N. H. Warmbold

Winterkönig


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das Bett war ordentlich gemacht. Ein Handtuch lag gefaltet neben der Waschschüssel, ein Hemd oder eine Tunika sorgsam zusammengelegt auf einem der Stühle. Sogar die Papiere auf dem Tisch waren übereinander gestapelt, nicht überall verteilt, wie bei ihr. Mara grinste, als sie ihre achtlos von den Füßen gestreiften Schuhe sah, die mitten auf dem ansonsten leeren, sauber gefegten Boden lagen, und entzündete noch einige Kerzen auf dem Kaminsims.

      Sina trat ein und stellte zwei Schalen auf dem Tisch ab. „Ist ja richtig hell hier, warum so viele Kerzen?“

      „Ich mag nicht, wenn es so dunkel ist. Wie ordentlich es hier ist“, lobte Mara. „Ich bin wirklich überrascht.

      „Kann ja nicht jeder so unordentlich sein wie du, Süße“, lachte Sina.

      „Pah. Bestimmt bist du in Wirklichkeit gar nicht ordentlich, sondern tust nur so. In den Truhen und Schränken und unter dem Bett herrscht hingegen das größte Durcheinander.“

      „Hast du nicht nachgesehen?“, fragte die Tempelwächterin.

      „Nein. Ich war mir nicht sicher, ob ‚sich umsehen’ auch ‚in den Schränken stöbern’ beinhaltet.“

      Sina lachte. „Ich finde es wundervoll, wenn du so redest, ich könnte dir den ganzen Tag zuhören. Und dich dabei ansehen.“

      „Wirklich?“, erwiderte sie. „Ist das nicht etwas langweilig?“

      „Aber nein. Es ist sehr … lebendig, du sprichst mit dem ganzen Körper. Jedenfalls, wenn du nicht gerade mit Lorana redest oder aus irgendwelchen Gründen meinst, du müsstest dich kontrollieren. Das wäre tatsächlich langweilig.“

      Mara nickte, setzte sich in den Sessel und probierte den Nachtisch. „Schmeckt gut, was ist in der anderen Schale?“

      „Kirschen, Bes hat sie extra für dich aufgehoben. Weil du doch Kirschen so liebst.“

      Sie stimmte begeistert zu. „Die am Baum vor meinem Fenster sind leider noch nicht reif, aber die Vögel mögen sie jetzt schon.“

      „Sag der Katze, sie soll sie jagen“, schlug Sina vor.

      „Wozu, damit sie mir auch noch halbtote Vögel als Geschenk anschleppt?“, wehrte Mara ab. „Mäuse reichen mir.“

      „Was machst du mit ihnen?“

      „Kommt darauf an. Wenn sie nur leicht verletzt sind, trage ich sie hinaus und lasse sie laufen“, erklärte sie knapp.

      „Und sonst?“

      Wortlos lächelte sie Sina an und leckte genießerisch den Rest Nachspeise vom Löffel.

      „Du bist grausam, Süße, das machst du doch absichtlich!“, hielt Sina ihr vor.

      „Was meinst du?“

      „Du sitzt ganz unschuldig in deinem verführerischen Kleid, erzählst Scheußlichkeiten und schleckst dir dabei auch noch die Finger ab!“

      „Den Löffel“, korrigierte Mara ruhig.

      „Dann eben den Löffel, ist doch egal. Es ist wie mit dieser Geschichte, die du im Badehaus erzählt hast. Du wusstest genau, wie ich darauf reagieren würde, und hast dich auch noch gerekelt, nur um mich verrückt zu machen!“, ereiferte sich Sina.

      „Ich habe mich nicht gerekelt“, widersprach Mara.

      „Aber du hast gelächelt, hast mich angesehen und gelächelt, das ist fast das gleiche. Und du bist dir genau über deine Wirkung im Klaren, die du auf mich ausübst.“

      „Weil du es mir gesagt hast.“

      Resigniert verzog Sina das Gesicht, dann lächelte sie schelmisch. Also war sie wohl nicht ernsthaft wütend auf sie. „War wohl etwas unvorsichtig von mir, ich unterschätze dich. Du bist alles andere als ungefährlich, Süße, und du weißt viel zu viel. Hast du die Geschichte schon Jula erzählt?“

      „Die vom Faun? Nein, natürlich nicht. Das ist keine Geschichte für Männer.“

      „Und was wäre eine Geschichte für Männer?“, hakte Sina nach.

