Iris Maria vom Hof

Couscous Crème fraîche


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Eiffelturm. Und erst nachts, das Lichtermeer der Metropole. Wow, das ist mal ein Anblick auf eine der schönsten Städte der Welt. Der Stadt der Liebe mit den Taxis, in denen sich Liebespaare küssen. „Sous le ciel de Paris, mmm-hmm-hm.“ / Ihre feste Arbeit als Betreuerin des todkranken, behinderten Jungen Francois hat Katy vor drei Jahren durch einen blöden Unfall verloren. Glatteis, hingeknallt, Armbruch und zu vierzehn Prozent invalide eingestuft. Alles klar. Da war sie erst mal voll im Arsch. Hundert Prozent verladen. Ihr kaputter Arm hat Katys Leben ins Aus geschmissen. Logo, dass sie sich in ihrem Alter keine großen Hoffnungen auf noch mal Arbeit machen kann. Niente. Finito. Der Psychologe, den sie für das bisschen Invalidenrente aufsuchen musste, kam ihr mit dem bescheuerten Vorschlag: „Madame Ben Ali, Sie müssen sich positiv in ihre Zukunft projizieren.“ Ja toll. Und Katy antwortete frech: „Ich projiziere mich höchstens an die Wand, Herr Doktor.“ Ist doch wahr. „Was habe ich zu hoffen“ knurrte Katy unwirsch, „ich kann im besten Fall eine Anzeige aufgeben - Behinderte sucht Behinderten - sonst gibt mir doch kein Mensch mehr Arbeit.“ Die Fresse dieses Typen gefiel Katy von Anfang an nicht, aufgeblasenes Arschloch! Projizieren Sie sich, oh, ja! Katy hatte nicht übel Lust voll abzublocken. Bei solchen Typen kriegt sie die Krätze. Aber ihre Invalidenrente für so einen riskieren, das tat sie dann doch nicht. Besser so. /// Den Kopf zwischen den Schultern vergraben, die Hände tief in die Manteltaschen versenkt, verlässt Katy die Metrostation durch einen schmalen Seitenausgang. Sie steigt ein paar Treppen hoch zur Straße und eilt auf dem üblichen Weg zur nahen Busstation. Eilig biegt sie in Richtung Wartehäuschen ab. Ein Segen, bald ist die Mikrowelle für das Abendessen dran. Der eisige Wind bläst ihr einen weggeworfenen Pappbecher vor die Nase. Eine widerliche Sauce aus Regenwasser und Kaffeerest platscht auf ihrem frisch gereinigten Mantel, igitt. So ein Scheiß. Und während Katy versucht, den ätzenden Kaffeefleck mit einem Tempo abzuwischen, da bemerkt sie den jungen Kerl im Schatten des Straßenlichts. Nicht schwer zu erraten, was der vorhat. Ihre selbst gehäkelte Umhängetasche sieht nicht nach großen Reichtümern aus, aber ein paar Cent hat man immer dabei. Du willst Katy auf den Geist gehen, Freundchen? Dann komm mal ran an die Mutter. Katy verlangsamt ihre Schritte und dreht sich behutsam um. Ein weiterer Augenblick genügt, um den Typen einzuschätzen. Nasser Parka, blasses Gesicht, blasses Triefhaar, blasse Jeans. Blutlos. Ganz unsicherer Freier. Ihr musternder Blick verleiht ihrem Gesicht etwas Undurchsichtiges. Wie zu erwarten war: Der dahergelaufene Strauchdieb baut sich breitbeinig vor Katy auf und grinst dämlich. Und du glaubst, ich fürchte mich vor dir, schmunzelt Katy. Voll daneben gegriffen. Wehrlose ältere Frau, Mix Couscous Crème fraîche. Behinderte, wehrlose farbige ältere Frau, die leicht hinkt. Du kleiner Drecksack, dann lass dich mal überraschen. Katy hat ihren Plan. Sie macht sich in aller Ruhe bereit. Den Blick gesenkt, die Umhängetasche fest unter den Arm geklemmt, erwartet sie den Angriff mit der Gelassenheit eines Profis, der weiß, wo seine Trümpfe stecken. Na dann. Der picklige Junge reißt an Katys Ärmel und versucht an ihre Umhängetasche zu kommen. „Her mit der Tasche, Alte, sonst knallt es!