Evadeen Brickwood

Abenteuer Halbmond


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Oma Bertrand und ihre… Familie!” Oma Heydenreich machte an dieser Stelle das Kreuzzeichen. “Sie müssen entweder zu einer richtigen Kirche mitkommen oder sie können von mir aus ganz fortbleiben.”

      “Ich muss doch ihre Wünsche respektieren. Walter war schließlich ihr Sohn,” versuchte meine Mutter zu verhandeln.

      “Respektieren? Was wissen diese Menschen schon von Respekt vor unserem Herrn. Ich war ja immer dagegen, dass du diesen Walter – Gott habe ihn selig – geheiratet hast.”

      Die beiden gingen bald einkaufen – es musste für Verpflegung für die bucklige Verwandtschaft gesorgt werden. Mir wurde befohlen, die Stellung zu halten, falls noch mehr Verwandte kamen.

      Es klingelte. Ich erwartete eine unbekannte Tante oder Cousine, die ich auf einmal küssen sollte. Es stand aber eine ältliche Kundin meines Vaters vor der Tür. Sie wollte uns mitfühlenderweise wissen lassen, wie unzuverlässig die heutigen Krematorien doch seien - und vielleicht zur Trauerfeier eingeladen zu werden.

      “Man kann nie sicher sein, ob die Asche der richtigen Person in der Urne landet oder net, wisse se.” Hatte ich richtig gehört?

      “Ach…” Ich war sprachlos.

      “Ja, wisse se,” fuhr sie eifrig fort. “Als der Vadder meiner Freundin Else kremiert wurde, war sie davon überzeugt, dass Körperteile einer anderen Leiche mit dabei waren… ein Arm oder ein Bein... Die schmeiße oifach alles zamme, diese Beerdigungsinschtitute.”

      Es fiel mir schwer ihrem Wortschwall zu folgen. Woher nahm diese Fremde das Recht mich zu belästigen?

      “Wie konnte Else da sicher sei, dass was sie in der Urne mitbekam wirklich ihr Vadder war, frag‘ ich Sie?”

      Ich hatte meine Stimme wiedergefunden. “Ja, also... es tut mir leid, aber ich muss jetzt gehen. Viel zu tun. Danke für Ihren Besuch.”

      Ich musste die Frau buchstäblich zur Tür hinausschieben. Dann lehnte ich mich gegen die Wand und heulte.

      Ein reicher Großonkel zahlte nach der Trauerfeier in der katholischen Kirche, die durch die Abwesenheit der meisten Angehörigen meines Vaters glänzte, für den Leichenschmaus mit Kaffee und Kuchen. Zur Enttäuschung meiner Mutter hatte ich mich geweigert, in den Sarg zu schauen. Ich wollte Papa lebendig in Erinnerung behalten und nicht als Leiche. Meine Mutter wollte in der Kirche keine Szene machen, aber ich konnte ihr das Missvergnügen ansehen.

      Der Priester hielt eine nichtssagende Rede. Er hatte meinen Vater nicht gekannt. Wusste nichts vom Blumenbeet und seiner Sehnsucht nach Masuren. Wusste nichts von seiner Enttäuschung am Leben. Die meisten Leute in der Kirche hatten Papa nicht gekannt. Verdammt, ich hatte ihn ja selbst kaum gekannt.

      Das fühlt sich alles so falsch an, dachte ich. So sollte sich eine Beerdigung doch nicht abspielen.

      Zwar hatte ich keinerlei Erfahrung mit Trauerfeiern – keine – aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas fehlte. Sollte es da nicht ein vernünftiges Ritual geben? Eine Prozession, ein Scheiterhaufen oder angemessenen Gesang.

      ‘Ram nam satya hai...’ Die monotonen Worte drängten sich mir auf, aber ich wusste nicht was sie bedeuteten. ‘Ram nam satya hai...’ Ja, nicht schlecht. Ich summte während der ganzen Veranstaltung vor mich hin.

      Auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle nahm ich mich in acht, nicht auf gebrochene Pflastersteine zu treten. Wenn ich schon nichts anderes unter Kontrolle hatte, dann wollte ich wenigstens auf heile Platten treten. Ram naja…

      “Hört sich wie ein Hippie-Lied an,” sagte meine neueste Freundin Doris. Wir hatten uns nach der Kirche in einem Café in der Stadt verabredet.

      “Was für ein Hippie-Lied denn? Hast du das schon mal gehört?”

      Ich war längst aus meiner Beatles-Phase herausgewachsen. Doris war irgendwie anders. Intellektuell und kantig und sie sah ein wenig wie Morticia Addams von der Addams Family aus. Ich mochte sie.

