Iris Maria vom Hof

Couscous Crème fraîche


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ins Schlüsselloch und klemmt ein zweites Blatt unter die Tür um sie zu verschließen. Katy darf sich nicht erwischen lassen. In diesem Hause gilt Körperpflege als das Allerletzte. Wer sich wäscht, so der Vater, tickt nicht ganz richtig. Muss jetzt sein, ist beschlossen. Madame Doucelle hat ihren Besuch für heute Nachmittag angekündigt und Katy möchte zu Ehren der feinen Dame blitzsauber wie eine kleine Prinzessin sein. Ja, Scheiße, ein Irrsinn das. Die Badewanne liegt voll Schmutzwäsche. Darüber trocknen mehrere karierte Hemden auf der Leine. Im Wascheimer schwimmen diverse Windelhosen in einer trüben stinkenden Brühe. Es bleibt also nur das Waschbecken, aber das quillt über vom Geschirr der letzten zwei Tage. Ach Mensch, dann spüle ich eben, beschließt Katy. Wie immer, die Kleine folgt ihrem Plan. Sie schnappt sich das Spülmittel und rackert und rackert. Inzwischen balanciert sie auf dem Küchenstuhl und verstaut die letzten zwei Teller, da klingelt es an der Wohnungstür. „Katy, mach auf.“ Aus dem elterlichen Schlafzimmer ertönt das jämmerliche Stöhnen der Mutter. „Bauchschmerzen, Rückenschmerzen, Depressionen! Ach, verflucht, öffne endlich die Tür, du Schlampe!“ Immer, wenn jemand zu ihnen nach Hause kommt, schämt sich die kleine Katy fürchterlich. Wenn sie könnte, würde sie abhauen. Es klingelt zum zweiten Mal. Katy springt vom Stuhl und flitzt zur Tür. Der Briefträger hält ihr irgendetwas Offizielles unter die Nase: „Keiner da, der unterschreibt?“ „Ich weiß nicht, Monsieur.“ „Ich brauche einen Erwachsenen.“ „Meine Mutter?“, schlägt Katy vor. „Bringt er Geld?“, in der Stimme aus dem Schlafzimmer klingt Zuversicht. „Nein, leider Madame, ich brauche bloß eine Unterschrift.“ „Das macht mein Mann und der ist nicht zuhause!“ „Entschuldigen Sie bitte, Monsieur“, flüstert Katy in einem artigen Ton, mit dem man den Lehrern in der Schule gefällt, „da ist leider nichts möglich.“ Oh nein, wenn es das gewesen wäre. Paff, da ist sie, die nächste Katastrophe. Hinter ihrem Rücken – Katy hat ja hinten keine Augen – wackelt Laurent auf den Briefträger zu. Er reckt beide Arme und eine nasse, blutige Windelhose von enormen Ausmaßen zischt durch die Luft. Das Ding wischt direkt über das Formular hinweg und klatscht in den Hausflur. Wie bescheuert ist das denn! Der Briefträger zuckt angeekelt zusammen und glotzt ungläubig hinterher. Dann drückt er Katy das feuchte, mit Blut beschmierte Formular in die Hände: „Nicht mehr zu gebrauchen, Mademoiselle!“ Kopf schüttelnd schiebt er ab, ohne sich noch einmal umzudrehen. „Tut mir voll Leid, Monsieur!“, ruft ihm Katy hinterher. Sie weiß überhaupt nicht wohin mit ihrer Scham. Die Mutter, ihre Windelhose? Das Blut? Die kleine Katy hat Null Ahnung von der Regel der Frauen. Eines allerdings kapiert sie. Bei ihr zuhause läuft alles in die Grütze. „Bist du sehr schwer krank, Mutter?“ „Lass mich in Frieden, Ungeheuer.