Iris Maria vom Hof

Couscous Crème fraîche


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sich unheimlich an, sie möchte behilflich sein. So ist sie von klein an. Katy tut alles, für jeden, bis zum Umfallen. Die kleine Katy ist eine Seele von Mensch und kriegt trotzdem immer eins auf die Mütze. „Also, Monsieur, wenn Sie...“ fängt Katy an, „also wenn Sie von hier aus...“ „Weißt du was?“, schlägt der Monsieur vor, „du steigst hinten auf und sagst mir, wie ich fahren soll. Einverstanden?“ „Ist gut Monsieur.“ „Sobald ich weiß, wo es ist, bring ich dich zurück. Oder kannst du Moped fahren nicht ausstehen, weil du ein Mädchen bist? Das wäre schade.“ „Nein, nein, Monsieur, ich steh’ total auf Mopeds!“ „Also, dann steige auf. Halte dich gut fest, nicht, dass du mir runter fällst.“ / Ein eiskalter Wind bläst Katy ins Gesicht als sie loszischen. Mit einer Hand presst Katy die leere Ölkanne an sich, mit der anderen Hand hält sie ihr hoch flatterndes Kleidchen fest. Katy schreit gegen den Wind: „Hier rechts Monsieur. Hier links Monsieur. Verstehen Sie mich überhaupt?“ Katy wird klar, dass der Monsieur ganz andere Absichten hat. Verfluchte Kiste! Die Schule ist bereits hinter ihnen und der Monsieur gibt ordentlich Stoff. Er rast in einem Tempo, bei dem Katy nicht abspringen kann. Oh weh, was wird passieren schießt es Katy durch den Kopf. Ich werde viel zu spät nach Hause kommen. Wie komm’ ich bloß aus der Scheiße raus? / Sie sind am Arsch der Welt als der Monsieur endlich anhält. Kein Mensch weit und breit. Kein Schimmer, wo sie sind. Felder, Gebüsch, Weidezäune, die Lichter der Stadt hinter ihnen. Der Monsieur lässt Katy keinen Moment aus den Augen. Weil er das Moped so liebevoll abstellt, schöpft Katy Hoffnung, dass es vielleicht nicht so schlimm wird. Einer, der sich eine Lederjacke leistet, ein gemeiner Verbrecher? Da wird sie von zwei brutalen Händen gepackt und zu Boden gestoßen, wumm. Die Erde ist nass, fühlt sich kalt an. Der Typ wirft sich auf Katy, das Vieh. Sie spürt seinen harten Körper. Wie der Tod. Der macht ihr das Licht aus. Katy möchte schreien - nicht ein Ton kommt heraus. Beißen und kratzen - ihre Glieder rühren sich nicht. Als der Typ sein Knie zwischen ihre Schenkel presst, pisst sie sich vor Schreck in die Hose. Das bringt ihn für eine Sekunde durcheinander. Katy springt auf, rast los, da knallt ihr das Moped voll ins Kreuz. Au! Das tut weh, das tut echt weh. Das ist das Aus, das Aus. Der Mann begräbt sie mit seinem Körper. Katy weiß, wie es weiter geht, Brasil, la-la-lalalalala-la. Dieser Typ ist so schwer, wie ihre beiden Brüder zusammen. Tap, tap, tap. Während er ihre Unterhose herunter reißt, greift Katy im Halbdunklen um sich herum und kriegt einen Stein zu fassen. Ein ziemlich dickes Ding von einem Stein. Krach, ein satter Schlag auf seine Birne. Pah, pah, dir gebe ich es. Katy schlägt zu bis Blut über seine Augen fließt. „Du mieses Ding, kleine Nutte, Drecksstück!“ Und während der Typ versucht, sich das Blut aus den Augen zu reiben, kommt Katy frei und spurtet in einem Affenzahn los. Richtung Straße. Beim ersten sich nähernden Auto macht sie wild Zeichen: „Hilfe! Hilfe!“ Der Wagen verlangsamt seine Fahrt. Der Fahrer kurbelt sein Seitenfenster herunter. Das ist es dann aber auch. „Bitte, bitte nehmen Sie mich mit. Hier ist einer, der mir gewaltig Scherereien macht!“ Das interessiert den Autofahrer kein Stück. Die Kleine ist von oben bis unten dreckig. / Der Autostopp-Versuch wiederholt sich noch zweimal, dann gibt Katy auf. Sie muss zu Fuß zurück. Durch die Vorstadt mit den Wohntürmen, im Zickzack, immer hin und her. Und mit der Panik im Nacken der beschissene Monsieur kommt gleich um die Ecke und schnappt sie sich. Mist, die Ölkanne und der Schal der Mutter sind weg. Und als sie nach dem Geld sucht und nichts mehr findet, Scheiße, auch weg. Eine Tracht Prügel setzt es, kein Vertun. Ob alles weg ist oder nur ein Teil. Was willst du machen. /// Katy rafft mit ihren fast 12 Jahren ziemlich genau, dass ein Leben wie das ihre null Wert hat. Und selbst wenn sie wegen der Vergewaltigungen zu einer Sozialstation oder zur Polizei ginge - bringt das nichts. Überhaupt nichts. Und, man muss sich erst mal trauen, diese bösen Sachen zu erzählen. Und die komplette Familie verraten, niemals. Seine Bande haut man nicht in die Pfanne. Wie dürr sie in jenen Jahren ist, dürr und federleicht. Bei einer schulischen Reihenuntersuchung wird sie gefragt, ob sie genug zu essen bekommt. Katy, die selbst kocht, pah! Bei der Gelegenheit fallen ihre blauen Flecken an Rücken und Beinen auf und die lila schwarze Beule am Kopf. Katy tischt den Sozialtussen eine schöne Wahrheit auf: „Da läuft was ab, wenn man als einziges Mädchen mit nur Brüdern aufwächst! Da ist was los! Da geht die Post ab!“ Das kapieren sie, das geht in ihre Schädel, noch Fragen? Dass dahinter eine zweite Wahrheit steckt, das kommt irgendwie nicht hoch. Manchmal wäre Katy gerne tot. Aus die Maus.

