Lina-Marie Lang

Das Geheimnis der Keshani


Скачать книгу

      Nadira klammerte sich an den Sattel und hoffte, dass es ausreichen würde, um nicht herunterzufallen. Den eigentlichen Kampf aber führte sie in ihrem Kopf aus. Die Dunkelheit tauchte immer wieder auf und wollte Nadira umschließen, einem schwarzen Seidentuch gleich, das sie umfangen wollte. Aber immer wieder wich Nadira zurück und konnte verhindern überwältigt zu werden.

      Der Kampf zerrte an Nadiras Kräften, aber sie schaffte es, die Dunkelheit zurückzuhalten. Die Angriffe wurden schwächer und schließlich zog sich die Dunkelheit zurück. Doch Nadira fühlte, dass sie nicht weit weg war, sondern sich nur versteckte, lauernd auf eine Gelegenheit.

      „Wieder wach?"

      Nadira wandte den Kopf, um zu sehen, wer sie angesprochen hatte. Es war Lledar.

      „Pünktlich um unser aller Tod noch mitzuerleben", sagte er.

      Nadira schreckte auf. Die plötzliche Bewegung sorgte dafür, dass Wellen der Pein von ihren Rippen aus durch ihren ganzen Körper schossen. Doch diesmal lockten diese Schmerzen die Dunkelheit nicht an, sondern holten Nadira komplett zurück.

      Und sie wünschte sich die Dunkelheit zurück. Die Gruppe hatte angehalten. Die letzte Fackel war erloschen. Die Krieger, Callanor und Brancus hatten einen Kreis gebildet, in dessen Mitte die Pferde mit Nadira und Aurel standen. Außerhalb des Kreises befanden sich die Kreaturen. Eine dichte Wand aus dunklen Bewegungen umschloss den Kreis der Gefährten komplett. Sie waren eingekreist, von wahrscheinlich Hunderten der Kreaturen. Ihr letztes Licht war erloschen. So endet meine Reise nach Miragar also, dachte Nadira.

      ***

      Sie kämpften wie wahre Helden. Ein gutes Dutzend der Kreaturen waren bereits von den Kriegern erschlagen worden. Nadira griff immer wieder mit ihrem Ashara in den Kampf ein, aber sie musste sich schonen, sie war verletzt und hatte viel ihrer Kraft bei dem Angriff verloren. Brancus legte immer wieder einen Ring aus Feuer um die Gruppe, um so den Ansturm der Kreaturen aufzuhalten und den Kriegern Zeit zu geben, die Angreifer zu erschlagen.

      Alle Krieger bluteten bereits aus mehreren Wunden, aber wie durch ein Wunder war noch niemand ernsthaft verletzt worden. Ein Wunder und ihre Zusammenarbeit. Sie achteten aufeinander und halfen sich, wenn jemand in Bedrängnis geriet. Die Kreaturen im Gegensatz dazu, fielen über ihre verwundeten Kameraden her.

      Jedes Mal wenn Nadira einem ihrer Kameraden half, fühlte sie, wie ihr Ashara ein Stück weiter dahinschmolz. Brancus musste auch am Ende seiner Kräfte sein. Nadira war überrascht, dass er immer noch in der Lage war zu kämpfen.

      Hinter ihr erscholl ein Schrei. Sie drehte sich um und sah, dass eine der Kreaturen Arero ihre Klauen in die Schulter getrieben hatte. Nadira schleuderte der Kreatur ihr Ashara entgegen, diese wurde von dem Angriff fortgeschleudert und regelrecht zerfetzt.

      Arero war viel schlimmer erwischt worden als Nadira zuvor, er war nicht mehr in der Lage zu kämpfen. Lledar und Callanor rückten näher zusammen, um die Lücke zu schließen. Aurel versuchte Areros Wunde zu versorgen, aber sie konnte nicht viel tun.

      Die Kreaturen schienen zu verstehen, dass die Verteidigung der Gefährten jetzt geschwächt war, denn sie verstärkten ihre Angriffe noch weiter. Es konnte nur noch Minuten dauern, bis sie sie endgültig überrannten.

      Eine neue Welle der Angreifer stürzte sich auf die Krieger. Nadira überlegte, wie sie ihr verbleibendes Ashara verwenden konnte, um zumindest noch ein bisschen Zeit herauszuschlagen. Der Feuerring, den Brancus um die Gruppe gelegt hatte, brannte langsam nieder. Auch er musste am Ende seiner Kräfte sein. Aurel weinte leise.

      Nadira wollte ihr letztes Ashara, alles, was ihr noch verblieb, in einen letzten großen Angriff legen. Der Angriff sollte eine Schneise des Todes in die Angreifer brennen. Aber sie kam nicht dazu. Rechts von ihr ging eine Reihe der Kreaturen in Flammen auf. Was macht Brancus da, dachte Nadira. Aber sie erkannte schnell, dass nicht Brancus das getan hatte.

