Michaela Santowski

Schatten und Licht


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bestimmt dreimal wegen irgendeines Mists bei ihr gewesen. Einmal war es der fehlende Zucker gewesen, dann wollte er Eier haben und zum Schluß war ihm der Kaffee ausgegangen. Er hatte sie dabei jedes Mal mit irgendwelchem Kram, der sie sowieso nicht interessierte, vollgequatscht. Sarah war durchaus klar, dass er nur an ihr interessiert war. Sie allerdings keineswegs an ihm. Mit seinen mindestens fünfundvierzig Jahren war er ungefähr zwanzig Jahre zu alt für sie, die letzten Monat dreiundzwanzig geworden war. Wenn ich ihn ignoriere, verschwindet er vielleicht. Sie kuschelte sich tiefer in ihre Kissen und klappte das Buch wieder auf. Er war anscheinend nicht bereit, aufzugeben, da es erneut klingelte. Diesmal klopfte der Kerl sogar an die Tür. Vielleicht war es ja auch ein Notfall. Seufzend stand Sarah auf und ging zur Tür.

      Als sie öffnete, stand ein junger Mann in Jogginghose, offenem Hemd und Strümpfen, den sie noch nie gesehen hatte vor ihr. Ein Auge war zugeschwollen und blau und darunter befand sich eine aufgeplatzte Wunde, die bereits heftig entzündet war. Fragend blickte sie ihn an.

      Luca öffnete den Mund, als die Tür aufging, nur um ihn gleich wieder zu schließen. Die „alte Dame“ war höchstens Mitte zwanzig und echt süß. Sie hatte kurzgeschnittene rotbraune Haare und dunkelbraune Augen, in denen sich ein Mann ohne Weiteres verlieren konnte. Ihre vollen Lippen und ihre hohen Wangenknochen rundeten ihr Gesicht perfekt ab. Luca registrierte ihre langen, schlanken Beine und dass sie nur ein bisschen kleiner war als er, was bedeutete, dass sie mindestens 1,75 bis 1,80 groß sein musste. Diese Frau war wirklich sehr reizvoll. Sie blickte ihn immer noch fragend an.

      Endlich fand er seine Sprache wieder: „Entschuldigen Sie bitte die Störung“, stammelte er und lächelte sie an. „Mein Name ist Luca und ich wohne unter Ihnen. Wie Sie sicherlich bemerkt haben, hatte ich gestern ein kleines Missgeschick und leider habe ich keine Eiswürfel im Haus. Da dachte ich, ich frage mal bei Ihnen nach, da Bruno erwähnt hat, Sie seien Krankenschwester.“

      „So, dachten Sie das“, antwortete Sarah kühl, die wirklich langsam keine Lust mehr hatte, das ganze Haus mit ihren Sachen zu versorgen. Und dieser Typ kam auch noch halb nackt zu ihr. Zugegeben, sein durchtrainierter Körper war schon sehr ansehnlich. Er war braungebrannt, und zwar nicht vom Solarium, sondern eindeutig von der Sonne, hatte schwarze kurze Haare und leuchtend grüne Augen. An jedem anderen Tag hätte sie sich bestimmt an seinem Anblick erfreut. Vor allen Dingen, weil ihm wohl grade bewusst geworden war, dass er mit offenem Hemd vor ihr stand und er sich verzweifelt bemühte, dieses möglichst unauffällig zuzuknöpfen. Sarah mochte es, wenn einem Mann ein solcher Auftritt wenigstens peinlich war. Manche Männer bildeten sich nämlich ein, sie seien ein Geschenk Gottes und hätten jedes Recht der Welt, halbnackt vor der Tür einer unbekannten Frau aufzutauchen. Luca hatte sogar den Anstand ein wenig rot zu werden, während er den letzten Knopf schloss. Ergeben trat Sarah einen Schritt zur Seite. Er brauchte tatsächlich Hilfe. Für sein Auge konnte sie wahrscheinlich nichts mehr tun, aber die Wunde musste zumindest ordentlich gereinigt werden. Luca betrat die Wohnung: „Entschuldigen Sie meinen Aufzug“, sagte er zerknirscht, da ihm bewusst wurde, dass er nicht nur mit offenem Hemd vor ihr gestanden hatte, sondern auch noch in Socken. „Ich habe es etwas eilig“, versuchte er zu erklären.

      „Das sehe ich“, antwortete sie kühl. „Das Bad ist hinten links. Ich hole ein sauberes Tuch.“

      Sarah ließ ihn stehen und ging in die Küche.

      Luca ging ins Bad und verfluchte im Stillen seinen Nachbarn. Bruno hatte wahrscheinlich reges Interesse an ihr und wollte ihn, Luca, sozusagen von ihr fernhalten. Luca konnte sich schwer vorstellen, dass sie auch nur das kleinste Interesse an seinem Nachbarn hatte. Und von ihm musste sie ja jetzt einen klasse ersten Eindruck haben. Andererseits war es wahrscheinlich egal, ob er im Anzug mit Krawatte vor ihr gestanden hätte oder ohne Schuhe und mit offenem Hemd. Sein Gesicht sah aus, als hätte jemand ihn als Punchingball missbraucht. Sie würde ihn bestimmt für einen Schläger halten.