“ / In einigen Jahren, wenn Katy dann mit Neun die komplette Haushaltsführung übernimmt werden ihr diese Windelhosen noch öfter in der Wäsche unterkommen. Aktuell entsorgt Katy das blutige Teil in den Müll und reinigt den Flur. Was soll denn Madame Doucelle denken? /// Mit ihren vier Jahren ist die kleine Katy so angefressen von Dreck, Unrat, Staub, Fett, Schmutzwäsche, dem Gestank, der ganzen ätzenden Scheiße zuhause, dass sie beginnt zu putzen. Freiwillig im Moment bis es in ein paar Jahren zu ihrer auferlegten Pflicht wird. Ihr Fleiß in Sachen Ordnung und Sauberkeit gleicht einem Weltwunder, wenn man an den Rest der Familie denkt. Katy schlägt sich durch, unbeirrbar. Woher sie das hat? Ich mach es für mich, sagt sie sich. Aber ich mach es auch für meine Leute. Das wird Katys Lebensgefühl für viele Jahre. Im eigenen Sumpf hängen, darben, leiden, viel weinen, wenig lachen, in ihrer Horde überleben auf Gedeih und Verderb. Ihre Mutter, die Larve, zieht sich daneben einen Fotoroman nach dem anderen rein. Italienische Schmachtfetzen mit Engelsgesichtern in einer heilen Welt. Mist. Und warum färbt das rosige Liebesgetue nicht auf die Larve ab? Warum nimmt sie ihre kleine Tochter niemals in den Arm? Warum küsst sie Katy nie? Warum kann sie die Kleine nicht ausstehen? Diese Mutter hat mit ihren Kindern nichts am Hut. Kann man nicht anders sagen. Seit Katy einigermaßen auf Zack ist, zählt es zu ihren täglichen Pflichten, Laurent abends die Flasche mit dem rosa Zeug zu geben und morgens die Windeln zu wechseln. Ihr kleiner Bruder ist jetzt drei. Diese Flasche, Geheimwaffe der Mutter Ben Ali, ist ein super süßer rosa Sirup und dient als Schlafmittel. Damit die Mutter nachts ihre Ruhe hat und von keinem schreienden Balg geweckt wird. „Katy, vergiss den Sirup nicht!“ Jeden Abend das Gleiche. Bis es Katy so im Hals steht und sie den kleinen Bruder eines Abends ohne das beruhigende rosa Zeug hinlegt. Madre mio, der hat gar nicht mehr aufgehört zu brüllen. Die halbe Nacht lang, wie am Spieß. „Du blödes Aas!“, herrscht die Mutter Katy gegen zwei Uhr morgens an und reißt ihr die Bettdecke weg. „Du Schlampe hast Laurent den Sirup nicht gegeben!“ Also gut. Katy springt aus den Federn, schnappt sich die Flasche, füllt das rosa Zaubermittel ein und beschert ihrem kleinen Bruder einen sehr schönen Restschlaf für diese Nacht. Sie streichelt ihm noch eine Weile den Rücken, bis ihr selbst die Augen zufallen und sie vor seinem Gitterbett auf dem Boden einpennt. Katy ist vom Wesen her zärtlich und lieb zu allen. Sonst geht es eher rau zu in ihrer Familie. Dem Vater darf sie schon mal die Füße waschen, dafür bekommt sie ein paar Centime. Und dieses Geld wird eisern gespart. Keine eine Münze für Bonbons oder so. Katy hat wie immer ihren Plan. Und als es soweit ist und sie eine kleine Summe – gefühlte Hundert Francs – beisammen hat, marschiert sie ganz alleine auf den Markt im Viertel und schlägt zu. Für die Mutter findet sie einen gebrauchten Fotoroman. Dem Vater kauft sie ein Päckchen Gauloises. Schon mal nicht übel. Ein echt super Schnäppchen entdeckt Katy für die Brüder. Eine Fünfundvierziger mit Johnny Hallyday „L‘idole des Jeunes, die erst im Januar raus kam. Und sofort Nummer eins wurde behauptet jedenfalls der Händler. Das soll ihr einer nachmachen. Das ist echt Spitze. Die kleine Katy ist zufrieden mit sich. Oh ja, sie ist richtig glücklich. Aber