      Fuck, es ist nicht einfach

      Saint-Jean-Pied-de-Port, Juni 1984 /// Der Vater Ben Ali stirbt nahe der spanischen Grenze. Saint-Jean ist ein weithin bekanntes Städtchen, sehr beliebt bei den Touristen. Zwei Flüsse mit romantischen Brücken, mittelalterliche Häuser mit Holzbalkonen über dem Wasser. Stadtmauer, Zitadelle, Kirche Notre Dame. Die Altstadt traditionell aus rosa und grauem Sandstein erbaut, schön. / „Diese verfickte Scheiße“, meutert Katy biestig, als sie in Saint-Jean eintrifft. Ihre Mutter und die zwei älteren Brüder sind bereits da. Ihr kleiner Bruder wollte nicht zur Beerdigung kommen. Hat sich der bekloppte Kabyle noch was geleistet zum guten Schluss. Ganz freiwillig ist die Sauf-Nase allerdings nicht zu diesem Aufenthalt gekommen, der alte Gauner. Er erholt sich gerade im Schatten hoher Palmen. So jubelten sie als Kinder, wenn der Vater in den Knast einfuhr. Die Einweisung in Saint-Jean kommt dem dummen Spruch ziemlich nahe. Palmen stehen hier tatsächlich ein paar herum. Nur dass es diesmal nicht der Knast ist, sondern das Irrenhaus. Delirium tremens, weiße Mäuse. Der ist so was von ausgetickt, dass sie ihn abholen mussten. Der hat zuletzt nur noch verrück gespielt. Der hat sich in die Ecken geschmissen und den nackten Arsch in die Luft gehoben, Schwein. Seine Kacke hat er an die Wände geschmiert, die Bude vollgepisst. Grobschlächtig gezittert hat er, dass ihm der Löffel öfter im Hals stecken blieb wenn Katy ihn füttern musste. Alles immer nachts, weil sich sein Tag-Nacht-Rhythmus umgedreht hat. Katy stellte sich ganz gemeine Schmarotzer in seinem Hirn vor, die ihn zur Strafe für seine Untaten in den Wahnsinn treiben. Irgendwie war Katy der Krankheit dankbar, die Hilflosigkeit dieses Idioten von einem Vater verschaffte ihr Urlaub von seinen Schlägen. Verkommener Irrer. Am Ende fast ein Glücksfall. Schwein bleibt Schwein. Und Larve bleibt Larve. Die Mutter war wenig beeindruckt von dem Komplett-Absturz ihres Mannes. Schlampe. Fette Larve. Aber so war sie immer. Kein Interesse an nichts, oh nein. In wenigen Stunden wird der alte Sack unter die Erde verfrachtet. Ein Segen das.

