N. H. Warmbold

Winterkönig


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möchte ich Euch nicht länger aufhalten.“ Damit entließ die Königin sie.

      „Hoheit, es hat mich außerordentlich gefreut.“ Mara nickte Tessa freundlich zu, die ihren Gruß stumm erwiderte. Dann beugte sie sich zu Ondra und küsste sie auf die Wange. „Wir sehen uns ja bald.“

      „Und was meinst du mit bald, Mara?“

      „Spätestens in vier, fünf Tagen. Wäre ich eine richtige Heilerin, könnte ich es dir genauer sagen. Was ich dir jedoch mit Bestimmtheit sagen kann: mit deinem Kind ist wirklich alles in Ordnung. Reicht das?“

      Ondra strahlte. Mara verließ das Zimmer mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen.

      Sina unterhielt sich auf dem Flur angeregt mit Guy, kam ihr aber ungeduldig entgegen, als sie sie erblickte. „Da bist du ja endlich. Ich fürchtete schon, du wolltest hier übernachten.“

      „Nein, das wäre wohl doch zu viel des Guten. Lass uns gehen, ich bin müde.“

      „Dann komm“, drängte Sina. „Wenn wir uns beeilen, kommen wir noch rechtzeitig zum Abendessen“.

      * * *

      Hauptmann Sandar Sadurnim betrat den großen, düsteren Speisesaal der Garde; es roch nach altem Essen, abgestandenem Bier, zu vielen schwitzenden, ungewaschenen Leibern. Und doch entlockte ihm der Anblick jenes schlecht gelaunten, mürrischen Hauptmanns – in seinen Augen einer der besten Männer der Garde, und der härteste sowieso –, der in dem den Hauptleuten vorbehaltenen Bereich des Saals saß, ein Lächeln. „Ihr erlaubt, Hauptmann?“

      Der angesprochene, Hauptmann Davian, antwortete mit einem knappen Nicken, ohne dabei seine nachlässige Haltung auch nur im Geringsten zu ändern „Sicher, setz dich. Was treibt dich zu mir?“

      „Hunger und die Hoffnung auf anregende Gesellschaft“, meinte Sandar lapidar und ließ sich Davian gegenüber an dem groben Holztisch nieder.

      „Und du glaubst, hier fündig zu werden?“

      „Zumindest, was einen der beiden Punkte angeht.“ Sandar grinste breit. „Wir könnten aber auch zu mir gehen, ich habe ein paar Fläschchen wirklich guten Wein im Keller.“

      „Nur Wein?“, hakte Davian nach.

      „Wenn du willst, auch was Stärkeres. Und Emmi könnte uns was Gutes kochen.“

      „So eine Einladung kann man wohl kaum ausschlagen“, Davian ließ ein raues Lachen hören.

      „Sollst du auch nicht.“ Zufrieden lehnte Sandar sich auf seinem Stuhl zurück. „Ach, was ich fragen wollte … Irgendeine Vorstellung, wann Domallen wieder in der Stadt ist?“

      „Die nächsten Tage wohl, so aufregend ist Saligart nicht. Wieso?“

      „Nichts weiter. Ich hab‘ nur gerade sein Mädchen …“, Sandar verzog süffisant das Gesicht, „die Kleine aus dem Süden im Palast gesehen.“

      „Antrittsbesuch bei ihrer königlichen Hoheit“, brummte Davian.

      „Du weißt davon?“, wunderte sich Sandar.

      „Ich hatte, ‘n bisschen außerhalb der Reihe, bei ihr Wachdienst.“

      (83. Tag)

      Kapitel 5 – Nächtens

      Sina und Mara gelangten noch rechtzeitig in den Tempel, der Speisesaal hatte sich allerdings schon merklich geleert. Nur noch einige ältere Priesterinnen, die Mara nicht näher kannte, saßen in einer entfernten Ecke des großen Raumes.

      Sina machte sich mit Heißhunger über ihren Fisch her, während Mara lustlos auf ihrem Teller herumstocherte, ihn schließlich weit von sich schob.

      „Was dagegen, wenn ich deinen Fisch aufesse, Süße?“, fragte Sina prompt.

      „Nein, nimm dir ruhig.“

      „Danke. Weißt du, ich werde nicht recht schlau aus dir, warum bist du so unzufrieden?“

      „Müssen wir wirklich hier darüber reden?“, wich Mara aus.

