Thomas Pfanner

Johann Gabb


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verzerrt seinen Mund.

      »Es sieht doch so aus: Immer und zu allen Zeiten wollen die Leute gerne Krieg spielen, weil es ihnen einfacher und sauberer vorkommt, als mit Handel oder Gesprächen etwas zu erreichen. Diesen Leuten fehlt es schlicht an Vorstellungsvermögen und an Verstand. Den Ausgang eines Krieges kann man nicht voraussagen, das hängt von so vielen Faktoren ab. Das menschliche Gehirn ist einfach zu klein für so etwas.

      Wenn dann Millionen Soldaten aufeinander einschlagen, geht der Überblick verloren, vor allem aber jede Menschlichkeit und jeder Anstand. Wenn du täglich um dein Leben fürchten musst, sind dir die Sorgen und das Leben aller anderen Menschen bald schrecklich egal. Wenn es erforderlich ist, wirst du zum Mörder, zum Verräter, zum Schweinehund. Die edlen Gutmenschen sterben zuerst. So geht das immer. In tausenden von Kriegen überlebten immer die Schweinehunde und starben immer die netten Kerle. Nun sind kaum noch nette Kerle übrig. Also, was soll sich ändern?«

      Ich sehe, dass es meinem Opa immer noch nahe geht. Er schämt sich dafür, seine Kameraden im Stich gelassen zu haben. Er schämt sich dafür, überlebt zu haben. Weil nur die Schweinehunde einen Krieg überleben können. Wie kann ich ihm helfen? Ich war damals nicht dabei, ich kann nicht mal im Ansatz nachempfinden, wie es sich anfühlt, von einer ganzen Armee permanent angegriffen zu werden, diese ständige Angst.

      Vielleicht habe ich eine Idee.

      »Ich habe von Mutter gehört, dass du sie trotz allem besuchen konntest. Wie ging das denn?«

      Es scheint zu helfen. Sein Gesicht klart auf. Er erinnert sich, dass er damals ein Ziel hatte. Er wollte das große Gemetzel überleben, weil er eine Familie hatte und für sie da sein wollte und auch musste. Er lächelt sogar leicht verschmitzt. Gott schütze die Vergesslichkeit.

      »Der Hauptmann gab mir eine Woche Urlaub. So konnte ich noch mal nach Hause gehen. Nur wenige Tage vor dem Einmarsch der Russen. War schon schön.«

      Er lächelt nicht mehr. Natürlich, in diesen Krieg fielen die Katastrophen dicht an dicht. Sicher bedeutete ein Wiedersehen eine ganz bedeutende Freude, wenn man kurz vorher beinahe getötet worden wäre. Die Vorzeichen eines solchen Wiedersehens verhießen aber nichts Gutes. Mein Opa hatte damals sicher Kenntnis von den Gräueln der Russen. Zwei Töchter in Feindesland zu wissen bedeutete eine unvorstellbare Belastung. Zudem vermochte er nichts zu unternehmen. Er selbst konnte vielleicht dem ganzen Wahnsinn entgehen, aber seine Angehörigen mussten am Ort bleiben. Oder etwa nicht?

      »Es gab keine Alternative«, bestätigt mein Opa. Einige Bewohner haben sich auf den Weg gemacht, wollten nach Österreich fliehen. Der Russe hat sie überholt. Die haben damals auf alles geschossen. Die vielen hundert Erdkampfflugzeuge waren ständig unterwegs auf der Suche nach lohnenden Zielen. Die haben wahrscheinlich ihre Auszeichnungen in Abhängigkeit von der Zahl der getöteten Feinde bekommen, was weiß ich? Vielleicht war es auch einfach nur bequem, viele Menschen mit einem Feuerstoß zu töten, die praktischerweise ohne Verteidigung blieben. Soldaten mögen Gegenwehr nicht sonderlich, ist zu anstrengend.«

      Nun wird er wieder zynisch. Ob das eine Methode ist, um das Trauma zu bewältigen? Mir kommt in den Sinn, dass eine Demenz auch ihre Schattenseiten haben könnte. All die Erlebnisse, die das Gehirn aus Gründen der geistigen Gesundheit für immer begraben wollte, all das kommt wieder hoch. Schon komisch, den Grund für das Begraben der Erinnerung wird vergessen, nicht aber die Erinnerung selbst. Zur Ablenkung frage ich ihn nach der Familie.

      »Ich war im Dezember vierundvierzig das letzte Mal in Mágocs. Da war es schon von Russen umzingelt. Stell dir das vor. Ich bin unbewaffnet und mit einem Urlaubsschein der SS in der Tasche durch die Linien marschiert. Ich sah halt aus wie ein ungarischer Bauer, außerdem hat sich von denen keiner vorstellen können, dass ein deutscher Soldat zurück will auf russisch besetztes Territorium. Na ja, im Endeffekt ging es ganz leicht.

      Es waren aber nicht alle da. Deine Mutter befand sich ja in Budapest im Internat. Nachdem Budapest zum ersten Mal bombardiert worden war, hat man alle männlichen Schüler zum Volkssturm eingezogen, alle Mädchen wurden evakuiert. Ins Sudetenland. Noch so ein finsterer und kalter Ort. Ich weiß gar nicht, warum die Sudeten so an diesem elenden Landstrich hängen. Jedenfalls hatte deine Mutter auch eine Menge Glück. Die wahren Heldentaten der deutschen Soldaten wurden in den letzten sechs Monaten des Krieges unternommen. Zahllose Männer haben sich geopfert, um den Frauen und Kindern die Flucht zu ermöglichen. Und ganz oft war es am Ende völlig umsonst. Hat dir deine Mutter davon erzählt?«

      Meine Mutter? Niemand erzählt hier irgendwas. Immer dieselben fünf Geschichten, aber sonst nichts, null, nada. Mein Opa hat das wohl auch nicht erwartet. Er lächelt wieder.

      »Schon komisch, nicht wahr? Deine Mutter, als sie noch ein Kind war, hat nicht genug bekommen von den Erzählungen ihres Großvaters. Er sollte immer vom Krieg erzählen, wie es in der Gefangenschaft war, und so weiter. Aber selber redet sie nicht so gerne davon.«

      Stimmt. Sie erzählt auch mir immer mal wieder von den Erlebnissen meines Urgroßvaters. Wie er beim Arbeitseinsatz in Sibirien von Wölfen überrascht wurde und bei minus dreißig Grad still dastehen musste, um nicht zerfleischt zu werden. Wie die Wölfe ihn dann anpinkelten und wieder verschwanden. Alles mächtig lustig, nur nicht in diesem Augenblick für meinen Urgroßvater. Manchmal werden lebensgefährliche Situationen in humorige Veranstaltungen umgedeutet, um es sich und den Anderen leichter zu machen. Mit dem Zweiten Weltkrieg funktioniert das aber nicht. Wird es auch nie. So ähnlich wie beim Dreißigjährigen Krieg. Dieses noch größere Massaker hat ebenfalls keinerlei Anekdoten hinterlassen.

      »Deine Mutter hat eine ziemliche Odyssee hinter sich, es hat aber auch immer jemand auf sie aufgepasst. Mal der Lehrer, mal ein Offizier, manchmal sogar ich selbst.«

      Und dann erzählt er mir eine Anekdote. Für mich, Jahrzehnte danach, ist es eine Anekdote, für meine Mutter war es der Horror schlechthin.

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