Richard Mackenrodt

Azahrú


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nehme Sie jetzt fest«, sagte Dupont, »und ich erwarte, dass Sie keinen Ärger machen.«

      »Ich habe nichts getan, Monsieur.«

      »Es ist nicht meine Sache, das zu klären. Dafür haben wir Gerichte. Ich nehme an, Sie wissen, was das ist, ein Gericht?« Dupont schnippte mit den Fingern und deutete auf Koumamá. Im selben Moment traten zwei Polizisten auf den Stammesführer zu.

      »Hände auf den Rücken«, befahl einer von ihnen. Ein halbes Dutzend Tuareg-Männer traten zwischen die Polizisten und ihren Anführer, die Hände auf den Griffen ihrer takubas.

      »Haltet euch raus!« rief Koumamá auf tamascheq. »Er hat noch sehr viel mehr Männer, hier ganz in der Nähe!«

      Seine Leute zögerten.

      »Na los!« bekräftigte Koumamá seine Anweisung. Die Männer zogen sich unwillig wieder zurück.

      »Woher wissen Sie das?« wollte Dupont wissen. »Das mit den Männern.«

      »Sie sprechen meine Sprache?« Koumamá war überrascht.

      »Ich bin kein solcher Idiot, wie Sie gerne glauben möchten«, antwortete der Franzose. »Also bitte, nur aus Neugier: Woher haben Sie es gewusst?«

      »Ihre Männer«, meinte Koumamá, »sind da hinten.« Er deutete auf eine Düne. »In der Luft sind leichte Spiegelungen. Die Männer haben zu viel Glitzerzeug an ihren Uniformen.«

      »Nehmt ihn fest«, wandte Dupont sich an seine Männer. »Und die da auch.« Damit meinte er die Gefolgsleute von Koumamá, die versucht hatten ihn zu verteidigen.

      »Ihr lasst euch entwaffnen und wehrt euch nicht, habt ihr verstanden?« gab Koumamá ihnen eindringlich zu verstehen. Die Männer gaben ihre Schwerter nur widerwillig ab, und sich fesseln zu lassen fiel ihnen noch schwerer. Die Tuareg wurden aneinander gebunden, mit Koumamá vorneweg, der wiederum an ein Pferd gebunden wurde, hinter dem er hertrotten musste.

      »Wo geht abba hin?« fragte ich meine Mutter, als Koumamá und die anderen mit den Franzosen das Lager verließen.

      »Er macht einen Ausflug«, sagte Fatou und verbarg ihre Betroffenheit, die an Panik grenzte. »Nur einen kleinen Ausflug.«

      3

      Im Lager herrschte Sprachlosigkeit. Fatou befahl Mariamá, mich unter allen Umständen im Zelt zu halten, denn ich sollte von dem, womit sie nun rechnete, nichts mitbekommen.

      »Wir hätten uns wehren sollen«, sagte einer.

      »So, hätten wir das?« erwiderte Fatou energisch. »Ich sage dir, was sie getan hätten. Sie hätten uns abgeschlachtet. Es wäre das Ende unseres Stammes gewesen.«

      »Das ist auch das Ende unseres Stammes«, erwiderte Ibrahim. »Sie wissen jetzt, dass sie mit uns machen können, was sie wollen!« Der Beifall, den er bekam, zeigte, dass die meisten Stammesmitglieder seiner Meinung waren. Sein Sohn Lassad trat neben ihn und rief: »Das Problem ist der Junge mit den blonden Haaren! Er gehört nicht hierher! Nur wegen ihm haben wir den ganzen Ärger!« Der Beifall schwoll noch mehr an. Hitzige Rufe von anderen mischten sich darunter.

      »Ja!«

      »Geben wir ihn raus!«

      »Er hat hier nichts zu suchen!«

      Fatou drängte sich in die Mitte der Diskutierenden, und mit einem einzigen wütenden »Essûnfá!« schaffte sie es, die aufgebrachte Menge zum Schweigen zu bringen.

      »Ein für allemal: Azahrú steht unter unserem Schutz. Der asshaq verbietet uns, daran etwas zu ändern! Wer von euch will gegen den asshaq verstoßen? Wer? Lasst es mich wissen.« Sie drehte sich langsam um die eigene Achse und blickte streng in die Runde.

      »Koumamá und ich«, fuhr sie mit fester Stimme fort, »haben ihn als Sohn angenommen. Damit ist er ein imushaq! Ist irgendjemand hier, der das noch nicht begriffen hat?«

      Alle schwiegen, niemand wagte es, dagegen das Wort zu erheben.

