Richard Mackenrodt

Azahrú


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sagte er. Das war gelogen. Er wollte mit ihr flirten, aber er wusste nicht wie. Er war nie gut darin gewesen, zarte Bande zu knüpfen, aber so schwer wie dieses Mal war es ihm noch nie gefallen. Es fühlte sich komisch an, nach Luise mit einer anderen Frau zusammen sein zu wollen. Als würde er sie betrügen. Als würde er sich selbst betrügen. Als wäre das alles kompletter Schwachsinn. Am liebsten hätte er Zara eine gute Nacht gewünscht, sich in sein Zelt zurückgezogen und sich unter seiner Decke verkrochen. Aber dann würde er niemals mehr einen Vorstoß riskieren. Sie würde bald zum Stamm zurück gehen und sich einen anderen Mann suchen. Wollte er das? Nein, das wollte er nicht. Wenn er andererseits jetzt um sie warb und heute Nacht mit ihr schlief, dann würde sie bleiben, und sie würden Mann und Frau werden. War es das, was er wollte? Diese verfluchte Unentschlossenheit!

      »Zara, ich mag dich sehr gerne«, sagte er.

      Sie nickte und wich seinem Blick verlegen aus, während sie an ihrem Tee nippte. Franz hörte den Widerhall seiner Worte und konnte nicht fassen, wie holprig sie sich angehört hatten. Zara sagte nichts, aber auch ihre wachsende Unruhe war nun spürbar. Sie erwartete mehr von ihm. Er musste noch irgendetwas sagen. Oder tun. Aber was? Fast hätte er den ganzen Versuch abgebrochen, da griff er auf einmal nach ihrer Hand.

      »Du bist so schön«, sagte er, »dass es mir fast die Sprache verschlägt. Aber wenn mir keine Worte mehr einfallen, kann ich dich immer noch küssen.« Er führte ihre Hand an seinen Mund und berührte sie zärtlich mit den Lippen. Sie nahm seine Hand und tat mit ihr das Gleiche. Er rückte näher an sie heran und strich ihr sanft übers Haar.

      »Darauf habe ich so lange gewartet«, flüsterte sie.

      Sie bewegten sich aufeinander zu, um sich zu küssen, und bemerkten nicht die Kamele, die auf dem Dünenkamm erschienen und deren Reiter sich vor dem Mondschein abzeichneten. Sie waren zu fünft, und sie trugen tagelmust. An ihren Gürteln hingen takubas. Die Männer glitten von den Kamelen, und während sie sich auf die beiden zubewegten, die gerade ein Paar wurden, zogen sie ihre Waffen. Franz realisierte nicht, dass ihn von hinten ein Schwert durchbohrte, auch nicht, als er die Klinge aus seiner Brust austreten sah. Er fiel vornüber in die Glut seines Feuers. Zara stieß einen Schrei aus, der erstarb, als ihre Kehle durchgeschnitten wurde. Sie sank zuckend in den Sand und tränkte ihn mit ihrem Blut, das im Mondlicht schwarz schillerte. Ich war nicht erst von Zaras Schrei wach geworden. Ich hatte die ganze Zeit am Zelteingang gekauert und meinen Vater beobachtet, wie er sein Glück bei Zara versuchte. Nun stand ich mit offenem Mund da und begriff nicht, was da draußen passierte. Die Männer gingen auf das Zelt zu, mit ihren gezogenen Klingen. Im letztmöglichen Moment erwachte ich aus meiner Starre und zog mich ins Innere zurück. Ich wusste, wo die einzige Stelle war, an der ich mich unter der Zeltplane ins Freie scharren konnte. Ein Mann sagte auf Französisch: »Er ist nicht hier!« Und dann auf Deutsch: »Wo steckt der kleine Mistkerl?«

      Durch ein kleines Loch in der Plane sah ich, wie der Mann seinen Gesichtsschleier lüftete. Ich kannte ihn nicht, und woher hätte ich wissen sollen, dass es mein Onkel war, den ich vor mir hatte?

      »Sucht den Jungen!« befahl Gerhard Angermair nun wieder auf Französisch. »Er muss hier irgendwo sein!«

      Während seine Männer nach mir zu suchen begannen, kam Gerhard aus dem Zelt zurück, mit dem dicken Buch, an dem Franz seit vier Jahren arbeitete. Er trug es aufgeschlagen vor sich her.

      »Mit diesem Buch«, las er, »möchte ich ein wenig dazu beitragen, dass wir, die Deutschen, die wir uns für so klug und besonders halten, das eine oder andere von den wunderbaren Menschen lernen, über die ich im Folgenden berichten möchte: von den Tuareg in der afrikanischen Sahara, die sie ténéré nennen.« Gerhard trat an die Feuerstelle, in der sein Schwager lag und mit matten Augen zu ihm aufblickte. »Franz, du warst schon immer ein Spinner«, sagte Gerhard und hielt das Buch über die Glut, bis es Feuer fing. Dann ließ er es fallen, so dass die ledernen Einbände Franz‘ Gesicht verdeckten. Ich drehte mich um und begann zu rennen, von einem Dünenkamm zum nächsten, hinein in die Nacht.

