Thomas Pfanner

Johann Gabb


Скачать книгу

es wird einem gebracht. In den Blechkübeln wird es schnell kalt, die Zutaten sind ohnehin wahllos zusammengeklaut. Alles Essbare wird zusammengerührt und gekocht. Wem der Fraß dann noch schmeckt, der ist selbst dran schuld.«

      Er lacht laut. »Das Ding heißt nicht umsonst Gulasch-Kanone. Nach Rezept kocht da keiner. Im Grunde bestand meine Arbeit nicht so sehr im Kochen, sondern im Aussuchen der Zutaten. Wenn man Sachen zusammenschüttet, die auch im richtigen Leben zusammenpassen, dann kann nichts schief gehen. Deine Großmutter hat mir in den drei Tagen alles erklärt, die ich bis zum Abmarsch noch hatte. Die drei Tage haben mich ein Jahr lang überleben lassen. Als Koch bist du wichtig, da sind alle nachsichtig mit dir. Ist es sogar einigermaßen genießbar, bist du ein Gott. Dann wirst du sogar von höheren Chargen angefordert.«

      Von den höheren Chargen? Ich gebe ihm etwas zu trinken, seine Stimme wird rau. Jetzt nicht aufhören, es wird gerade spannend. Doch mein Großvater erlebt gerade einen überaus lebendigen Moment. Es befindet sich geistig vollständig in der vergangenen Zeit. Und er will es erzählen. Ich setze mich bequemer hin und höre ein paar unglaubliche Dinge.

      *

      Irgendwo in Österreich, kurz vor dem Zusammenbruch

      Johann ließ den Blick immer wieder wandern zwischen den Szenen auf der Tanzfläche und den Speisen, die er gekocht und arrangiert hatte und die er seit einiger Zeit bewachen durfte.

      Er fühlte sich wie in einem schlechten Film, nicht nur wegen der Umstände, sondern vor allem aufgrund seines tief empfundenen Verlangens, nicht hier sein zu wollen. Alles an diesem Ort lief falsch, wirklich alles.

      Er war nun einige Zeit ein Soldat der Waffen-SS, für sich allein betrachtet schon ein Witz. Diese hochgelobte und vom Feind mehr alles andere gefürchtete Truppe bestand in diesen letzten Kriegstagen aus ein paar durchgedrehten Offizieren, und Mannschaften, die sich nahezu ausschließlich aus schlecht ausgebildeten Auslands-Deutschen zusammensetzten. Die hochgewachsenen, blonden Germanen, mit denen die SS angefangen hatte, waren allesamt gefallen. Nun gab es nur noch Beute-Deutsche, wie man sie auch nannte. Er stammte aus Ungarn, die Kellner aus Jugoslawien, seine beiden Helfer hinter der Theke waren Siebenbürger Sachsen. Ihnen gemein war die Unfähigkeit, mit dem Karabiner auf hundert Meter eine Scheune zu treffen sowie eine allgemeine, aber völlige Desorientierung, zu der dieser Abend wesentlich beitrug.

      Johann hatte den Nachmittag damit verbracht, das letzte Kalb und das vorletzte Schwein zu finden, zu fangen und zu schlachten. Als er zurückkehrte in dieses von Gott verlassene Kaff im österreichischen Hinterland, lagen überall Leichen herum. Die Offiziere nutzten die letzten Tage, um reinen Tisch zu machen. Juden, ausländische Zwangsarbeiter, ein paar widerborstige Einheimische, alle wurden erschossen, als gelte es, die Munition restlos aufzubrauchen.

      Die Leichen lagen immer noch draußen, in den Gräben, neben den Bahngleisen, auf denen nichts mehr fuhr, in Hinterhöfen. Hier im dazu erklärten Festsaal wurde gefeiert, während draußen die Toten zu stinken begannen.

      Es übertraf jede Vorstellung. Auf dieses Jahr als Soldat hätte Johann wirklich gerne verzichtet. In rasendem Tempo durfte er die Welt und die Menschen kennenlernen, nichts davon gefiel ihm. Zu dieser Sorte von Deutschen wollte er nicht gehören, nur blieb keine Wahl. Er hielt sich so gut es ging aus allen Widrigkeiten heraus und versuchte, nicht aufzufallen. So nah am Zusammenbruch starb so mancher wegen Fahnenflucht oder Feigheit vor dem Feind, man musste nur zur falschen Zeit am falschen Ort sein.

      Wobei, wenn er es recht bedachte, der Begriff Fahnenflucht auf praktisch alle Anwesende in diesem Raum anwendbar wäre. Doch der Wissinger gab die richtige Antwort: Sechzig Offiziere auf einen Schlag erschießt niemand.

      Dieses eine Mal hätte sich Johann gerne an einem Erschießungskommando beteiligt. Diese aufgeblasenen Offiziere hasste er ohnehin aus vollem Herzen. Wie sie vor den letzten zehn Prozent ihrer Einheit standen und vom Endsieg faselten. Wie sie vom reinigenden Stahlgewitter der Schlacht fantasierten und sich ganz flott verkrümelten, sobald das Töten begann. Wie sie von der moralischen Überlegenheit der deutschen Rasse räsonierten, aber selbst aus einer Ansammlung menschlicher Schwächen bestanden, von ihrer grundsätzlichen Charakterlosigkeit ganz zu schweigen.