      »Lasst uns überlegen«, fuhr Fatou in wesentlich ruhigerem Tonfall fort, »was wir tun können. Ich fürchte, unsere Männer sind darauf angewiesen, dass uns etwas einfällt.«

      Fatou sah Ibrahim auffordernd an. Er ahnte, was sie von ihm erwartete, aber der Blickkontakt endete damit, dass er die Augen niederschlug. Lassad zupfte an seinem Ärmel.

      »Vater, wir brauchen einen neuen Anführer«, sagte er.

      »Unser Anführer ist Koumamá«, erwiderte Ibrahim. »Wir brauchen nur einen Stellvertreter.«

      »Trotzdem muss sich jemand finden, der diesen Platz einnimmt«, sagte Fatou. Sie sah in die Runde, aber keiner der Männer vermochte ihrem Blick stand zu halten.

      4

      Hermann von Kramm schien zu schrumpfen, als sein Neffe ihm die Botschaft überbrachte. Der Mann, der ein Leben lang vor Energie gestrotzt hatte, war nur noch ein kleines Bündel ohne Leben.

      »Du bist dir ganz sicher?« fragte er leise.

      »Es gibt keinen Zweifel«, sagte Gerhard. »Leider.«

      »Wie ist es passiert?«

      Gerhard schwieg.

      »Wenn du dir so sicher sein kannst«, fuhr Hermann fort, »dann wirst du auch wissen, wie es vor sich gegangen ist.«

      »Sie starben einen schrecklichen Tod. Deswegen zögere ich, dir davon zu berichten.«

      »Rede endlich!« befahl Hermann. »Mach den Mund auf, du Schwachkopf!«

      Sein Neffe gehorchte sofort: »Primitive Nomaden haben sie überfallen. In der Nacht. Sie wurden ausgeraubt. Dabei hat man sie verstümmelt und verbrannt.«

      »Feiges Pack«, stammelte Hermann von Kramm. »Was für ein unendlich feiges Pack.«

      Er hatte alles verloren. Ein schwerreicher Mann mit Macht und Einfluss, für den es nichts mehr gab, das ihm wirklich etwas bedeutete. Er zog sich aus der Münchner Gesellschaft zurück, man sah ihn kaum noch auf Konzerten oder im Theater. Nur zu Veranstaltungen der Partei ging er noch hin und wieder, um es sich mit den Regierenden nicht zu verderben. Gerhard Angermair beobachtete, wie sein Onkel innerhalb weniger Wochen um Jahre alterte. Es bereitete ihm Freude, dabei zuzusehen, denn ihm wurde von Tag zu Tag klarer: Der Alte würde es nicht mehr lange machen. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft würde er sich aus den Geschäften zurückziehen und ihn als neuen Direktor einsetzen. Denn Onkel Hermann ging die Familie über alles, und sein nächster Verwandter war nun sein ihm treu ergebener Neffe. Der inzwischen auch schon begonnen hatte, Verantwortung innerhalb der Firma zu übernehmen (um sich auf seinen Aufstieg schon einmal vorzubereiten). Trotzdem behielt Gerhard seinen Rang innerhalb der SS, die beiden Aufgaben ließen sich gut miteinander verknüpfen. Sehr gut sogar, denn Heinrich Himmler hatte seit jeher eine besondere Vorliebe für pathetisch angehauchte Porzellan-Figuren gehabt, und deswegen gestattete er seinem Zögling Angermair gerne, einen großen Teil der Porzellan-Produktion ins Konzentrationslager Dachau zu verlegen. Himmler mochte es, wenn Häftlinge die Symbole ihres Untergangs selbst anfertigten, das verschaffte ihm besondere Befriedigung. Gerhard hätte sogar die gesamte Produktion nach Dachau verlegt, aber das wollte Onkel Hermann nicht.

      »Wenn ich das mache«, sagte er, »kann ich bald nur noch diesen scheußlichen deutschnationalen Kitsch herstellen, und das wäre ein großer Fehler.« Das von Krammsche Porzellan war stilistisch breit aufgestellt, so gab es etwa Geschirrsets mit afrikanisch inspirierten Mustern und Vasen, die asiatischen Vorbildern nacheiferten.

      »Es wäre besser, wenn wir keine fremdartigen Artikel mehr produzieren würden«, gab Gerhard zu bedenken. »Irgendwann kommt der Tag, da wird man sie aus unserem Programm streichen, ob es uns gefällt oder nicht.«

      Sein Onkel sah ihn abschätzig an. »Neffe Gerhard«, sagte er. »Es gibt einen Markt für exotische Waren, und solange das so ist, biete ich sie an. Was glaubst du: Warum stelle ich diesen minderwertigen Nazi-Nippes her? Weil