Holger Rudolph

Giftmord statt Goldschatz


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Grotte seinerzeit sehr gut geeignet.

      Noch liegen Schneereste auf den Wegen des weitläufigen Parkes. Etwa 150 Meter entfernt von Wolf fährt ein Radler auf einem der Wege. Eigentlich ist so etwas in der Anlage untersagt, ebenso das Schieben von Fahrrädern. Hier ist so vieles verboten. Die Preußenstiftung, deren Angestellter er ist, nimmt es sehr genau mit dem Denkmalschutz. Schon oft haben sich die Stadtverordneten mit der Vielzahl von Untersagungen im Park beschäftigt, denn die meisten Einwohner haben kein Verständnis dafür. Doch die Ratsherren können nichts machen. Die Stiftung, die in Schloss und Park seit Anfang der Neunziger zig Millionen Euro investierte, hat als Hausherr das Sagen. Wenn Wolf versucht, sich ein Bild davon zu machen, wie Schloss Rheinsberg wohl aussähe, wenn die Kommune es damals behalten hätte, wird ihm schnell klar, dass der beschrittene Weg der weit bessere ist. Die notorisch klamme Stadt hätte bestimmt nicht das nötige Geld und den Sachverstand gehabt, aus dem über Jahrzehnte als Klinik genutzten Gebäude das Juwel entstehen zu lassen, das es heute ist. Das wissen auch die Abgeordneten. Trotzdem werden sie sich immer wieder mit den Anfragen genervter Einwohner wegen der Verbote beschäftigen müssen. Nicht einmal der bei Touristen und Einheimischen beliebte Leierkastenmann darf im Schlosspark an seinem Instrument drehen, denn das Musizieren ist ebenfalls untersagt.

      Wolf will heute ein Auge zudrücken. Er übersieht den Radfahrer geflissentlich und geht nun ein ganz klein wenig schneller. Am Wochenende sollen auf der dem Schloss gegenüberliegenden Seite des Grienericksees 15 Alphornbläser ihren großen Auftritt haben. Bereits zum fünften Mal treffen sich Freunde dieses außergewöhnlichen Instruments in der Stadt der Musen. Den Männern, die trotz der kühlen Witterung zünftig mit Lederhosen und Trachtenjacken bekleidet aufspielen wollen, hat die Stiftung eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Es ist für Wolf, der als Geschichts- und Literaturwissenschaftler auch für das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum im Schloss zuständig ist, wunderbar, diesen schönen Frühlingsvormittag genießen zu können. Ausnahmsweise gibt es heute nur wenige Termine. Der Schlossgarten ist einfach herrlich. Wenn da nur die Wildschweine nicht wären, die immer wieder dort wühlen, wo das Betreten streng verboten ist. Den Tieren ist jegliche von Menschen gemachte Ordnung fremd. Bevor die Tourismus-Hauptsaison im Mai beginnt, wird der Park wohl wieder einmal für einen kompletten Tag gesperrt werden müssen. Ein lokaler Jagdverein hat schon in den Vorjahren gute Arbeit geleistet und etliche allzu wild wühlende Schweine erlegt. Danach gibt es mit Sicherheit wieder Proteste einer der bekannten Tierschutzorganisationen, doch damit kann Wolf leben. Er ist kein Tierhasser, muss aber abwägen. Weit schlimmer wäre es für ihn und die Stadt, wenn die mit großem Aufwand gepflegte Anlage durch das Schwarzwild nachhaltig geschädigt würde.

      Als Wolf gerade die Grotte erreicht hat, meldet sich sein Handy. Reporter Heiko Reimer vom Lokalblatt fragt ihn, ob er ein paar Minuten Zeit habe. Dann erfährt Wolf, dass sein Faschingsvereinskollege Bernd Bergner am Morgen tot aufgefunden wurde. Die Leiche des Ärmsten hatte auf einem Weg in der Lindensiedlung gelegen. Nur ein paar Stunden danach habe seine Zeitung eine nicht zurückverfolgbare anonyme Mail bekommen, erzählt der Reporter. Deren Text ist kurz. Reimer liest ihn vor: „100 solche Münzen hat Bernd Bergner vor gut einem Monat gefunden. Dieser Fund steht in direktem Zusammenhang mit seinem Tod.“ Angehängt ist ein Bild, welches eines der anscheinend goldenen Geldstücke in Großaufnahme zeigt.

      Als Reimer dem Schlosschef das Aussehen des mit den Buchstaben M. G. F. versehenen Kopfes schildert, ist Wolf nach kurzem Überlegen klar, dass es sich nur um Michael Gabriel Fredersdorf, den Kammerdiener und späteren Geheimen Kämmerer Friedrich des Zweiten handeln kann. Sollten die Prägungen echt sein, woran Wolf vorerst nicht glauben möchte, wären sie ein Vermögen wert. Doch es will dem Fachmann kein vernünftiger Grund in den Sinn kommen, weshalb Friedrich diese Münzen hätte prägen lassen sollen.