      Le Havre, Oktober 1979 /// Von Anfang an macht das Delirium des Vaters Katys Leben zur Hölle. Noch schlimmer als sowieso. Einmal steht es ihr so im Hals dass sie ihre Mutter stinkig anbrüllt. „Kümmerst du dich überhaupt jemals um irgendwas? Du rufst doch noch nicht mal jemand an, wenn der verrückte Idiot nachts durchknallt!“ „Was soll denn der Scheiß jetzt?“, stänkert die Mutter zurück, „du, mach mir hier nicht die Dramaqueen! In dieser Wohnung habe immer noch ich das Sagen, verstanden! Koch mir was, ich hab’ Hunger!“ „Willst du ihn auf kleiner Flamme verrecken lassen oder wie?!“ „Mach du lieber deine Arbeit! Wie es hier schon wieder aussieht!“ In Katys Kindertagen war es nicht viel anders. Oh ja, Katy schrubbte und kochte und räumte auf, während sich die fette Larve vor dem Fernseher den nächsten Fotoroman reinzog. Diese Mutter war schon immer das Allerletzte. Das Maul gehalten, wenn der Alte um sich schlug. Und immer brav die Schenkel breit gemacht, wenn er ankam. Klar hörte die kleine Katy alles, wenn der Alte mit seiner Morgenlatte auf die Larve drauf stieg. Rein, raus, rein, raus, schönes Wetter heute. Und wenn es mal nicht sofort hinhaute, dann tanzte der Vater den Twist mit der Mutter und schallerte ihr ein paar. Katy durfte selten zur Schule weil irgendjemand die Hausarbeit machen musste. Die fette Larve hat noch nie irgendetwas gemacht. Höchstens wenn sie wegen neuer Klamotten zur Fürsorge mussten. Dann war die Larve gezwungen ihren fetten Arsch zu lüften. Sonst war die schöne Kohle futsch, die sie als Kindergeld einsackte. /// „Armeleutepack! Melonenfresser!“ Die Mitschüler waren gnadenlos, wenn die Bande Ben Ali mit haargenau den gleichen Schuhen ankam. Von der Beihilfe, konnte jeder sofort sehen. Ätzend, die blöden Dinger an den Füßen sahen nicht nur beschissen aus, die passen keinem, nie. Wie die Klamotten. Zu klein oder zu groß. Katy kam immer mit kaputten Füßen zur Schule. „Hinkefüße! Klumpfüße!“ Den Brüdern war es schnuppe, aber Katy stank das gewaltig. Auch, wenn sie keine Unterhosen anhatte. War doch zu peinlich. Dieser Stress, dass alle ihren Hintern sahen wenn sie an die Tafel musste. Deshalb klaute Katy Wäsche. Wenn sie alleine auf dem Heimweg war, streifte sie unter den Wäscheleinen vor den Sozialwohnungen durch und zisch, das Einsammeln von Unterhosen