      Hinter ihm betrat Sarah das Bad. „Setzen Sie sich auf die Wanne!“

      Dann schüttete sie eine durchsichtige Flüssigkeit auf ein Handtuch und drückte es Luca ohne Vorwarnung auf die Wunde. Er sog hörbar die Luft ein. Das Zeug brannte wie Feuer. Sarah ignorierte das Geräusch und fing an, die Wunde zu reinigen, indem sie vorsichtig tupfte.

      „Ich bin gestern unschuldig in eine Schlägerei geraten und werde heute bei meinen Eltern erwartet“, versuchte Luca ein wenig von der Situation zu retten.

      „Aha“, antwortete Sarah desinteressiert.

      „Wenn ich da so auftauche, werden meine Eltern verrückt“, redete Luca weiter.

      Sarah antwortete nicht. Es interessierte sie nicht, was Luca für Probleme mit seinem Leben oder seinen Eltern hatte.

      „So, die Wunde ist sauber. Das Auge hätte gleich gekühlt werden müssen. Dafür kommt jede Hilfe zu spät.“

      „Na klasse“, murmelte Luca. Resigniert stand er auf. Sarah registrierte seinen verzweifelten Gesichtsausdruck. Irgendwie tat er ihr doch leid. Seufzend sagte sie: „Setzen Sie sich wieder!“

      Sarah ging zum Spiegelschrank und holte ihr Make-up raus. Nach ein paar Minuten war sie fertig.

      „So, jetzt können Sie zumindest behaupten, Sie hätten einfach nur eine Augenentzündung.“

      Luca blickte in den Spiegel. Wie auch immer sie das gemacht hatte, das Blau war nicht mehr zu sehen. Auch die Wunde hatte sie so überschminkt, dass nur ein kleiner Kratzer zu erkennen war.

      „Wow!“, sagte er anerkennend. „Wenn ich nicht wüsste, dass Sie Krankenschwester sind, würde ich denken, Sie wären Maskenbildnerin. Vielen Dank.“

      „Gern geschehen.“

      Sarah ging zur Tür. Luca, der verstand, dass sie ihn schnell loswerden wollte, trat in den Flur.

      „Darf ich wenigstens noch erfahren, wem ich meine Rettung zu verdanken habe?“

      „Sarah. Und Ihnen noch einen schönen Tag.“

      Damit schloss sie die Tür vor ihm.

      Amüsiert setzte sie sich auf ihre Couch. Eins musste man diesem Luca lassen: Originell war er schon. Nicht jeder wäre nur in Jogginghose und Hemd bekleidet zu einer völlig fremden Frau gegangen und hätte um Hilfe gebeten.

      Luca stand im Treppenhaus und überlegte, ob er Bruno mal gehörig die Meinung sagen sollte. Er hatte sich komplett zum Idioten gemacht. Andererseits musste er eingestehen, dass man auch zu einer älteren Dame nicht nur in Jogginghose und Hemd bekleidet geht. Ergo war er selber schuld an diesem Dilemma.

      „Wo hast du nur deine gute Kinderstube gelassen“, murmelte er und ging die Treppen runter. „Manuel wäre so etwas niemals passiert.“

      Sein Bruder war in jeder Hinsicht perfekt, während er das schwarze Schaf der Familie war. Er war der Rebell, während Manuel der liebevolle Sohn war, der ganz im Sinne seiner Eltern Wirtschaftswissenschaften studiert hatte, um dann in das Familienunternehmen einzusteigen. Selbstverständlich hatte Manuel den Abschluss mit Auszeichnung erhalten. Luca hatte nie studiert. Er war von einem Gelegenheitsjob in den anderen gegangen, hatte irgendwann eine Lehre als Bürokaufmann angefangen, aber schnell festgestellt, dass ihn diese Regelmäßigkeit langweilte. Er war durchs Land gereist und hatte sich mit Kellnerjobs durchgeschlagen. Seine Mutter hatte ihm heimlich immer wieder etwas Geld zustecken wollen, da seine Familie sehr wohlhabend war, aber Luca hatte abgelehnt. Er liebte seine Mutter sehr und auch seinen Vater auf seine Art, aber er wollte lieber unabhängig bleiben und ihnen nichts schulden.

      Eilig schloss er die Wohnungstür auf. Schnell zog er die Jogginghose aus und eine Jeans an. Darüber streifte er seine Motorradkluft, nahm den Helm und verließ die Wohnung.

      2

      „Jack, Darling, binde dir die Krawatte. Luca muss jeden Augenblick da sein.“ Rose reichte ihrem Mann die Krawatte an. Lächelnd griff er danach. Obwohl sie beide wussten, dass ihr Sohn in Jeans und legerem Hemd erscheinen würde, wahrten sie trotzdem das Ansehen. Ein sonntägliches Mittagessen im Kreis der Familie