“ Was für ein verpeiltes Würmchen. Katy schaut den Burschen mit weit aufgerissenen Augen an und lässt die Augenbrauen hochschnellen. Sogar seine Stimme klingt feucht, der verschluckt sich noch an seiner Spucke. Konzentriere dich, ermahnt sich Katy, konzentriere dich. Total pseudo, dieser Überfall. Schluss damit. Katy greift dem Kleinen mit beiden Händen beherzt unter den Parka, fasst nach seinem Hosenbund, zieht seinen Gürtel mit einem kräftigen Ruck hoch und zurrt dem Knaben die Eier mit dem Hosenschritt fest. Früher, mit den Bundfaltenhosen der 1980er, war das Eier kujonieren wesentlich leichter. Aber diese tief am Unterbauch sitzenden Jeans heutzutage lassen sich schlecht packen! Uff, geschafft, der Kleine ist erledigt und Katys Selbstschutzaktion erfolgreich abgeschlossen. Der kleine Pisser strauchelt, knallt auf das Pflaster und jault wie eine angefahrene Ratte. Er ist gut getroffen, das sieht man. Aber am meisten setzt ihm die Scham zu das sieht man auch. Von einer Oma mit grauen Löckchen flach gelegt, das ist das Gemeinste, was ihm passieren kann. Kleiner Wichser. Katy glotzt boshaft lachend zu ihm hinunter: „Nichts aus der Alten raus geholt, was? Pech gehabt. Schade, dass es keiner von deinen Kumpels gesehen hat.“ Katy mimt die erbarmungslose Bestie. Der Kleine dreht sich seitwärts und versucht stöhnend auf die Beine zu kommen. „Also mein Junge, das war es dann, Brasil, la-lalalalalala-la.“ Im Takt der Melodie schubst Katy das hilflose Bündel ein paar Mal leicht an und summt dann halb abgewandt „La-lalalalalala-la, Rache ist Blutwurst.“ Kackarschmongole, denkt Katy noch, du hast es nicht anders gewollt! Ich gebe dir einen guten Rat. Pass in Zukunft immer gut auf, wen du vor dir hast. Dann entscheide, was du machst oder was du besser nicht machst. /// Es herrscht der übliche Stau im Berufsverkehr. Katy döst in einer der hinteren Busreihen und schiebt sich ein Kaugummi in den Mund. Dieser kleine Scheißkerl, dass ich nicht lache! Mich überfallen, mich, die ganz andere Angriffe überstanden hat. Der gleiche Hosenscheißer wie Laurent, unser Jüngster. Und obwohl Katy heute mit ihrer verfluchten Familie so was von überhaupt nichts mehr am Hut hat - den Kleinsten hat sie immer beschützt. Irgendwie ist das meine Bestimmung gewesen, sinniert Katy. Kaum war ich groß genug, bemutterte ich ihn, habe gewaschen was ich konnte. Von den Drecksklamotten bis zu seinem Po. Habe den ganzen Tag aufgeräumt und doch hat alles nichts genützt. Leck’ mich, unsere Wohnung war eine chaotische Steppe. Oh ja, ein Irrsinn das, ein Irrsinn. Nicht ein Foto an der Wand. Kein Album, keine Souvenirs oder Postkarten. Als Kind hab’ ich nur auf die Mütze gekriegt, kann man nicht anders sagen. Ich war nicht so stumpf wie meine drei Brüder. Als Mädchen braucht man Zärtlichkeit, mehr Liebe, aber das alles bekam ich nie. Das tut immer noch weh. La Cucaracha! Läuse und Kakerlaken empfingen dich, wenn