      Der Ansturm der Kreaturen kam kurz ins Stocken. „Was ist los?", rief Callanor.

      „Da." Nadira deutete auf die brennende Schneise, die in den Ring der Kreaturen geschnitten worden war.

      Callanor hatte keine Zeit, sich damit zu beschäftigen, denn die Kreaturen kamen wieder heran. Aber Nadira sah, dass eine einzelne Gestalt durch die Lücke im Ring der Kreaturen auf sie zuging.

      „Spart Eure Macht, Ashari", rief eine Frau.

      „Wer ist das?", rief Darec.

      Nadira antwortete nicht, sondern versuchte mehr zu erkennen. Die Gestalt war jetzt nah genug, um sie erkennen zu können. Sie trug Kleidung aus Leder, ähnlich wie die Dorfbewohner, aber ihr Gesicht war nicht verschleiert. Es war eindeutig eine Frau. Sie war schmutzig und wirkte irgendwie wild, und sie strahlte große Macht aus. Nadira wechselte die Sicht und konnte das Ashara dieser Frau hell wie eine Sonne strahlen sehen. Aber sie sah noch etwas das sie schockierte. Auch von den Kreaturen ging Energie aus. Nicht das helle Strahlen von Ashara, sondern dunkle Schatten, die aus den Körpern der Wesen herausleckten, als wollten sie alles Licht das ihnen zu nahe kam auslöschen.

      Ein Kreis aus Feuer breitete sich von der Ashari aus und umschloss die ganze Gruppe. Die Kreaturen in der vordersten Reihe fingen sofort Feuer. Daraufhin zogen die anderen sich zurück.

      „Wer bist du?", rief Nadira.

      „Eine Freundin", rief die Fremde zurück. „Ich glaube, ihr braucht ein wenig Hilfe."

      „Die brauchen wir eigentlich schon seit Stunden", rief Callanor.

      „Wir müssen weg von hier", sagte die Fremde, ohne auf Callanors Vorwurf einzugehen. „Ich kann den Feuerkreis nicht lange aufrechterhalten."

      „Können wir ihr vertrauen?", fragte Lledar.

      „Was haben wir für eine Wahl?", fragte Nadira. „Ihr vertrauen oder getötet werden."

      Die Fremde nickte. „Steigt auf eure Tiere, sie sind schneller als ihr und wir müssen schnell sein. Und jemand muss mich mitnehmen."

      Darec trat auf sein Pferd zu und streckte der Fremden die Hand entgegen. Als sie ihm näherkam, hielt er inne. Überraschung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab: „Du?"

      Die Fremde nickte.

      „Du kennst sie?", fragte Nadira.

      „Ja", sagte Darec und starrte die Fremde an.

      „Wir haben jetzt keine Zeit dafür", sagte die Fremde und ergriff Darecs Hand. „Später."

      Er nickte, stieg auf sein Pferd und zog sie hoch in den Sattel. Sie streckte ihre Hand aus und deutete auf den Schatten, den die Gefährten schon vorher entdeckt hatte. „In diese Richtung", sagte sie. „Und so schnell es geht."

      „Sagt nur wann", sagte Callanor.

      Der Ring aus Feuer schrumpfte und erlosch innerhalb von Sekunden. Plötzlich löste sich ein Licht aus der Hand der Fremden, schoss geradewegs nach oben, verharrte eine Sekunde über ihnen und explodierte dann in einem taghellen Blitz.

      Für einen Moment war die ganze Umgebung von Licht erfüllt. Für einen Moment konnte Nadira alles ganz klar erkennen, auch die Kreaturen. Es waren große, humanoide Wesen, ihre Haut war grau und eingefallen, wie tot. Sie hatten lange Arme, die bis zu den Knien reichten, ihre Finger endeten in langen, wie Metall glänzenden Krallen. Das Schlimmste aber war: Sie hatten keinen Kopf. Der Körper endete einfach mit dem Ende ihres Rumpfes. Dort, wo sich beim Menschen der Hals befand, hatten diese Kreaturen ein riesiges Loch, ein Loch voller scharfer, glänzender Zähne.

      „Los", rief die Fremde. Die Gefährten brauchten eine Sekunde, um sich von dem Anblick der Kreaturen zu lösen. „Los", rief sie wieder. Diesmal gehorchten sie und trieben ihre Pferde an. Die Kreaturen wichen vor dem hellen Licht zurück und waren wie gelähmt. Aber sehr lange hielt die Wirkung nicht an.

      Die Fremde lies ein weiteres Licht in die Luft steigen und wieder tauchte sie die Ebene in taghelles Licht, Helligkeit wie man sie außerhalb von Miragar kannte. Die Kreaturen wichen zurück, rannten davon oder ließen sich einfach zu Boden fallen.