Stefanie Purle

Hexenseele


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dieser seelenleeren Hölle festzusitzen?

      „Dunkle Zauber fordern Opfer, Scarlett“, sagt eine Stimme hinter mir, doch ich drehe mich noch nicht einmal zu ihr um.

      Stattdessen verlasse ich ihren Kreis und versuche einen klaren Gedanken zu fassen, obwohl ich ihrer aller Blicke in meinem Rücken spüre.

      „Ohne den Inviolabilem-Zauber wärst du gestorben“, sagt eine der Kräuterfrauen. „Wir haben die Zukunft dieser Dimension ohne dich gesehen, Scarlett, und dazu durfte es einfach nicht kommen.“

      Mein Blick ruht auf dem bewaldeten Hang, auf dem oben das kolossale Holzhaus der Familie Belger thront – Mein Zuhause, das jetzt leer und verlassen daliegt, als sei es nur eine Attrappe, eine Requisite der Vergangenheit.

      „Ich bin gestorben“, antworte ich leise. „Und Chris ebenfalls.“ Dann drehe ich mich zu ihnen um. „Und wenn mein Gefährte nicht lebt, will ich auch nicht mehr am Leben sein.“

      Unsere Blicke begegnen sich und ich sehe sie nacheinander an. Die Älteren wirken missmutig, ein wenig verärgert und eine der Sieben schnauft. Die Jüngeren hingegen legen den Kopf schief und lächeln mitfühlend und von Trauer ergriffen. Vielleicht haben sie selbst einen Geliebten verloren und können meine Gefühle nachempfinden.

      „Du musst leben!“, sagt die Älteste und zieht die Augenbrauen zusammen. Mit festen Schritten, die noch nicht einmal einen Grashalm krümmen, stampft ihr transparenter Körper auf mich zu. „Du schuldest es der magischen Welt! Du bist die erste Druidenhexe, der Urtypus einer neuen Art! Die Prophezeiung endet hier nicht, du hast dein Soll noch nicht erfüllt!“

      Eine weitere Geisterhexe schließt zu ihr auf, ihr Gesicht wirkt ebenso unerbittlich, wie das der Ältesten. „Wir haben dich nicht umsonst zum Inviolabilem-Zauber geführt! Du musst leben, Scarlett, und sei es nur, um danach weitere sechs Male zu sterben! Das bist du uns schuldig…“

      „Weitere sechs Male?“, hake ich nach. „Wieso sechs Male? Wovon sprichst du überhaupt?“

      Eine der übrigen Hexen tritt vor. Sie knetet ihre Finger und blickt mit reumütigem Blick zu mir auf. „Wollen wir das nicht in Ruhe besprechen?“, fragt sie und deutet hoch zum Haus. „Lasst uns doch alle reingehen und die Angelegenheit in Ruhe klären, einverstanden?“

      Kapitel 2

      Ich hatte Recht. Das Haus ist leer. Chris ist nicht hier, auch wenn es so aussieht, als sei er nur kurz unterwegs und nicht tot. Alles ist noch so, wie wir es zuletzt verlassen haben. Sein Kapuzenpullover hängt noch über dem Hocker an der Kücheninsel, ein paar Tassen stehen in der Spüle, warten darauf, in die Spülmaschine einsortiert zu werden.

      Ich versuche Licht zu machen, doch weder der Strom noch die Streichhölzer wollen funktionieren.

      „Gib es auf“, sagt die zweitälteste Hexe und nimmt am großen Esstisch Platz.

      Die übrigen tun es ihr gleich.

      „Hier gibt es keine Elemente, also auch kein Feuer“, erklärt eine der Jüngeren und klopft auf den Stuhl neben ihr. „Setz´ dich zu uns, wir haben einiges zu bereden.“

      Sobald sie sich alle um den Tisch herum versammelt haben, wirft das gräuliche Schimmern ihrer Körper einen schwachen Lichtschein in den Raum. Ich nehme neben der sommersprossigen Kräuterfrau Platz und schaue die Älteste an, die offenbar nur darauf wartet, mit ihrer Geschichte zu beginnen.

      „Dieser Wald und das umliegende Land waren einst unsere Heimat“, erzählt sie und blickt mit einem wehmütigen Lächeln aus der Fensterfront neben ihr hinaus. „Vor vielen Jahrhunderten lebten wir in einer Dorfgemeinschaft zusammen unter Menschen. Die Menschen nannten uns Kräuterfrauen und wussten unsere Heilkünste sehr zu schätzen. Doch dann begann die Zeit der Hexenverfolgung und mit unserem Frieden im Dorf war es vorbei.“

      Ich beobachte, wie sich die Stimmung am Tisch verändert. Eine Art Angst und knisternde Wut liegt in der Luft.

