Erhard Scherner

Geschichten vom LaoWai


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er, wie ihm neuer Schneid zuwächst. Zuschlagen wird er, wenn ihm jemand dumm kommt! Schlägt in die flimmernde Hitze, dass es knallt, erschrickt, bremst.

      Wird seine Eselspeitsche erst einmal verstecken. Wird gar nicht wissen, wo er sie im Haus ablegen soll: Die Frau wird sie nicht dulden. Er wird sie nicht rausgeben. Und manchmal wird er sie zeigen, später. Wer sonst hat eine alte Eselspeitsche, aufgelesen in Haidian auf der Straße der Weißen Brücke?

      Über Autos

      Wenn LaoWai auf Autos zu sprechen kommt, weiß er, wie rasch er ausfallend, ungerecht, ja beleidigend werden kann. Aber durch einen Pekinger Stadtpark spazierend, zumal an der Seite einiger Chinesen, mit denen er befreundet ist, müht er sich, seine Voreingenommenheit zu zügeln. Während ordinärer Straßenlärm, das Hupen der Autos vom Blättergrün gemildert wird, berichtet LaoWai so sachlich, wie ihm das möglich ist, von den unbewohnbar werdenden Metropolen des Abendlands. Gewaltige Autostraßen entstünden für gewaltige Desaster. Er offenbart heraufziehende Pestilenzen und gewesene Wälder, erwähnt beiläufig das christliche und demokratische Selbstverständnis von der freien Fahrt für mündige, freie Bürger und vergisst nicht die Staus, lang wie die Große Mauer von Badaling bis ans ostchinesische Meer.

      Aufmerksam, und wie es schien mit Genugtuung, hören die Einheimischen zu, ehe sie höflich anmerken: ein solches System, welches immer neuen Anreiz schaffe, dass Menschen so hasten, gierig nach Giften, von den kleinen Katastrophen zur absehbar großen, richte womöglich sich selbst. Nein, nein, solche Torheit würden sie, unter der Führung von …, gewiss nicht wiederholen. Man stelle sich vor, nur jeder vierte Chinese mit eigenem Wagen, das mache dreihundert Millionen Autos: der sichere Untergang eines Kontinents. Freie Fahrt für mündige Radfahrer sei der Ausweg mit chinesischem Antlitz. Aber eigentlich ginge sie das Problem überhaupt nichts an. Diese Frage, bitteschön, sollten die Ausländer ruhig unter sich ausmachen. Ein Fahrrad hierzulande koste ein Vermögen, manch einer zahle nicht einmal die lächerliche Fahrradsteuer. Für den Autotod sei China zu arm.

      Fröhlicher Kinderlärm unterbricht augenblicks das Gespräch, denn um eine Wegbiegung, hinter einem Bambuswäldchen gelegen, treffen die Spaziergänger auf eine Betonpiste. Dort kurven kleine Motorautos, mit breiten Kautschukpolstern abgefedert. Sie werden von kleinen Jungen gesteuert, manche sind kaum älter als vier Jahre, und ein Mädchen mit einer großen roten Haarschleife ist auch dabei. Nähertretend blickt LaoWai in junge blitzende Augen.

      (1992)

      Notiz für Enthusiasten

      LaoWai liebt Schönheit und Klang der chinesischen Sprache. Beim Disput mit Chinesen schreckt ihn nicht, die vier Tonhöhen im Pekingdialekt auch zu verfehlen; es erheitert seine Gesprächspartner, na und? Die chinesische Grammatik gar, könnte ihn begeistern: sie ist weitaus logischer als jede russische, französische oder deutsche, ist einfach und durchschaubar, kennt kein Konjugieren, kein Deklinieren und so was.

      Wenn er chinesische Namen aufschreiben muss, nutzt LaoWai in aller Regel die berühmte Pinyin-Umschrift, wird manchmal nur rückfällig, wenn die traditionelle Schreibung gar zu sehr in die Gehirnwindungen eingekerbt ist, schreibt also manchmal noch Laotse statt Laozi, Peking statt Beijing. Wo im chinesischen Wort im Zweifelsfall die neue Silbe beginnt, zeigt ein Apostroph. So bei Xi'an, Stadt der Tonkrieger.

