Holger Rudolph

Giftmord statt Goldschatz


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schien diese kaum von der unheilvollen Mitteilung berührt zu sein. Ihr Mann sei die ganze Nacht nicht zu Hause gewesen, hatte sie der Kommissarin gesagt. Leider sei so etwas des öfteren bei ihm vorgekommen. Er habe das stets mit Überstunden auf der jeweiligen Baustelle begründet, seufzte sie. Doch dieser Anflug von Trauer und Ärger schien aufgesetzt. Die Ermittlerin glaubte Susanne nicht, versuchte aber, sich ihre Zweifel nicht anmerken zu lassen. Jedenfalls hatte sie sich umsonst Sorgen gemacht, dass der Tod des Ehemannes ein schwerer Schlag für Susanne Bergner sein könnte, von Trauma keine Spur.

      Wenig später erreichte das Kommissariat die E-Mail mit dem Bild der angeblich so wertvollen Münzen. Lokalreporter Reimer hatte Klettner schon von Zweifeln Schlossdirektor Wolfs an der Echtheit der Geldstücke berichtet. Schließlich kam dann noch diese sympathische Serviererin, die ihrem Äußeren nach auch gut als Waldorf-Schülerin durchgegangen wäre. Sie hatte ihr von einem sehr dicken Mann erzählt, der gegen Mitternacht mit Bergner Kaffee getrunken habe. Sie sei bestimmt nicht besonders neugierig, hatte Mandy Schönknecht gleich zweimal betont. Doch es sei schon recht ungewöhnlich, dass ein Makler so kurz vor Mitternacht sich im Café mit einem Kaufinteressenten trifft. Dass der Dicke ein Makler sein muss, daran hatte die Zeugin überhaupt keine Zweifel. Er habe schon oft mit Kundschaft in ihrer Gaststätte gesessen. Doch sei das sonst niemals so spät und bestimmt nicht mit einer so lächerlichen Maskerade geschehen. Auch hätte der Dickwanst noch nie in der Tasse eines Kunden herumgerührt. Leider konnte die Serviererin keine genauen Angaben zu den Frauen und Männern machen, mit denen er sich bisher getroffen hatte.

      Anna Klettner versucht, aus den Puzzleteilen ein Bild zu legen. Im Zentrum der Pinnwand in ihrem Büro prangt das Bild des Toten. Ein Obduktionsergebnis hat sie zwar noch nicht, doch Bergners Hausarzt hat seinem Patienten einen ziemlich guten Gesundheitszustand attestiert. Nur der Blutdruck sei ab und an etwas hoch gewesen. Folgerichtig kommt ein natürlicher Tod kaum noch in Frage. Auch Depressionen habe es bei Bergner nie gegeben, hatte sein Allgemeinmediziner gesagt. An einen Selbstmord hatte Klettner ja ohnehin nicht glauben wollen. Einen Suizid traut sie dem Mann, der mitten im Leben stand, nicht zu. Weshalb hätte er ohne Grund ein Gift einnehmen sollen, um dann auf der Straße, nicht einmal einen Kilometer von seiner Wohnung entfernt, zu sterben. Das ergibt alles keinen Sinn. Außerdem ist da noch diese mysteriöse E-Mail, in der ein Anonymus behauptet, dass die Münzen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Tod des Rheinsbergers stünden. So sehr sich die Kriminalistin auch bemüht, will aus den vielen Schnipseln noch kein plausibles Ganzes entstehen.

      Mordsache

      Pathologe Hannes Wüstenstedt hat die Untersuchung der Leiche des Rheinsbergers Bernd Bergner zwar noch nicht abgeschlossen. Doch er konnte Anna Klettner vorhin schon sagen, dass der Mann auf keinen Fall eines natürlichen Todes gestorben ist. Es sei bereits sicher, dass Bergners Herz bis zum Schluss vollkommen intakt war. In den letzten fünf bis sechs Stunden vor dem Tod, der erst kurz vor dem Auffinden eingetreten sei, habe Bergner starke Muskelkrämpfe gehabt. Dafür verantwortlich ist der Saft des Gefleckten Schierlings, der ihm gegen Mitternacht verabreicht worden sein müsse.

      Schon an den Gerichten im Griechenland der Antike war der Schierlingsbecher eine todbringende Strafe, erzählt der Gerichtsmediziner, doch die Kriminalistin will ihn bremsen: „Das weiß ich doch.“ Der Pathologe ist aber nicht aufzuhalten. Weil das Doldengewächs der Petersilie zum Verwechseln ähnlich sehe, komme es auch in der Gegenwart immer wieder zu Vergiftungsfällen, setzt er fort. Für den nach Mäusen stinkenden Todestrunk spricht nach Wüstenstedts Ansicht auch, dass Bergner bis kurz vor seinem Ableben zumindest die Beine noch bewegen konnte. Die Lähmung trete langsam nach und nach ein. Sprechen habe Bergner allerdings schon seit Stunden nicht mehr können. Vielleicht wollte er sich noch zu seinem Hausarzt schleppen, glaubt die Ermittlerin. Dafür spricht, dass sich dessen Praxis nur 150 Meter vom Fundort der Leiche entfernt befindet. Auch sein ganz in der Nähe in den Straßengraben gesetztes Auto unterstützt diese These.