      „Fast jeder, der irgendwie auffiel, wurde der Hexerei beschuldigt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Nachbarn und ehemalige Freunde verrieten sich aus Angst gegenseitig und viele unschuldige, nicht-magische Wesen mussten sterben. Irgendwann traf es dann auch uns.“

      „Das tut mir sehr leid“, sage ich bestürzt.

      Die Rednerin nickt. „Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten, wurden angeklagt, mit dem Teufel in Verbindung zu stehen. Frauen mit Muttermalen wurden hingerichtet, denn die Male wurden als Hexenmale angesehen. Rothaarige, sommersprossige, kluge und intelligente Frauen, alleinstehende Frauen, Frauen mit Katzen als Haustiere, sie alle wurden verbrannt, aus Angst vor der Hexerei und dem Teufel.“

      Ich kann nur betroffen mit dem Kopf schütteln. Natürlich kenne ich die Geschichte der Hexenverfolgung, doch sie von einem Opfer zu hören, ist etwas ganz anderes. Es geht mir sehr nahe und für einen Moment vergesse ich meine eigene unglückliche Situation.

      „Wir Sieben waren schon immer eng befreundet, und als wir erfuhren, dass die Hexenverfolger näherkamen, schmiedeten wir einen Pakt. Wir wussten, dass wir ihnen nicht entkommen konnten, also fanden wir einen Schlupfweg.“

      Interessiert beuge ich mich vor. „Einen Schlupfweg?“

      Sie nickt. „Wir banden unsere Seelen an die Plejaden, dem Sternbild, die sieben Schwestern oder auch das Siebengestirn genannt. Wir wollten den Tod nicht akzeptieren und hofften, dass wir so eines Tages zurückkehren können, wenn die Welt wieder sicherer geworden ist.“

      Sie pausiert und blickt auf ihre gefalteten Hände auf dem Tisch. Die übrigen sechs wirken ebenfalls bedrückt und irgendwie müde.

      „Aber das seid ihr nicht“, schlussfolgere ich. „Oder doch?“

      „Nein, das sind wir nicht“, bestätigt sie und blickt langsam wieder auf. „Seit mehr als vierhundert Jahren beobachten wir nun schon die magische Welt, doch sicher war es für Unseresgleichen nie! All unsere Lieben starben und ihre Seelen reisten weiter, nur wir blieben stecken. Wir konnten zwar ihre Leben verfolgen und ihnen auch mal eine Eingebung, oder einen Hinweis geben, wenn sie offen dafür waren. Aber Kontakt konnten wir mit keinem aufnehmen. Wir haben uns mit dem Plejaden-Bann mehr selbst geschadet als genützt.“

      Offenbar sehe ich verwirrt aus, denn die jüngere Hexe neben mir wendet das Wort an mich. „Hätten wir unsere Seelen nicht an die Plejaden gebunden, wären sie weitergereist und vielleicht schon ein paar Mal wiedergeboren worden. Doch so hängen wir in einem ähnlichen Limbus wie diesem hier fest. Und das seit Jahrhunderten“, erklärt sie.

      „Aber ihr sagtet doch, dass ihr eure Lieben und mich beobachtet habt, in vielen Dimensionen“, grüble ich nach und stelle mir dabei unsichtbare Geisterseelen vor, die hinter Lebenden stehen und ihnen bei ihrem Tun und Handeln zusehen.

      „Um sie zu beobachten, müssen wir den Limbus nicht verlassen. Wir können den Limbus nicht verlassen.“

      „Das ist so nicht ganz richtig“, wendet die Älteste ein. „Wir können den Limbus sehr wohl verlassen, das war ja damals auch der Plan. Allerdings müssen wir heraufbeschworen werden. Doch um das Leben auf der Erde oder in einer der vielen Dimensionen zu beobachten, brauchen wir nur unseren Zirkel.“

      „Moment mal.“ Ich halte ihnen die Handfläche entgegen und kneife für eine Sekunde die Augen zu, doch auch das hilft nicht, um all die neuen Informationen in meinem Kopf zu ordnen. „Was genau ist eigentlich der Limbus, und wieso bin ich jetzt hier? Und was wollt ihr von mir, warum habt ihr dafür gesorgt, dass ich hierherkomme? Und wie zum Teufel heißt ihr überhaupt?“

      Bei Erwähnung des Gehörnten ducken sich die Jüngeren Hexen und schauen sich um, als erwarteten sie etwas. Doch es geschieht nichts.

      „Wie töricht von dir, an solch einem Ort seinen Namen auszusprechen!“, ermahnt mich die Älteste und schüttelt mit dem Kopf. „Der Limbus ist eine Art Zwischenwelt. Von hieraus geht es nur gen Himmel, Hölle oder Erde. Wer nicht an diese drei Orte gehört, gelangt in seinen persönlichen