nicht lange. Ihre Gaben werden angenommen, ziehen aber keine besondere Wirkung nach sich. Eigentlich bedankt sich keiner. So sind sie, die Ben Ali. Außer Katy, die ist anders. /// Da kommt Madame endlich. Katys Stern am Himmel. Cremefarbenes Kostüm, Strohhütchen. Durchlöcherte Lederhandschuhe, hauchdünne Nylons und sehr schicke Pumps. Eine frisch abgeschrubbte Katy öffnet dieser imponierenden Erscheinung die Wohnungstüre. Madame tritt freundlich lächelnd ein und setzt als erstes einen dicken Karton ab. „Guten Tag, mein Kind.“ „Guten Tag, Madame Doucelle.“ / Vermittelt von der Evangelischen Gemeindehilfe verrichtet Madame Doucelle freiwillige Sozialpflege. Als angesehene Gattin des wohlhabenden Vizebürgermeisters Jean Doucelle empfindet sie eine elementare Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Eine Art Ausgleich für das eigene ungetrübte Familienglück. Die Ben Ali gehören seit Jahren zu ihren Schützlingen. Dabei macht sie es bei denen eigentlich nur wegen der Kinder. Genau gesagt wegen der kleinen Tochter. Die hat es wahrhaftig nicht leicht mit drei Brüdern. Mit einem Alkoholiker als Vater und einer strohdoofen Mutter, die sich offenbar nach der Geburt ihres jüngsten Sohnes aufgegeben hat. Pech, armes Mädchen. Die Mutter Ben Ali hat wieder einmal um Hilfe gebettelt. Wie immer, wenn die Familie völlig im Chaos unterzugehen droht. Weil der Vater durchdreht. Weil das ganze Geld von der Stütze verspielt ist. Weil Rechnung nach Rechnung eintrudelt. Weil ihnen schon wieder der Strom oder das Wasser abgestellt werden. Also immer, wenn die totale Anarchie ausbricht, ruft die Mutter Ben Ali an. Madame Doucelle empfindet jedes Mal einen Widerwillen bei diesen Betteltelefonaten. Dennoch, sie gehorcht ihrer Pflicht und kümmert sich. / „Katy, alles gut bei dir?“ Stumm wie ein Fisch, die kleine Katy bringt es nicht. Was sie der feinen Dame nicht alles sagen möchte und sich nicht traut. Aus Scham. Aus Schüchternheit. Madame Doucelle steht so himmelhoch über ihr, dass Katy erst mal eine Weile braucht, bis sie ihre Scheu überwunden hat. Schritt für Schritt, uff. Noch einmal tief Luft geholt. Dann kommt Katy an wie ein Kätzchen, das jeden Augenblick seine Streicheleinheit bekommt. „Katy, alles gut?“ „Ja, Madame.“ „Ist deine Mama da?“ „Ja, Madame, die liegt im Bett. Die hat so eine blutige Krankheit.“ „Wie bitte?“ Madame Doucelle stürzt ohne Anklopfen ins Schlafzimmer der Ben Ali und macht sich ein Bild von der Angelegenheit. Beruhigt kehrt sie zurück. / „Katy, Laurent, kommt beide zu mir!“ Neugierig begutachten Katy und Laurent den Inhalt des Kartons. Konserven, Biskuits, Sardinen. Ein Federballspiel, ein Fan-Schal des AC Le Havre und weiteres Sportzeugs für die großen Jungen. „Danke, Madame, das ist tierisch viel, sagt Katy höflich. Laurent schiebt mit dem Fan-Schal ab. Katy streicht um Madame Doucelle herum, fasst Mut und schmiegt sich an ihren Rock. Mm-m, was riecht sie wieder gut! Wie magisch angezogen folgt Katy dem Duft von Madame Doucelle. Und mit geschlossenen Augen, ganz hin und weg, plappert sie: „Sie riechen so wunderbar, Madame, so wunderbar!“ „Du bist ein liebes Mädchen.“ Katy zuckt verwirrt zusammen, als ihr Madame Doucelle