Paula Wuger

Räderwerk


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      Paula Wuger

      Räderwerk

      Die Keller-Lüge

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       KAPITEL 1

       KAPITEL 2

       KAPITEL 3

       KAPITEL 4

       KAPITEL 5

       KAPITEL 6

       KAPITEL 7

       KAPITEL 8

       KAPITEL 9

       KAPITEL 10

       KAPITEL 11

       KAPITEL 12

       Impressum neobooks

      KAPITEL 1

      J. J. PREYER

      RÄDERWERK

       JUDITH STEYN ERMITTELT

      ein Wienerwald-Krimi

       Ich trage, wo ich gehe,Stets eine Uhr bei mir;Wieviel es geschlagen habe,Genau seh ich an ihr.

       Es ist ein großer Meister,Der künstlich ihr Werk gefügt,Wenngleich ihr Gang nicht immerDem törichten Wunsche genügt.

      Johann Gabriel Seidl

       „Hast du die Sendung gesehen?“, fragte Manuel Glockner, als er kurz nach Mitternacht heimkam.

      „Natürlich. Und ich bin beeindruckt, obwohl du nicht zu sehen warst“, antwortete Judith Steyn. „Wie war es?“

      „Nicht besonders aufregend. Der Schutz des Jungen im Fernsehstudio ist überflüssig.“

      „Und was sagst du zum Interview?“

      „Da stimmt etwas nicht“, sagte Manuel. „Ben lügt. An der Sache ist etwas faul.“

      „Ben Wesely spricht auffallend gewählt für einen Menschen, der acht Jahre in einem Keller eingesperrt war“, formulierte Judith Steyn ihren Zweifel vorsichtiger als ihr Freund.

      „Hast du die Sendung aufgezeichnet?“

      Judith bejahte das, und Manuel schlug vor, das Interview gemeinsam noch einmal anzuschauen. „Ich bin nur in den Kulissen gestanden und hätte gerne deine Meinung dazu.“

      Während Judith am Aufnahmegerät hantierte, holte Manuel Bier und zwei Gläser aus der Küche. Dann ertönte die Signation der Sondersendung aus dem Fernsehgerät.

      „Wie er in die Scheinwerfer blinzelt! Als ob er die letzten Jahre in Dunkelheit verbracht hätte. Vor und nach der Sendung hat er ganz normal geschaut.“

      „Er wirkt gut genährt …“

      „Etwas zu gut sogar.“

      „Seine Muskeln scheinen normal entwickelt zu sein.“

      „Herr Wesely“, wandte sich der junge, blond gefärbte Interviewer an den etwas dicklichen jungen Mann, „wie geht es Ihnen jetzt, beinahe zwei Wochen nach Ihrer Flucht aus dem Keller, in dem Sie acht Jahre Ihres jungen Lebens gefangen gehalten worden sind?“

       Die Antwort des jungen Mannes, der eine tief in die Stirn gezogene Wollmütze trug, kam etwas stockend, aber in perfektem Deutsch, das kaum durch Dialekt oder Umgangssprache beeinträchtigt war: „So sehr ich die Freiheit genieße, so sehr bedeutet sie auch eine große Herausforderung für mich. Die Welt hat sich verändert, seit meinem zehnten Lebensjahr …“

      „Als Sie auf Weg zur Schule entführt worden sind.“

       Ben Wesely nickte und fuhr mit dem rechten Zeigefinger über die Oberlippe.

      „Ein Zeichen, dass er lügt. Der Kerl lügt“, ereiferte sich Manuel Glockner. „Er will verbergen, was aus seinem Mund kommt.“

      „Jedenfalls versucht er sich zu schützen. Die Mütze und die wärmende Strickjacke deuten darauf hin.“

      „Willst du auch Chips?“

      Judith lehnte dankend ab, während ihr Freund sich vom Polstersessel erhob und in die Küche ging.

      Sie bewunderte seine athletische Gestalt. Der zierliche Mann, den sie in Bad Gastein kennengelernt hatte, war durch hartes Training muskulös geworden.

      Manuel war, so überlegte Judith, sechs Jahre jünger als sie und zehn Jahre älter als Ben Wesely, der in den Jahren seiner Entführung vom Kind zum Mann gereift war.

      Judith stellte sich das zehnjährige Kind vor, mit der Stimme eines Mädchens, das in einen Lieferwagen gezerrt, in den Keller eines Einfamilienhauses verschleppt und dort acht Jahre festgehalten worden war, bis kurz nach dem Erreichen der Volljährigkeit.

      Wollte man der Geschichte Glauben schenken, die in den Medien verbreitet wurde, war Wesely zwei Tage nach seinem 18. Geburtstag aus dem Haus geflüchtet. Sein Entführer hatte daraufhin Selbstmord begangen, indem er sich vor einen Zug geworfen hatte.

      Judith hätte viele Fragen an den jungen Mann gehabt, doch der Interviewer im Fernsehen stellte sie nicht. Aus Rücksicht auf den seelischen Zustand des Geflüchteten, wie es in einem einleitenden Statement von Prof. Holzmeister hieß, jenes Jugendpsychiaters, der Ben Wesely betreute.

      „Wie sehen Sie die Jahre Ihrer Gefangenschaft im Rückblick?“, fragte der Interviewer.

      „Es waren Jahre der Enge, der Dunkelheit. Aber man gewöhnt sich auch daran, besonders wenn man jung ist. Je älter ich wurde, desto stärker wurde mein Wunsch, ein Leben wie die anderen zu führen, das sich nicht auf einen einzigen Menschen konzentriert, auf den ich in jeder Weise angewiesen war.“

      „Er spricht viel zu schön. Als ob man ihm die Antworten eingetrichtert hätte“, sagte Manuel Glockner und nahm wieder Platz. „Ich traue dieser Inszenierung keinen Augenblick.“

      „Und alles in Händen von Cramar“, ergänzte Judith. „TVÖ, Österreich aktuell.“

      „Was sagt Waldheim dazu?“

      „Er wird sicher nicht glücklich sein, dass alles über die Konkurrenz abgewickelt wird.“

      „Ein perfekter Mediendeal, der den Beteiligten viel Geld einbringt. Und das erst zwei Wochen nach der Flucht.“

      „Andererseits“, überlegte Judith, „braucht der Junge Geld. Er hat keinen Schulabschluss, keinen Beruf erlernt.“

      „Viel wird nicht davon übrigbleiben, wenn man die Honorare für den Psychiater und den Pressesprecher abzieht.“

      „Und