      Anna Klettner will keine Zeit verlieren. Am frühen Abend sitzt sie in der Redaktion des Märkischen Anzeigers, um mit Heiko Reimer zu besprechen, was morgen zum Fall in der Zeitung stehen soll. Leser, die einen kleinen, deutlich untersetzten Makler mittleren Alters kennen oder sich mit diesem im Café „Pusteblume“ oder an anderer Stelle getroffen haben, sollen sich bei der Polizei melden. Beim Immobilienhändler handele es sich womöglich um einen wichtigen Zeugen. Dass es keiner der drei ortsansässigen Makler ist, hatte Klettner bereits zuvor geklärt. Allerdings konnten oder wollten diese Rheinsberger Händler ihr nicht bei der Suche nach dem Berufskollegen helfen. Nein, so einen Mann würden sie nicht kennen.

      Auch das Bild der angeblich historischen Münze wird in der Zeitung von morgen zu sehen sein, darunter der Text: „Wer kann Angaben zu dieser Münze machen? Sämtliche Hinweise werden auf Wunsch auch vertraulich entgegengenommen.“ Weiterhin sollen sich Menschen melden, die in den vergangenen Wochen oder Monaten Veränderungen im Verhalten von Bernd Bergner bemerkt haben. Die Ermittlerin hofft, dass es schon am Vormittag etliche Hinweise geben wird. Andernfalls könnte sich ihre Arbeit sehr schwierig gestalten.

      Doppelleben

      Janina Gutenberg hat die Nachricht von Bergners Tod heute früh kaum noch überrascht. Der umtriebige Bautischler lebte schon seit Jahren gefährlich. Nicht, dass er sich auf der Arbeitsstelle, als Stadtverordneter oder durch die Tätigkeit in mehreren Vereinen Feinde gemacht hätte. Der mögliche Schlüssel zu seinem Tod befand sich an ganz anderer Stelle. Noch ist sich die 34-Jährige unsicher, ob sie zur Aufklärung der Tat beitragen möchte. Sie müsste in diesem Fall wahrscheinlich aus Rheinsberg verschwinden. Noch besser wäre es, wenn sie – ausgestattet mit einer neuen Identität – woanders ganz neu anfangen könnte. Doch zuvor hätte sie einen Verrat zu begehen.

      Wenn die hübsche Janina werktags an ihrem Schreibtisch in einem Callcenter in einer Nachbar-Kleinstadt sitzt, bekommt sie es immer wieder mit anzüglichen Anspielungen von Kollegen auf ihre tolle Figur zu tun. Diese schwanzgesteuerten Idioten halten sie anscheinend für Freiwild. Doch sie weiß unerwünschte Annäherungsversuche sehr gut abzuwehren. Sie genießt ihr Single-Leben ebenso wie ihre Nebentätigkeit, von der offiziell niemand weiß.

      Janina könnte die Ermittlungsarbeit der Polizei in eine bestimmte Richtung lenken, die mit ihrer zweiten Arbeitsstelle zu tun hat. Allerdings würde das unter anderem für vier weitere junge Rheinsbergerinnen erheblichen Ärger bedeuten.

      Die Frau spaziert durch den westlich vom Schlosspark gelegenen Boberow-Forst. Hier draußen findet sie die nötige Ruhe, um über jene Dinge nachzudenken, für die es eine Lösung zu finden gilt. Sie muss sich darüber klar werden, was sie tun wird.

      Auf der gegenüberliegenden Seite des Grienericksees ruht das Wasserschloss in stolzer Schönheit. Die Tage sind schon wieder deutlich länger als zur Wintersonnenwende kurz vor Weihnachten. Die untergehende Sonne tut ihr Bestes dazu, dass Park und Schloss geradezu märchenhaft wirken. An einem derart herrlichen Ort kann, nein darf es so viel Bosheit doch eigentlich gar nicht geben. Und doch ist ein Mord geschehen. Janina glaubt zu wissen, wer Bernd Bergner auf dem Gewissen hat.

      Ein wiederkehrendes Grummeln in der Magengegend könnte ein Zeichen dafür sein, dass es Zeit für das Abendbrot wäre. Viel eher aber rührt das Rumoren daher, dass sie sich in der kommenden Stunde zu entscheiden hat, ob sie auch heute Abend wieder, wie schon seit drei Jahren, ihrer Nebentätigkeit nachgehen wird. Vielleicht ist es besser, vorerst alles beim alten zu belassen. Anders entscheiden kann sie sich auch später noch, falls die Polizei den Täter nicht ermitteln sollte.

      Für Janina steht fest, dass ein ihr sehr gut bekannter Mann den Ehemann ihrer Freundin umgebracht hat. In Frage käme noch ein anderer Rheinsberger. Doch wie es aussieht, hat er den gemeinsam mit seiner Komplizin geschmiedeten üblen Plan nicht zu Ende gebracht. In einer schwachen Stunde hatte Susanne Bergner ihre Freundin Janina eingeweiht, vielleicht weil sie zu viel getrunken hatte, vielleicht auch, um ihr Gewissen zu entlasten. Janina wundert sich ohnehin, wie Susanne Lebenswandel und Glauben miteinander vereinbart. Sie weiß, dass ihre Freundin für ihr eigenes Glück über Leichen gehen würde. Diese Frau ist unberechenbar und gefährlich. Nein, sie wird ihr Wissen vorerst nicht preisgeben.