du bei uns zuhause abends in die Kiste gestiegen bist, bäh! Und tagsüber Läuse knipsen, auch eine schöne Tätigkeit. Alles Tierchen der Armut, blöde Monster das! In der Küche war es am schlimmsten. Da krochen orange farbige Nacktschnecken durch die Gegend und wenn man drüber lief machten sie ein ekliges Geräusch. Glitsch. Horror, ein Horror das! Der Saustall in dem wir hausten, lag im Erdgeschoss und war total feucht. Bei uns stank es immer nach Schimmel und Essen gleichzeitig. Und nach White Star, nach Ricard, nach Mutters Menthol-Rauch und Vaters Gauloises. Unter der Spüle kamen die Schnecken heraus. Mein kleiner Bruder und ich, wir krabbelten unter den Küchentisch und beobachteten, wie sie heraus krochen. Das war die Wohnung in Le Havre, Rue Turenne. Immerhin, wir hatten als erste einen Fernseher und einen Kühlschrank mit Tiefkühlfach. Keine Waschmaschine, aber eine Spülmaschine, die aber von Anfang an nicht funktioniert hat. Wir waren so durchgeknallt als Familie, das kann sich keiner vorstellen. Und ich vergesse nie, wie Laurent, der wie erwähnt nicht zu den Mutigsten zählte, einmal auf den Schlafzimmervorhang gekraxelt ist und sich auf mich herunter fallen ließ. Er war drei und ich gut vier, so um den Dreh. Plumps, ich landete rücklings im Pinkel-Pott und klebte drin fest. Wie eine Schildkröte auf dem Rücken, alle Vier von sich gestreckt. Nichts zu machen, ich saß fest und Laurent kriegte mich nicht wieder heraus. Mein Bruder war gezwungen, Nina, die Nachbarin von gegenüber um Hilfe zu bitten und die kam auch sofort und holte mich raus. Nina hat überhaupt so manchen Blödsinn gedeckt, den wir verzapft haben. Meine verkackte Familie, die gleiche asoziale Bande wie an der Metrostation. Katy fallen kurz die Augen zu. Oh ja, finito, sie ist raus aus der Nummer.

      Ein Tier auf ihr

      Le Havre, Mai 1968 /// Katy merkt wie der Vater die Wohnungstüre abschließt, abends wird alles verriegelt, damit keiner abhaut. Katy ist noch ein kleines Mädchen, ihr Oberkörper flach wie der ihrer Brüder. Mit neuneinhalb hat sie noch keine Titten, nur mickrige Brustwarzen. Ihre Möse ist ohne Haare, sie hat die schmalen Schenkel eines Kindes. Katy verkriecht sich unter ihrer dünnen Decke und versucht einzuschlafen. Keine Chance, aus dem Küchenradio dröhnt Johnny Hallyday mit seinem Megahit „Jeune Homme.“ Da kommt ihr das Bild hoch, wie sie das erste Mal mit einem Bruder zwischen den Beinen aufwachte. Angst und Schuldgefühl machen sich breit, sie wird später wieder Besuch bekommen. Ihr ältester Bruder Gérard schleicht sich zuerst ran, dann wirft sich der ein Jahr jüngere Denis auf sie. Die Jungen würden am liebsten Tag und Nacht herum vögeln. Hormonstau. Und weil sie die kleine Katy haben, schieben sie täglich eine Nummer mit ihr. Heimlich, im Dunkeln wenn der Vater seinen Rausch ausschläft und nichts mehr mitkriegt. Bepisster Quatsch. Katy kapiert so was nicht. Dreckskerle. Seit ihre Brüder einen hoch kriegen sind sie nur noch bescheuert! Katy hat null Ahnung, warum die beiden auf ihr Piss-Ding so stolz sind. Bloß weil es wächst und sie abspritzen? Bei jeder Gelegenheit werden die Pimmellängen verglichen. Katy schüttelt sich vor Ekel. Gérard war es,