      „Keine Ahnung, ich kenne mich mit Männern nicht aus. Was sind das für Papiere?“ Mara deutete auf den Stapel am anderen Ende des Tisches.

      „Beurteilungen der Priesterschülerinnen. Willst du sie lesen?“

      „Nein, das geht mich nichts an“, wehrte Mara ab. „Und wie ich ihr Verhalten sehe, weiß ich ja.“

      „Überaus kritisch“, befand Sina.

      „Hat Milla sich bei dir beklagt? Ihr gefällt nicht, was ich gesagt habe. Sie meint, weil ich mit ihr befreundet bin, müsste ich alles, was sie tut, in einem milderen Licht sehen. Aber das wäre unehrlich.“

      „Ich weiß.“ Sina setzte sich zu ihr. „Allerdings ist ‚überängstlich, zaghaft und viel zu vorsichtig’ wirklich ein recht hartes Urteil, auch wenn ich dir im Kern zustimme. ‚Vorsichtig und nicht bereit, ein unnötiges Risiko einzugehen’ klingt viel netter, diplomatischer.“

      „Das ist aber nicht das gleiche“, begehrte Mara auf. „Und wenn ihr meine Meinung nicht gefällt, warum fragt sie dann überhaupt? Sie kennt mich doch, ich bin nicht diplomatisch und meistens nicht einmal nett.“

      „Ach Mara, nimm dir das doch nicht so zu Herzen. Wollte Milla Tempelwächterin werden, würde ich ihr ebenfalls nahelegen, sich das noch einmal sehr gründlich zu überlegen, weil es meiner Meinung nach völlig falsch wäre. Aber sie wird zur Priesterin geweiht und muss nicht mit einem Schwert umgehen können. Dafür kann sie mit Menschen umgehen, wenn sie auch mitunter noch etwas schüchtern ist, und sie kann singen.“ Sina kam um den Tisch herum, ging vor Mara in die Hocke und ergriff ihre Hände. „Mara, meine Süße, es geht nicht nur um Milla, stimmt's nicht? Oder um Réa, mit der du dich ja wohl heute Nachmittag gestritten hast, oder worum auch immer. Was ist wirklich los, Süße, willst du nicht darüber reden?“

      Mara senkte den Kopf, biss sich auf die Lippen und vermied es, Sina anzusehen. Sie hätte Sina nur zu gern ihr Herz ausgeschüttet, doch wenn sie jetzt anfing, würde sie anfangen zu weinen, und das wollte sie auf keinen Fall. „Sina?“

      „Ja?“

      „Kann ich heute Nacht bei dir schlafen?“, fragte sie leise.

      „Ja, klar, kannst du.“

      „Danke.“ Verzagt lächelte Mara sie an.

      Sina blickte ihr ernst ins Gesicht. „Du musst dich nicht bedanken. Hast du geglaubt, ich würde nein sagen, da du hier schlafen willst, weil du dich einsam fühlst, und nicht, weil du vor lauter Verlangen nicht mehr still sitzen kannst?“

      „Eigentlich nicht, nein“, überlegte sie.

      „Dann ist es ja gut“, meinte Sina nur.

      „Musst du auch über mich eine Beurteilung schreiben?“, wollte Mara wissen.

      „Nein, wieso? Oder willst du Priesterin werden?“

      Mara lachte und nahm sich eine Handvoll Kirschen. „Nein, ich dachte nur, es wäre interessant zu erfahren, wie dein Urteil über mich ausfällt.“

      „Das würde ich dir wohl kaum verraten, wenn ich Lorana Bericht erstatten sollte“, wehrte Sina lachend ab. „Muss ich aber nicht, und wenn überhaupt, ist das Malins Aufgabe. Ich glaube im Übrigen nicht, dass sich Lorana dafür interessiert, wie du dich im Schwertkampf anstellst. Außerdem habe ich dir gesagt, was ich darüber denke.“

      „Hast du.“ Mara blieb hartnäckig. „Aber vielleicht schreibst du etwas anderes als das, was du mir gegenüber zugibst?“

      „Ich drücke mich vielleicht gewählter aus, das ist aber auch schon der einzige Unterschied.“

      Mara wechselte das Thema. „Wie wird man eigentlich Priesterin?“

      „Wieso interessiert dich das auf einmal? Du hättest Réa längst fragen