Heinz-Joachim Simon

Aufstand in Berlin


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sind undankbar!“, änderte Manitu seine Taktik. „Ich habe Sie vor den Angriffen im Aufsichtsrat immer in Schutz genommen. Ich habe denen immer wieder gesagt, dass ein Singer mit dem Konsul im Hintergrund über Kontakte verfügt wie kaum ein anderer Vorstandsvorsitzender. Deswegen haben Sie noch einmal eine Chance bekommen und Ihnen wird nicht gleich der Stuhl vor die Tür gestellt. Sie verhalten sich unkooperativ.“

      „Sie werden mich nicht los, so lange die Aktienmehrheit mich schützt“, unterbrach ihn Singer lächelnd.

      Das Gespräch war gekippt. Beide wussten dies. Singer war nun im Vorteil, weil er sich durch Manitus schärfste Waffe, nämlich ihn zu feuern, nicht hatte einschüchtern lassen.

      „Singer, Singer!“, brummte Manitu bitter. „Sie machen es mir wirklich schwer. Es scheint Sie geradezu kalt zu lassen, dass Sie Ihren Sessel verlieren.“

      „Noch sind wir nicht soweit. Aber es stimmt. Es geht mir nicht darum, ihn um jeden Preis zu halten. Ich mache mir nicht die Hände schmutzig.“

      Singer war selbst verwundert, zu welchem Ergebnis das Gespräch geführt hatte und Breitschmidts Reaktion ließ erkennen, dass auch er darüber unglücklich war.

      „Es tut mir leid um Sie, um Ihre Frau!“ sagte der Aufsichtsratsvorsitzende zögernd, als überlege er, wie er Singer doch noch beikommen könne und was er falsch gemacht hatte, dass Singer so gänzlich die Spielregeln missachtete. Fast klagend fuhr er fort: „Alle tun es. Nennen Sie mir einen großen Konzern, der heute nicht abspecken muss. So etwas wie Sie habe ich noch nicht erlebt!“

      Nach diesem Ausruf stutzte Breitschmidt und in seine Augen trat ein ungläubiger fast ängstlicher Ausdruck.

      „Sie wollen wohl, dass wir auf Sie verzichten? Natürlich, Sie haben ein anderes Angebot, nicht wahr? Das ist nicht ehrlich, Singer. Das habe ich nicht verdient. Wo wir uns so gut kennen. Auch von Haus zu Haus. Hat Ihr Schwiegervater vor, Sie in seinem Konzern an die Spitze zu stellen? Es wird ja schon seit geraumer Zeit gemunkelt, dass er sein Haus bestellen will.“

      Natürlich musste der Aufsichtsratsvorsitzende so denken. Nur bei einem besseren Angebot war Singers Verhalten für ihn verständlich.

      „Nein!“, widersprach Singer ruhig.

      „Nein? Was heißt das?“

      „Ein Singer verlässt den Singerkonzern nicht ohne weiteres. Sie müssen mich schon aus dem Sessel kippen.“

      Singer fand selbst, dass dies ein wenig zu theatralisch klang, zumal er festgestellt hatte, dass die Drohungen ihn nicht ängstigten, dass der Verlust des Chefsessels der Singerwerke keine Panik bei ihm auslöste. Was ist nur los mit mir, fragte er sich. Erlebst du gerade das, was die Medien ein „Burn–out–Syndrom“ nennen. Ist diese Gleichgültigkeit in dir, weil du ausgebrannt bist?

      Breitschmidt stand wieder schnaufend auf. Erregt fuhr er mit der Hand durch die Luft.

      „Ach was, Sie sollten mal vierzehn Tage ausspannen. Auf jeden Fall bleibt es dabei. Ende November werden wir im Aufsichtsrat Ihre Vorschläge diskutieren. Überlegen Sie sich alles noch einmal in Ruhe. Sprechen Sie mit Ihrem Schwiegervater. Wenn Sie doch noch zur Vernunft kommen, werde ich das heutige Gespräch vergessen. Mehr kann ich nicht für Sie tun. Und ich tue es nur, weil ich Ihre Frau, Ihren Schwiegervater sehr schätze. Verpfuschen Sie nicht Ihr Leben. Sie benehmen sich ja wie ein Narr!“

      Singer war ebenfalls aufgestanden. Breitschmidt nickte ihm noch einmal zu und stürmte aus dem Büro.

      Die Kugler kam herein und ihre braunen Augen musterten ihn neugierig. „Was war denn los? Manitu war auf Hundertachtzig, als er rauslief.“

      Mit einer automatischen Geste strich sie sich dabei das Haar zurück. Singer drückte ihr einige Akten in die Hand und ließ sich in den Ledersessel zurückfallen.