      Ein paar Stunden später sieht sich der Experte die abgebildete Münze auf dem Schirm seines Rechners an. Wie so oft, wenn er nervös ist, zupft Wolf an einer seiner mittlerweile ergrauten Lockensträhnen, als er Reimer am Telefon mitteilt: „Nein, diese Münzen sind keinesfalls echt. Das Fredersdorf-Porträt geht ja noch, aber das Schloss auf der Rückseite ist eine Beleidigung für jeden auch nur halbwegs gebildeten Menschen.“ Ähnlich grässliche Machwerke habe er im Herbst beim Töpfermarkt gesehen. Einer der vielen Kunsthandwerker bot neben seinem aus Tassen, Kannen und Töpfen bestehenden Kerngeschäft auch Münzen an, was er nach Wolfs Ansicht tunlichst hätte bleiben lassen sollen. Der Schlosschef konnte sich allerdings nicht mehr daran erinnern, an welchem der 90 Stände auf dem Markt es die Prägungen mit den verhunzten Darstellungen zu kaufen gab.

      Gesehen

      Seit gut einem halben Jahr verdient Mandy Schönknecht ihren Lebensunterhalt als Bedienung im kleinen Rheinsberger Café „Pusteblume“. Es ist nicht ihr Traumjob. Doch für eine gewisse Zeit lässt es sich auf diese Weise ganz gut leben. Sie lernt viele Leute kennen. Später will die junge Frau wieder in ihrem Beruf als Grafikerin arbeiten. Nachdem sie ihre Stelle bei einer Berliner Werbeagentur verloren hatte, suchte sie anderthalb Jahre vergebens nach einem neuen Job. Es kriselt in der Branche.

      Rheinsberg kannte sie noch aus ihrer Kindheit. Mit ihren Eltern hatte sie mehrfach die Ferien in einer seenahen Pension verbracht. Das war schön und viel ruhiger als das Leben in der Großstadt. Auch heute gefällt ihr die Stadt. Nicht wegen der Prinzen, schon eher wegen Kurt Tucholskys Bilderbuch für Verliebte, das im Städtchen handelt. Sie kann gut nachvollziehen, dass es dem jungen Paar aus der Großstadt bereits vor hundert Jahren in Rheinsberg gefiel. Sie liebt die Seen und Wälder und die Tatsache, dass der Ort auf eine sehr angenehme Weise entschleunigt wirkt. Dass das 21. Jahrhundert auch hier stattfindet, daran erinnern sie allenfalls die Jugendlichen, wenn sie in der Nähe der Schule nach dem Unterricht auf den Bus warten. Statt miteinander zu sprechen, tippen sie auf ihren Smartphones herum, grinsen Löcher in die Luft oder schauen beleidigt drein. Irgendeiner von den hunderten bis tausenden Freunden im einen oder anderen Sozialen Netzwerk hat wahrscheinlich gerade etwas überaus Nichtiges mitgeteilt, das die jungen User aber für absolut überlebenswichtig halten. Zum Beispiel, dass die Gina aus der Soap Sowieso heute wieder mal voll scheiße aussieht oder, dass man sich für die Proll-Tusse Tanja aus der Klasse x mit ihren hyper-outen Klamotten nur schämen kann.

      Viel lieber als die zweifelhaften Vorzüge moderner Technik ist Mandy die Ruhe, die von den Droschken und Wagen vor dem Schlosspark ausgeht. Die Kutscher warten mit ihren Pferden darauf, dass Touristen bei ihnen eine Stadtrundfahrt kaufen. Kaufen, da ist sie dann doch wieder, die gewinnorientierte Gegenwart. Trotzdem kommt es ihr manchmal vor, als ob die Männer in ihren historischen Kostümen mit den geputzten Kutschen eigentlich im 19. Jahrhundert leben und es sie nur durch eine Krümmung im Raum-Zeit-Continuum in das Rheinsberg der Gegenwart verschlagen haben kann.

      Bislang hat Mandy die Arbeit im Café vor allem Angenehmes gebracht. Die meisten Leute sind freundlich, weil sie hier Urlaub machen. Der Stress der Werbeagentur liegt längst weit hinter ihr. Künftig, in vielleicht einem Jahr oder später, darf es wieder anstrengender werden. Doch zurzeit genießt sie die märkische Gelassenheit. Nur heute ist sie alles andere als ruhig, denn sie hat gestern Abend etwas beobachtet, das ihr keine Ruhe lässt. An einem der kleinen runden Tische im Café saßen kurz vor der Geisterstunde zwei Männer mittleren Alters. Es war nicht Bernd Bergner, über den sie sich wunderte. Der sah wie immer aus, wenn er wieder einmal wegen einer seiner vielen Funktionen im Märkischen Anzeiger abgebildet war. Der Andere, ein fetter Typ mit Glatze, verhielt sich sonderbar. Dass der Mann eigentlich eine Platte hat, weiß sie nur, weil er schon etliche Male zuvor im Café gesessen hatte, stets in unterschiedlicher Begleitung, männlich wie weiblich. An diesem Abend aber hatte er sich eine Weißhaar-Perücke aufgesetzt und einen Schnurrbart angeklebt. Der ganze Mann wirkte dadurch höchst verunstaltet. Sonderbar war auch, dass er in der Kaffeetasse seines Gegenübers herumrührte, als dieser mal kurz auf dem Klo war.

      Als sie heute Mittag durch einen Gast davon hörte, dass Bergner nicht mehr lebt, stand für sie fest, dass sie ihre Beobachtungen der Polizei mitteilen wird.

      Indizien

      Anna Klettner war schon heute früh nicht davon ausgegangen, dass Bernd Bergner auf natürliche Weise ums Leben