      Im meinem Freundeskreis machte anscheinend nur Doris das Thema Sterben und Trauerfeiern nichts aus. Im Gegenteil. Sie mochte morbide Themen. Spinnen und ansteckende Krankheiten und solche Sachen.

      “Hmm, ’Hair’ vielleicht oder warte - ’Ougenweide’. Die benutzen immer so komische Worte in ihren Liedern. Wie in den ‘Merseburger Zaubersprüchen’: Eirissa suhn didisie...” Sie summte die Melodie.

      Im Herbst erst waren wir zusammen bei einem Konzert der Folk-Gruppe ‘Ougenweide’ gewesen und ich ging oft in den Plattenladen, um mir Folk Musik anzuhören. Schließlich hatte ich kein Geld, um Langspielplatten zu kaufen. Ougenweide, hmm. Ich war von der Erklärung beeindruckt.

      “Du hast recht. Wahrscheinlich habe ich das Lied irgendwo gehört.” Aber so ganz glaubte ich nicht daran.

      “Ich hasse Beerdigungen im Winter,” beschwerte ich mich bei Doris. “Alles ist so dunkelgrau und nasskalt. Das macht alles nur noch viel schlimmer.” Ich schluckte ein paar Tränen hinunter. “Warum muss das so morbide sein? Die Leute benehmen sich so verrückt und heucheln Anteilnahme”

      “Beerdigungen sind immer so. Alles ist tierisch morbide. Passend eigentlich,” sagte Doris nüchtern. Ich erzählte ihr von der alten Frau mit dem Krematorium.

      “Das ist ja echt ätzend. Wie kommt die Frau dazu dir sowas zu sagen?” regte sich meine neue Freundin auf.

      “Keine Ahnung. Meine Mutter wollte auch, dass wir in den offenen Sarg schauen. Total makaber.”

      “Wirklich? Sie wollte, dass du dir deinen toten Vater anschaust?” Doris nahm einen Schluck heißen Kaffees und fegte ihre dunkle Mähne nach hinten, damit der junge Mann schräg gegenüber sie gebührend bewundern konnte. Ich sah, dass ihr Manöver funktionierte.

      “Ja, gleich hinten im Altarraum. Ich bin nichtmal ‘reingegangen. Sie hat uns das mal wieder einfach so vor‘n Latz geknallt ohne darüber zu reden.”

      “Ich glaube ich hätte das gemacht,” Doris biss sich auf die Unterlippe.

      “Was? Na schönen Dank auch. Es handelt sich ja auch nur um meinen Vater, nicht um Stalin oder eine ägyptische Mumie.” Ich schüttelte mich.

      “Ja, klar ist das nicht das gleiche. Nicht sehr nett von deiner Mutter,” erwiderte Doris schnell und spielte mit dem Teelöffel. Sie tanzte noch den Zuckerstreuer auf dem Tisch herum, dann warf sie ihre Haare wieder spielerisch nach hinten.

      “Ach, die macht das immer so. Über nichts wird vorher gesprochen,” beklagte ich mich noch ein bisschen.

      “Ich glaube, ich würde mir meinen Vater anschauen.” Doris starrte verträumt vor sich hin, als stünde der Sarg ihres Vaters tatsächlich vor ihr. “Ich war noch nie bei ‘ner Beerdigung. Ich frag’ mich, ob das so ist wie in ‘Harold and Maude’.”

      “Wir können gerne tauschen, wenn du willst.” Ich winkte vor ihrem Gesicht hin und her, bis sie mich wieder ansah. “Das ist in Wirklichkeit nicht so wie im Film. Das ist ein richtiger Mensch, den man gut kennt... gekannt hat. Es ist als ob er noch da wäre und alles ist gar nicht wahr.”

      “Ich frage mich, ob die Leiche wirklich noch der Mensch ist oder ob der Mensch gar nicht mehr drin steckt.” Oje.

      Vielleicht hätte ich Doris von Dr. Albrechts Regressionstherapie und Reinkarnation und allem erzählt sollen; aber dann hätte ich ihr alles erklären müssen und das konnte ich jetzt einfach nicht.

      Insgeheim wünschte ich mir, dass Papa in einem Himmel gelandet war, der wie Masuren unendliche Wälder mit Pilzen und Beeren hatte, und einen großen See, in dem er endlos angeln konnte.

      “Hast du schon mal was von Karma gehört,” fragte sie mich nach einer Pause, in der wir unsere heißen Getränke schlürften und ein Stück Käsekuchen teilten.

      “Ne, was ist das dann?”

      “Man muss für seine schlechten Taten im Leben geradestehen, wenn