      Zum Glück, schrecklich schwierig ist die Aussprache des Chinesischen nun wieder auch nicht. Beijing wird bee-djing gesprochen. Die chinesische Schrift·- ein Gedicht! Schade, denkt LaoWai, dass es bei mir mit dem Lesen und Schreiben hapert ... Wenn aber Sie, lieber Leser, verehrte Leserin - was wirklich nicht sein muss, denn hierbei ist nur an die Enthusiasten gedacht! - den Ehrgeiz verspüren sollten, die häufig benutzten Buchstaben und Buchstabenverbindungen annähernd chinesisch auszusprechen, so blinzeln Sie halt auf eine Tabelle, wie LaoWai es auch immer wieder einmal macht.

      Sprechen Sie unbekümmert:

      ai wie ei (Blei, Mai)

      ao au (lau)

      e e (essen)

      ei etwa ee (See)

      ja ja

      jan jän

      jang jang

      jao jau

      je

      ju ju

      ong ung

      c ts

      ch tsch

      h ch (ach)

      q tj

      r j (Journal)

      s ss

      sh sch

      x ch (ich)

      y j (ja)

      z ds

      zh dsch

      Und: u vor a, ai, an, ang, o wird wie w gesprochen, aber: u nach j, q, x , y wie ü.

      Das ist die ganze Kunst. Fürs Erste.

      Kin Ping Meh, beziehungsweise Werther

       Für Peter Gosse

      Ein Freund, der nach einem wissenschaftlichen Kongress in Peking Gelegenheit nahm, einige weitere Städte Chinas zu besuchen, hat aus Neugier oder einer Laune wegen seine chinesischen Gesprächspartner, Physiker wie er, nach dem klassischen Liebesroman "Kin Ping Meh" gefragt. Die aber verstanden ihn nicht, oder wollten sie ihn nicht verstehen? Inzwischen meint er, das frivole Buch sei tabu. Es widerspreche dermaßen der prüden Lebensauffassung im chinesischen Reich, dass man sich einfach nicht wundern dürfe, wenn es seit drei Jahrhunderten und offenbar noch immer verboten ist.

      LaoWai, der die emanzipatorischen Veränderungen im Leben der jungen Generation vor Augen hat, widerspricht ihm: Prüderie oder nicht, Verbot hin oder her - jeder, der lesen kann und Jin Ping Mei lesen will, hat das Buch gelesen, besitzt es oder weiß einen, der's hat.

      Dir aber geht es wie einem Chinesen, der durch Deutschland fährt und die Leute fragt, ob sie "Weltel" kennen. Er erhält nur negative Auskunft. Nach China zurückgekehrt, berichtet er, wie es die Deutschen mit dem Buch 'Die Leiden des jungen Werther' halten: "Offenbar haben sie Goethes Jugendroman vergessen. Womöglich ist das Buch tabu. Verständlich auch, da die junge Generation nichts oder wenig von der Zukunft erwartet. Fürchtet die Regierung, die Suizidrate unnötigerweise zu erhöhen?"

      Pekingoper

      Schade, an diesem Abend wird nicht der Affenkönig gegeben, der mit seinem Schabernack Unruhe in den Himmel trägt. Wäre wohl das Richtige für die dreijährige Veneta. LaoWai hat keine Bedenken, das Enkelkind in eine Pekingoper mitzunehmen.

      Wer Pekingoper sagt, meint kein festes Staatstheater, Stammhaus berühmter teurer Stimmen, sondern eine Stilrichtung. Pekingoper gibt es erst seit gut hundert Jahren, und so kannst du sie getrost zu Chinas jüngeren Künsten rechnen. Aber in Gestus und Gesang, vor allem in der Sprechweise, ist sie so weit vom Heute abgehoben, dass die Intendanten recht tun, wenn sie längs der Bühne per Bildwerfer zum Gesang die Schriftzeichen mitlaufen lassen. Pekingoper wird in vielen Städten Chinas aufgeführt. Zum Glück findest du sie noch immer in manch altem Viertel der Hauptstadt. Mag der trübe Saal mit seinem hölzernen Klappgestühl eher einem Kino gleichen, das seine besten Jahre längst hinter sich gebracht hat, triffst du grad hier, in Wattejacke oder Baumwollkleidung, das treue Publikum, das seine Pekingoper kennt, liebt und kritisch begleitet, sparsam