      Johann spuckte auf den Boden. Moralische Überlegenheit, da konnte er nur lachen. Just in diesem Raum stellten die hohen Herren ihre Überlegenheit unter Beweis. In jeder Klapsmühle ging es gesitteter zu.

      Sein mühsam zusammengesuchtes Festessen hätte er besser in den Bach gekippt.

      An diesem von Gott verlassenen Ort gewann er ganz neue Einblicke in den Charakter des deutschen Herrenmenschen. Am Nachmittag noch hatte sich der Oberst vor die versammelte Truppe gestellt und eben jenen Herrenmenschen thematisiert, der von der Vorsehung bestimmt sei, die Horden aus dem Osten ein für alle Mal zu zerschmettern. Diese seien nun leider und nur aufgrund der allgegenwärtigen jüdischen Verschwörung in der Überzahl, aber das sei doch für die großartigen deutschen Soldaten allenfalls ein zeitlich begrenztes Problem. Es brauche eben seine Zeit sie alle zu töten.

      Mit den anderen einfachen Soldaten hatte sich Johann erstaunt gefragt, wie viel Schnaps man wohl trinken musste, um dergleichen ziemlich überzeugend zu verkünden, während gleichzeitig dem Offizier klar war, dass alle Versammelten die Wahrheit kannten. Jemanden anlügen war eine Sache, dem Wissenden einen Bären aufbinden eine andere.

      Nun, an diesem Abend, lernte Johann seine Vorgesetzten von einer anderen Seite kennen. Jede Medaille hatte seine zwei Seiten. Die eine kannte er bereits, sie gefiel ihm kein bisschen. Doch auch auf diese Seite der Medaille wollte er nie im Leben einen Blick werfen.

      Das sogenannte Kasino bestand im Grunde aus einer hastig hergerichteten Scheune. In diesen Tagen musste wegen der zahlreichen Feindflugzeuge alles getarnt werden, damit nicht jemand auf die Idee kam, ein paar Bomben abzuwerfen. Die beste Tarnung bestand immer noch darin, ein harmloses Gebäude einfach so zu lassen, während innen diskrete Umbauten für die militärische Nutzbarkeit sorgten.

      In diesem Falle sah die Nutzung allerdings ganz und gar nicht militärisch aus und es beruhigte ihn, eine neutrale Position einzunehmen. Immerhin war er der Koch und damit fast so unantastbar wie der Oberst.

      Ohne Mampf kein Kampf. So lautete die inoffizielle Binsenwahrheit der Truppe. An diesem Abend galt es, ganz besonderen Mampf zu präsentieren. Das Schwein briet nun an einer Stange über offenem Feuer und nahm im ersten Teil des Abends den Großteil der Aufmerksamkeit in Anspruch. Daneben fand Johann aber immer wieder Zeit, um sich das Treiben anzusehen, welches ringsum in aller Ausgelassenheit tobte. Mit nicht geringem Gruseln betrachtete er die Szenerie und nahm einzelne Details besonders scharf wahr.

      Offiziere aller Ränge und jeden Alters machten sich bei Schnaps und Wein zum Affen, lachten, tobten, fraßen, soffen und ließen auch sonst jedes Anzeichen vermissen, man könne es mit den nachmittags erwähnten Herrenmenschen zu tun haben. Zu einer regelrechten Orgie wurde die Veranstaltung aber durch eine große Anzahl Blitz-Mädel.

      Johann konnte gar nicht sagen, wie sehr ihn dies alles abstieß. Für einen verlorenen Krieg als Kanonenfutter herangezogen worden zu sein genügte offenbar nicht. Nein, diese ach so großartige Nation verheizte seine eigenen Frauen, nein Mädchen auf gleich zweifache Art. Erst wurden sie an die Front geschickt, um in Schreibstuben, im Nachschub und an der Flak mehr Soldaten für die Front freizumachen. Und dann raubten diese Soldaten den eigenen Mädchen jede Form von Unschuld. Was da der Russe schlimmer machen konnte, blieb ihm schleierhaft. Vielleicht, dachte Johann gallig, verzichtet der Russe aufgrund seiner unmenschlichen Ader darauf, den Mädels Schnaps einzuflößen, bevor er sich über sie hermacht.

      Die Scheune kam ihm vor wie eine Zeitreise zum Ende des Römischen Reiches. Draußen stehen die Barbaren und schreien nach Blut, drinnen feiern die Edlen ihren eigenen Abschied von der Welt. Nur war nichts Edles an dem, was sie taten. Die arglosen Mädchen wurden mit Alkohol nahezu besinnungslos gemacht, dann schleppte man sie eines nach dem anderen in das Obergeschoss. Zurück kamen sie meist erst nach mehreren Schichtwechseln, und dann waren sie sehr verstört, wollten nichts essen und nichts trinken.

      Natürlich gab es Ausnahmen, Mädels, die ihren Spaß hatten ebenso wie Soldaten, die Ehre genug im Leib besaßen,