeutig.« Kyla wusste, dass das nicht der wahre Grund sein konnte – oder dass es zumindest nur ein Teil der Wahrheit war. Doch Zygal sah nicht so aus, als würde er mehr preisgeben wollen. Er deutete auf den Speck, damit Kyla endlich zu essen begann. Sie nahm ein Stück davon und biss vorsichtig ab. Der Geschmack war mit nichts zu vergleichen. Salzig und knusprig – und dabei so herrlich fettig, dass Kyla sich in Windeseile das ganze Stück in den Mund stopfte. Sie kaute darauf herum und spürte, wie ihr Körper plötzlich hellwach war, um diese herrliche Köstlichkeit ganz bewusst genießen zu können.

      »Gib dem Kind von dem Rula-Sud!«, wies Zygal Olha an. »Lass sie doch mit diesem furchtbaren Gebräu in Ruhe. Soll ich ihr vielleicht auch noch einen Krug Bier einschenken?«

      »Später. Erst mal genügt das Gebräu aus gemahlenen Rula-Käfern.«

      Olha seufzte und wischte sich ihre Hände an einer Schürze ab, bevor sie nach einem Stück Stoff griff, es sich um die Hand schlang und damit eine Kanne hochhob, die auf dem Ofen gestanden hatte. Zygal stellte einen Becher vor Kyla, den Olha mit einer dunklen Flüssigkeit füllte. Kyla sah hinein – es hatte Ähnlichkeit mit einem schlammigen Loch, stellte sie fest. Aber es roch anders. Nicht unbedingt gut, aber doch interessant.

      »Trink!«

      Sie hob den Becher an die Lippen und nahm einen Schluck. Ein erschreckend bitterer Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus und vertrieb den des köstlichen Specks. Mühsam zwang sie die Flüssigkeit ihre Kehle hinab, um sie nicht in den Becher zurück zu spucken, denn Kyla ahnte, dass ihrem Besitzer so ein Verhalten überhaupt nicht gefallen würde.

      Nun, da sie brav getrunken hatte, strahlte er jedoch und verkündete: »Von nun an wirst du jeden Morgen und jeden Mittag einen Becher davon trinken. Der Rula-Sud schärft deine Sinne und sorgt dafür, dass du das fettige Essen gut verträgst. Trink ihn aus und dann iss deinen Teller leer. Ich erwarte dich nach dem Essen am Ziegengehege. Wir werden es fertig bauen, und danach gebe ich dir deine erste Lektion.«

      Er erhob sich und ging zu Olha, um ihr einen Kuss zu geben. »Sorge dafür, dass sie ihre Arbeitskleidung trägt. Und schneidere ihr gleich neue, denn ich denke, sie wird sie brauchen.« Olha stimmte ihm zu. Kyla trank angewidert den Becher mit dem Sud leer. Wenn Zygal recht hatte, und das Zeug ihre Sinne schärfte, dann würde es ihr wohl ein Leichtes sein, ihrem Besitzer zu entkommen, falls er Dinge von ihr verlangte, die sie nicht tun wollte.

      Als sie sich umgezogen hatte, trat sie vor das Haus und entdeckte Hufspuren, die am Tag zuvor noch nicht dort gewesen waren. Offenbar hatten sie erneut Besuch gehabt. Diesmal wohl erfreulichen, daher vermutlich auch der Speck und die gute Laune über die angekündigten Schweine. Kyla wusste jedoch, dass sie nicht danach fragen sollte. Sie ging zu Zygal, der damit beschäftigt war, den letzten Holzpflock in den Boden zu rammen. Sein mächtiger Bauch schwang bei jedem Schlag auf und ab, und auch das doppelte Kinn des Mannes schien bei jedem Hammerschlag ein Eigenleben zu führen. Kyla sah fasziniert zu. Niemals hatte sie einen Chyrrta gesehen, der so gut genährt war. Zygal hielt inne und stellte den Hammer weg. Er fuhr sich mit der Hand durch sein lichtes, blondes Haar.