       TEIL III: AZAHRÚ

       Die Franzosen

      1

      Als die Dünen im ersten Tageslicht einen schwachen Schatten zu werfen begannen, saß ich mit weit offenen Augen im Sand und wusste nicht, wer ich war. Es war kalt, aber ich fror nicht. Etwas tobte in mir, aber es war nur der weit entfernte Lärm einer Schlacht, und er ging mich nichts an. So fanden mich die Männer. Einer von ihnen kniete neben mir nieder und sah mir in die Augen. Er betastete meine Hand, meinen Arm.

      »Er ist ganz kalt«, sagte er. Ein anderer legte mir eine Decke um die Schultern. »Wer ist das gewesen?« fragte der Mann. Ich antwortete nicht. Sie wechselten Blicke. »Erkennst du mich?« wollte er wissen. Ich schüttelte den Kopf.

      »Ich bin Koumamá«, sagte er. »Dein Vater.«

      Der Nachtwind hatte den Brandgeruch zu Koumamás Lager getragen. Er hatte sofort ein paar Männer aus dem Schlaf geholt und war mit ihnen hinüber geritten. Im Morgengrauen fanden sie die beiden niedergebrannten Zelte und die halb verkohlten Leichen von Zara und Franz. Einer der Männer war Zaras Bruder. Er sank weinend über ihr zusammen. Die anderen wandten sich ab, ihnen war übel. Koumamá war der einzige, der sich mit einem Stock durch die noch glimmenden Überreste der Zelte kämpfte.

      »Der Junge ist nicht da!« rief er. »Ich kann ihn nicht finden!«

      »Weil sie ihn geholt haben«, sagte Ibrahim mit tonloser Stimme.

      Koumamá nickte. Vermutlich waren die Mörder und Brandstifter hier gewesen wegen des Jungen. Er sah sich um. Es gab nur Spuren von Kamelen, nicht von Pferden. An einem Dornenstrauch hing etwas, ein mit Indigo gefärbtes Stück Stoff. Ein abgerissenes Teil eines Tuareg-Schleiers!

      »Das waren imushaq«, sagte einer. »Männer wie wir!«

      Koumamá erwog diesen Gedanken nur für einen kurzen Moment. Sollten tatsächlich Tuareg eines anderen Stammes das hier fertiggebracht haben? Einen derart hinterhältigen, feigen Überfall?

      »Niemals«, sagte er. »So tief sinken wir nicht.«

      »Besitz erzeugt Begehrlichkeit«, gab der andere zu bedenken.

      »Allen imushaq in weitem, weitem Umkreis«, sagte Koumamá, »ist eines wohlbekannt: Franz und sein Sohn stehen unter meinem persönlichen Schutz. Also war das hier ein Angriff auf mich und unseren ganzen Stamm. Kann jemand aus dieser Gegend so dumm, ja so wahnsinnig sein, sich dem Zorn auszuliefern, den er damit entfacht?« Koumamá kniete sich vor die Leiche von Franz und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

      »Wir finden deinen Sohn«, sagte er mit zitternder Stimme. »Und wenn ich dafür bis nach Tripolis reiten muss! Und wenn ich dafür ein Schiff besteigen und bis nach Europa fahren muss. Ich finde ihn, Franz, das schwöre ich dir.«

      »Hier sind Fußabdrücke«, rief Ibrahim zu ihnen hinüber. Er stand inzwischen an der rückwärtigen Seite der abgebrannten Zelte. »Sie sind so klein, sie müssen von Leo sein.«

      »Sie können von gestern stammen«, erwiderte Koumamá. »Oder von vorgestern.«

      »Sie sehen frisch aus«, meinte Ibrahim.

      Sie mussten eine Weile nach mir suchen, denn an manchen Stellen hatte der Wind meine Spuren verweht. Ich verstand, was Koumamá zu mir auf tamascheq sagte, und auch seine paar Worte in gebrochenem Deutsch.

      »Du bist mein Papa?« war der erste Satz, den ich an ihn richtete, in einer Mischung aus beiden Sprachen. Koumamá nickte stumm.

      »Und warum siehst du so traurig aus?«

      »Weil ich Angst um dich hatte«, antwortete er. »Du bist davon gelaufen, und wir haben dich gesucht.«

      »Warum bin ich davon gelaufen?«

      »Das weiß ich nicht. Vielleicht hast du etwas Schlechtes geträumt. Kannst du dich an irgendetwas erinnern?«