      Verdutzt schaute Sina sie an. „Nein, natürlich nicht … aber wo dann?“

      „Egal, wo, Hauptsache allein“, erwiderte Mara. „Ich war noch nie in deinem Zimmer.“

      „Schön, gehen wir in mein Zimmer“, stimmte Sina verblüfft zu. „Was ist jetzt eigentlich mit deinem Kleid?“

      „Wieso?“, fragte Mara irritiert. „Ich habe es an, was soll damit sein?“

      „Das Kleid meine ich nicht“, erklärte Sina, als spräche sie mit einem Kleinkind. „Das andere, das du zum Fest tragen willst.“

      „Ach das. Réa kümmert sich darum. Morgen Nachmittag kommt eine Schneiderin mit einigen Vorschlägen und Stoffen zu ihr. Ich verstehe immer noch nicht, wozu dieser ganze Aufwand gut sein soll. Ich habe ein Kleid, es ist wunderschön und jeder sagt mir, dass ich darin wie eine Fee aussehe. Reicht das nicht?“

      „Nein. Natürlich siehst du in dem Kleid wunderschön aus, nur hattest du es im Palast schon zwei Mal an.“

      „Was spricht dagegen, es ein drittes Mal anzuziehen?“, wollte Mara wissen, und man hörte deutlich den Groll in ihrer Stimme.

      „Jeder erwartet von dir, dass du ein neues Kleid trägst“, machte Sina ihr klar. „Außerdem ist dies hier kein Sommerkleid.“

      „Was ihr in Mandura als Sommer bezeichnet, ist ja auch kein richtiger Sommer. Mein Kleid ist durchaus angemessen für das derzeitige Wetter.“

      Sina schüttelte amüsiert den Kopf. „Es wird noch wärmer, Süße.“

      „Ach ja?“, erwiderte Mara ironisch. „Und es ist wohl sowieso egal, was ich sage, nicht wahr?“

      „Absolut. Und da du nicht bezahlen musst, kann es dir auch egal sein.“

      „Und wer bezahlt?“, wollte Mara wissen.

      „Keine Ahnung, womöglich der König selbst?“ Sina zuckte die Achseln.

      „Warum der König?“ Mara wurde neugierig. „Es war Lorana, die mich hier haben wollte. Da ist es doch angemessen, wenn sie oder der Tempel für meine Garderobe aufkommt, oder? Hat sie bei den Schuhen doch auch gemacht.“

      „Äh, ja, richtig“, erwiderte Sina stockend und biss sich auf die Lippen. Sie blickte Mara betont offen an. „Nehmen wir den Nachtisch doch bei mir ein, oder? Geh schon mal vor, den Weg kennst du ja.“

      „Ja“, bestätigte Mara. „Über den Hof, dann in die obere Etage, das südwestliche Eckzimmer zum Innenhof.“

      „Ich hätte es kaum besser erklären können. Sieh dich ruhig um.“

      Mara ging am Brunnenhaus vorbei über den gepflasterten Hof und gleich wieder ins nächste Gebäude, ins obere Stockwerk.

      Also der König würde bezahlen, gut zu wissen. Oder zumindest jemand aus der Umgebung des Königs? Jedenfalls der Palast, nicht jedoch der Tempel.

      Auf dem Gang nahm sie eine Kerze von der Ablage und entzündete sie an einer der Fackeln, die in regelmäßigen Abständen in Haltern an der Wand brannten. Dann betrat sie Sinas Zimmer.

      Der Raum war nicht besonders groß und zweckmäßig eingerichtet: ein Tisch mit zwei Stühlen, ein Sessel vor dem Kamin an der rechten Wand, an der linken Wand ein Waschtisch mit einem Schemel davor, daneben eine Truhe. Rechts neben der Zimmertür standen ein großer Schrank sowie eine zweite Truhe. Über Eck war eine Ablage angebracht. Schräg gegenüber der Tür befand sich das Fenster. Mara zog den Vorhang zur Seite und schaute in den Innenhof hinab.

      Mehr als die Hälfte der Fensterwand wurde von einem weiteren Vorhang verdeckt, Mara linste neugierig an ihm vorbei. Ein Bett,