      »Du hast da gestern etwas sehr Ungewöhnliches getan«, sagte er und fixierte sie mit seinen dunkelgrünen Augen. Kyla zuckte nur mit den Schultern. Sie wusste nicht genau, worauf er hinaus wollte. Er nahm einen Stapel Holzlatten und sortierte die aus, die zu gebogen waren. »Ein Mädchen in deinem Alter – und von deiner Statur – kann es normalerweise nicht mit ausgewachsenen Männern aufnehmen. Und schon gar nicht mit welchen, die Schwerter schwingen. Du kannst mit der Axt gut umgehen, wie Olha mir berichtete, und ich denke, wir werden daher zuerst mit dieser beginnen. Aber zunächst wirst du mir helfen, die Latten an die Pfosten zu nageln. Hast du so etwas schon mal gemacht?« Kyla schüttelte den Kopf.

      »Das macht nichts. Ich werde es dir zeigen. Ich werde dir alles zeigen, was du benötigst, um hier bei uns zu leben – und alles für danach.« Kyla war über den warmen Klang seiner Stimme noch mehr erstaunt, als über seine Worte. Sie schluckte ihre Verwunderung jedoch hinunter, denn Zygal begann umgehend damit, ihr zu zeigen, wie sie Hammer und Nägel benutzen musste, um mit ihm gemeinsam das Gehege für die Ziegen fertig zu bauen. Immer wieder dachte sie darüber nach, was er damit meinte, dass er ihr zeigen würde, was sie für das Leben nach ihrer Gefangenschaft benötigen würde. Aber hatte er das wirklich so gemeint, wie sie es verstanden hatte? Sie wusste, dass sie ihn besser nicht danach fragte. Zygal schien ihr sehr launisch zu sein. Mal beschimpfte und schlug er sie, mal trug er sie lachend in der Gegend herum. Wie sollte sie so jemandem irgendetwas glauben können? Wie sollte sie ihm trauen? Nein, Olha schien aufrichtig zu sein, aber Zygal machte ihr im Grunde ihres Herzens Angst, auch wenn sie sich fest vorgenommen hatte, ihm das nicht zu zeigen.

      Als der Zaun für das Gehege fertig war, fragte Zygal: »Möchtest du die Ziegen in ihr neues Zuhause bringen?« Kyla machte sich begeistert daran, die Tiere eines nach dem anderen am Strick dorthin zu führen, um ihnen dann die Seile vom Hals zu lösen und ihnen damit die Möglichkeit zu geben, sich in ihrem eingezäunten Reich frei zu bewegen. Als sie die Tiere alles neugierig erkunden sah, dachte Kyla unweigerlich daran, dass Zygal und Olha sie nachts in Ketten legten. Das machte sie traurig und wütend zugleich. Jetzt zuzusehen, wie die Ziegen ihr Gehege voller Tatendrang entdeckten, brachte Kyla jedoch schnell wieder zum Lachen. Vor allem, als sich zwei von ihnen ständig gegenseitig Kopfstüber gaben, weil sie unbedingt das gleiche Büschel Gras fressen wollten, obwohl in der Umgebung noch mehr davon standen. Die beiden Dickköpfe waren einfach zu drollig und Kyla lachte aus voller Kehle. Plötzlich stand Zygal neben ihr und sagte: »Es ist schön, wenn du Freude hast. Leider hat das Leben viel zu wenig davon zu bieten.«

      »Als ich noch im Wald lebte, hatte ich viel mehr Freude, als hier bei euch.« Kyla wusste, dass das nicht stimmte, aber sie sagte es trotzdem. Sie wollte Zygal wehtun und spürte, dass es ihr gelungen war. »Warum lasst ihr mich nicht einfach dahin zurückgehen?«

      »Weil du dich nun innerhalb der Undurchdringlichen Mauern befindest. Hier dulden wir es nicht, dass ein Chyrrta so lebt. Und außerdem gibt es eine Bestimmung für dich, der du nicht entfliehen kannst, ganz egal, wohin du gehen würdest.«

      Kyla sah ihn forschend an, aber Zygals Blick blieb verschlossen. »Was ist eine Bestimmung?«

      »Das wirst du noch früh genug erfahren.« In plötzlicher Wut schlug Kyla gegen einen der Pfosten des Geheges. »Sag mir, was ihr von mir wollt!«

      Zygal seufzte. »Was wir wollen, haben wir dir bereits gesagt. Du bleibst hier bei uns, ob du möchtest oder nicht. Ich werde dich unterweisen – alles andere liegt nicht in meiner Hand, und ich bin nicht befugt, dir etwas zu erklären. Du musst das verstehen, Kyla ...«

      »GAR NICHTS VERSTEHE ICH! Nur, dass ihr böse seid! Ich werde weglaufen