Lina-Marie Lang

Das Geheimnis der Keshani


Скачать книгу

wie möglich, alle befanden sich im Lichtschein der Fackeln ihrer beiden Nachbarn. Nadira hatte das Gefühl, dass der Lichtkreis, den sie so erschaffen hatten, heller war als der Tag in Miragar.

      Schnell hatte sie Darec gefunden. „Was ist da draußen?", fragte sie.

      „Was machst du hier? Verschwinde wieder", fuhr er sie an.

      „Das werde ich nicht. Ich möchte wissen, was da draußen ist." Nadira nahm einen Platz neben Darec ein, und die anderen in der Nähe passten ihren Abstand zueinander an. Jede Person, die in den Kreis hinein oder aus dem Kreis heraus trat, hatte Auswirkung auf den ganzen Kreis. Nadira war von der Effektivität beeindruck, aber auch erschreckt. Diese Effektivität hieß, dass die Dorfbewohner öfter in dieser Situation waren.

      Nadira beobachtete die dunkle Ebene von Miragar außerhalb des Lichtkreises. Es war nichts zu sehen, außer gleichmäßiger Schwärze. Und es herrschte Stille. Nur das Prasseln der Fackeln und der Atem der Nebenmänner war zu hören. Dann erneut ein Schrei. Er kam von der anderen Seite des Dorfes. Nadira fuhr herum. Natürlich konnte sie nichts erkennen, da das gesamte Dorf dazwischen lag.

      Diesmal dauerte es nicht lange, bis der nächste Schrei durch die Stille schnitt. Dieser kam aber aus einer ganz anderen Richtung, rechts vor ihnen. Und er klang nah. Nadira starrte in die Richtung aus der der Schrei gekommen war, aber sie konnte nichts entdecken.

      „Kannst du etwas sehen?", flüsterte sie Darec zu.

      „Nein." Darec hatte die Fackel in der einen Hand, die andere Hand ruhte auf dem Griff seines Schwertes. Wenn nötig, würde er es schneller ziehen, als ein Angreifer einen Hieb gegen ihn ausführen konnte.

      Wieder erklang ein Schrei. Diesmal von links hinter ihnen. Diese Wesen - was immer sie waren - sie mussten das Dorf komplett eingekreist haben. Oder war es nur ein Wesen? Dann musste es schnell sein, sehr schnell.

      Nadira starrte in die Dunkelheit. War da nicht etwas? Eine Bewegung? Nein, doch nicht. Sie glaubte, schlürfende Schritte in der Dunkelheit zu hören. Da! Wieder eine Bewegung. Sie hielt den Punkt fixiert. Und sie sah es erneut. Eine Bewegung, kaum erkennbar. Etwas Schwarzes, das sich auf schwarzem Hintergrund bewegte.

      „Da", sagte sie leise und deutete auf die Stelle, an der sie die Bewegung gesehen hatte.

      „Ich sehe es", sagte Darec. Es war also wirklich da, Nadira hatte es sich nicht eingebildet. Aber was war es? Man konnte nichts erkennen, nur ab und zu eine Bewegung, einen Schatten in der Dunkelheit, der seine Form änderte.

      Dann bemerkte Nadira noch eine Bewegung. Und kurz darauf noch eine. Es waren mehrere Kreaturen da draußen. Aber nach wie vor war es ihr nicht möglich, zu sagen, was dort durch die Dunkelheit schlich.

      „Sie halten sich vom Licht fern", sagte Darec.

      „Wie viele sind es?", fragte Nadira.

      „Ich weiß es nicht genau. Mindestens fünf." Fünf! Allein hier. Und wahrscheinlich war das ganze Dorf eingekreist. Nadira versuchte links oder rechts etwas zu erkennen, aber dort konnte sie nichts sehen. Vielleicht waren die Kreaturen die sie gesehen hatte, gerade nahe genug herangekommen, dass man sie erkennen konnte. Aber außerhalb dieses Radius konnten sich noch Hunderte dieser Kreaturen befinden.

      Nadira sah es regelrecht vor sich. Ein Heer aus schattenhaften Bewegungen, das das Dorf komplett umstellt hatte. Es gab kein Entkommen, sie würden alle sterben. Nadira bemerkte, dass Panik in ihr aufstieg. Das ist alles nur in deinem Kopf, sagte sie zu sich selber. Da draußen ist kein Heer. Tatsächlich war es sehr unwahrscheinlich, dass ein ganzes Heer der Kreaturen unbemerkt bleiben würden. So viele Kreaturen auf kleinem Raum machten einfach Geräusche. Aber hier herrschte bedrohliche Stille.