      „Sie könnten vielleicht bald einen neuen Chef bekommen.“

      „So schlimm?“, fragte sie ruhig. Sehr erstaunt schien sie nicht zu sein.

      „Wir sollen abspecken!“, sagte er und schilderte ihr das Gespräch.

      „Und Sie wollen sich dem wirklich verweigern?“

      Ihre Augen verengten sich ungläubig. Sie griff in ihre Kostümjacke und holte ein Päckchen Zigaretten heraus. Singer gab ihr Feuer.

      „Ja. Wir kommen auch ohne solche Radikalmaßnahmen durch. Natürlich werden die Aktienkurse eine Zeitlang im Keller bleiben.“

      „Manitu wird dies nicht zulassen“, sagte sie und stieß den Rauch aus, wobei sie aufmerksam ihre Fingernägel betrachtete. „Ich weiß nicht, ob es so klug ist, den Michael Kohlhaas zu spielen.“

      „Nein. Klug vielleicht nicht. Aber ich kann dann wenigstens noch gut schlafen.“

      „Ich wusste immer, dass Sie kein Mann für harte Maßnahmen sind“, sagte sie offen und sah an ihm vorbei.

      Das geht ja schnell, dachte Singer. Orientiert sie sich jetzt schon neu?

      „Sie sind einfach ein zu netter Mann“, setzte sie schnell hinzu.

      „Kein tolles Kompliment für einen Vorstand.“

      „Nein“, gab sie zu. „Es ist auch kein Kompliment.“

      „Na, dann wünsche ich Ihnen mit dem Mann für harte Maßnahmen viel Vergnügen, sollte er denn kommen.“

      „Es wird kein Vergnügen sein. In meiner Position erwartet man das auch nicht. Ich werde auch mit einem Mann der Fakten zurechtkommen. Es wird schon gehen.“

      „Sie werden prima zurechtkommen“, sagte er höhnisch, verletzt durch ihre offenen Worte.

      „Oh ja. Vielleicht nicht prima, aber ich werde zurechtkommen.“

      Auf ihren Wangen zeichneten sich rote Flecken ab.

      „Passen Sie gut auf sich auf!“, warnte Singer.

      „Ich habe sehr gern mit Ihnen zusammengearbeitet. Es gab einmal eine Zeit, da war ich sogar …“ Sie brach ab und sah ihn mit einem Blick an, wie er ihn von ihr nicht kannte, als erinnerte sie sich an etwas, was für sie eine Hoffnung gewesen war. „Ja. Sie haben es nicht einmal bemerkt. Es gab eine Zeit, da war ich sehr verliebt in Sie.“

      Sie drückte die Zigarette in dem Aschenbecher aus, strich sich den Rock glatt und wollte hinauslaufen.

      „Ich mag Sie doch auch. Habe ich das nicht immer erkennen lassen?“

      „Ja. Sie mögen mich. Aber das ist auch alles“, sagte sie bitter und war wieder im Vorzimmer.

      Singer brauchte einige Zeit, um dieses Geständnis zu verarbeiten. Er hatte nicht gewusst, wie ernst es ihr war, damals auf dem Betriebsfest. Er hatte geglaubt, dass er in beiderseitigem Interesse handelte, wenn er mit Schweigen darüber hinweg ging. Es ist immer ein Fehler, wenn man sich mit dem Personal einlässt. Das wusstest du, machte er sich Vorwürfe. Er war froh, dass er nicht mit ihr ins Bett gegangen war. Das wenigstens nicht. Aber andererseits schmerzte ihn ihre Enttäuschung. Aber nun konnte er sich nicht damit aufhalten. Er musste handeln.

      „Können Sie mich mit meinem Onkel verbinden?“, sagte er in die Sprechanlage.

      „Sofort!“, antwortete sie. Ihre Stimme klang kühl und professionell wie immer.

      „Na, mein Junge, wo drückt der Schuh?“, hörte er die Stimme des alten Mannes. Für ihn würde er wohl immer ein Junge bleiben. Für einen fast Hundertjährigen waren alle unter siebzig junge Spunde.

      „Weißt du es schon?“

      „Was soll ich wissen? Ich weiß nur, wenn du am Montagmorgen noch vor dem Mittagessen anrufst, dann muss es bei dir brennen.“

      Singer erzählte ihm von dem Gespräch und auch von Breitschmidts Andeutungen, dass Michael Singers Stiefsohn eventuell seine Aktien abstoßen wolle. Er hörte den alten Mann seufzen.

      „Ja, mein Thomas.