      „Ich glaube, sie sind wieder weg", sagte Darec schließlich.

      Auch Nadira hatte schon seit einer Weile keine Bewegungen mehr gesehen. Waren sie wirklich verschwunden? Wenn ja, würden die Dorfbewohner es sicherlich wissen. Sie hatten Erfahrung damit.

      Aber es dauerte noch endlose Minuten bis schließlich die Entwarnung kam. Sie wurden aufgefordert die Fackeln in den Boden zu stecken und dann wieder ins Dorf zurück zu gehen.

      ***

      Als sie wieder auf dem Dorfplatz angekommen waren, wartete der Älteste schon mit finsterer Miene. Nadira hatte sofort das Gefühl, dass Ärger bevorstand. Er stand schweigend da, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wartete. Nadira bemerkte, dass die Dorfbewohner, die aus dem Ring des Lichtes zurückkamen, sofort in den Hütten verschwanden. Jedenfalls die meisten. Einige nahmen auch Aufstellung hinter dem Ältesten und im Kreis um Nadira und die anderen herum.

      „Ihr habt die Guul in unser Dorf geführt", sagte der Älteste. „Ihr habt Unheil über uns gebracht."

      „Das stimmt nicht", rief Nadira. Sie sah Hilfe suchend zu Callanor, aber dieser wich ihrem Blick aus. „Callanor?"

      „Doch, es stimmt", sagte Callanor zögernd.

      „Es stimmt?" Nadira konnte nicht fassen, was sie da hörte. Er hatte wissentlich ein ganzes Dorf in Gefahr gebracht?

      „Ihr werdet das Dorf verlassen, sofort!", sagte der Älteste scharf.

      „Diese Dinger sind noch da draußen", rief Nadira. „Ihr könnt uns nicht da raus schicken."

      „Ohne euch wären sie nicht hier. Ihr müsst gehen."

      „Wir hatten keine andere Wahl", rief Callanor. „Sie waren uns auf den Fersen. Wir brauchten Schutz. Und ich wusste, dass wir hier Schutz finden würden."

      „Ihr habt uns angelogen", sagte der Älteste. „Du wusstest, dass du die Guul zu uns führen würdest. Du hast uns alle in Gefahr gebracht."

      „Ich wusste nichts davon", sagte Nadira.

      „Wirklich nicht?" Der Älteste starrte Nadira an.

      „Ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Aber keine Ahnung was. Und ich wusste nicht, dass wir euch in Gefahr bringen würden."

      Der Älteste musterte Nadira lange. Schließlich sagte er: „Ich glaube, du sagst die Wahrheit. Aber es ändert nichts. Ihr müsst gehen. Und zwar sofort." Er gab den Dorfbewohnern, die um Nadiras Gruppe herumstanden, einen Wink und plötzlich zogen diese Waffen.

      „Was soll das?", rief Nadira. „Wir sind nicht eure Feinde."

      „Nein. Ihr seid Verbannte. Geht jetzt."

      „Wo ist Aurel?", rief Nadira. „Ich habe sie hier zurückgelassen."

      „Sie gehört jetzt uns", sagte der Älteste. Nadira wollte nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte.

      „Was soll das heißen?", fragte sie lauernd.

      „Sie wird eine von uns. Sie bleibt hier. Ihr geht. Sofort."

      „Gebt mir sofort Aurel zurück." Nadiras Stimme war eiskalt geworden. Als sie auf den Ältesten zutrat, strahlte sie plötzlich eine gefährliche Autorität aus. „Sofort", fügte sie hinzu.

      Der Älteste zögerte, aber nur einen Moment. „Nein. Sie gehört uns. Sie ist unsere Entschädigung."

      „Ihr hattet gar keinen Schaden", sagte Nadira. „Niemandem ist etwas passiert."

      „Das ist nicht euer Verdienst", sagte der Älteste. „Wir haben sie abgewehrt."

      „Ihr könnt keine Entschädigung verlangen, wenn nichts passiert ist. Gebt mir sofort Aurel zurück."

      Der Älteste trat zurück und winkte zwei Dorfbewohnern zu. Sie traten vor und wollten Nadira greifen. Aber bevor sie sie erreichen konnten, hatte Nadira nach ihrem Ashara gegriffen. Mit einer fast lässigen Bewegung der Arme schleuderte sie die beiden Krieger weit von sich. Mit einem dumpfen Schlag krachten sie in die Hütte des Ältesten und rissen sie halb ein.

      Nadira wandte sich wieder dem Ältesten zu. Trotz des fahlen Lichts konnte sie erkennen, dass dieser bleich geworden war. „Ich will Aurel zurück", sagte sie.

      Der