Hugo Berger

Baker Island


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kann mir keinen Reim darauf machen, was er mir mit seinem philosophischen Gefasel sagen will. Doch endlich rückt er einen Glimmstingel raus.

      „Hier, das versprochene Glücksbaby. Entspann dich, Bruder.“

      Die Zeit bleibt stehen, alles wird leicht. Falle ich oder schwebe ich? Ich kann es nicht unterscheiden. Zugleich werd ich müd, sehr müd. Eigentlich möcht ich nur schlafen, jetzt auf der Stelle. Kann Tuff auch diesmal meine Gedanken lesen? Ein Wink genügt und ein schmächtiger Junge taucht aus der Dunkelheit auf, um mich nach oben in ein Zimmer zu führen. Der Rest eines letzten Gedankens ruft ins Universum hinaus „lass mich erst wieder aufwachen, wenn ich weiß, wer ich bin!“

      Als ich erwache, fühle ich etwas kühles am Bein. Mache ich jetzt die Augen auf und erkenne wo ich bin? Ich habe Angst, die Augen zu öffnen. Da ist jemand im Zimmer, ich kann es hören. Der Raum ist hell, die Sonne blinzelt durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden. Allerdings kann ich niemanden im Raum sehen. Der Verband ist verschwunden, dafür klebt eine weiße klebrige Paste auf meinem lädierten Bein und der Schmerz ist völlig verschwunden. Da taucht wieder ein vorbeihuschender Schatten an der Tür auf. Es ist der Junge, der mich gestern abend hier heraufgebracht hat. Er hat dasselbe Rastaman-Grinsen wie Tuff. Unaufgefordert hat er mir ein Glas desselben fruchtigen Getränkes gebracht, das ich bereits am Nachmittag zuvor von …. wie hieß sie? … ach ja … Mary, von Mary bekommen habe. Es schmeckt erfrischend, ohne dass ich die geringste Vorstellung hab, was es sein könnte. Diese ausgesprochene Willkommenskultur beeindruckt mich wirklich. Wieder finde ich frische Sachen zum Anziehen neben meinem Bett. Und doch wirkt das alles wie ein bedrückender Spuk, der die Frechheit hat, nicht vorbeigehen zu wollen. Ein neuer Tag steht bevor, und wieder wird eine automatische Fernsteuerung mit mir machen, was sie will.

      Ein opulentes Frühstück wartet auf mich. An diesem Morgen ist es Mary, die mir eine ganze Litanei aufzählt, ohne dass ich das geringste verstehe ….Hala-Kahiki, Ipu, Kai moana, Kai o te ata, Manako, Uala … Alles sieht fantastisch aus, auch wenn ich davon nur die Eier mit Speck auf dem Tablett erkenne. Mein Appetit hält sich in Grenzen, irgendwie sind meine Gedanken bereits wieder auf der Reise und rufen eine nicht unterdrückbare Unruhe in mir aus. In einer Ecke der Veranda entdecke ich eine Gitarre, die ein gelangweiltes Dasein zu führen scheint. Tuff bemerkt meinen Blick und ohne fragen zu müssen erklärt er „wenn dich die Musik berührt, dann spürst du keinen Schmerz Bruder. Die Gitarre war damals mein Ausweg, heute ist sie nicht mehr als ein Erinnerungsstück. Hier sind es meine Wunder-Pflanzen mit denen ich den Menschen helfen kann. Das wird eines Tages mein Vermächtnis sein Bruder.“

      Er beobachtet mich lange, ohne weiter zu sprechen. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass er nicht nur ein Insel-Doc ist, sondern auch ein Gedankenleser. Wenigstens kann er meine Gedanken lesen wie ein offenes Buch.

      „Du kannst meinen Wagen haben Bruder.“

      „Wow, okay Mann. Wirklich?“

      „Kein Problem, alles cool, ist nicht mehr das jüngste Modell und abhauen kannst du ja nicht, ist eine Insel hier.“

      Tuff hat mindestens zwei Mal Recht, Insel ist Insel, und nicht mehr das „jüngste Modell“ ist eine wahrlich respektable Untertreibung. Die Karre hat locker ein halbes Jahrhundert auf dem verblasstem Restlack.

      „Wie sieht es mit ein paar Glücks-Babys für unterwegs aus, Mann?“

      Schmetterlingsbein zuckt nur mit den Schultern und setzt abermals sein schelmisches Grinsen auf. „Bis Sonntag!“

      Bis Sonntag? Ich weiß verdammt ja nichtmal, welcher Tag heute ist. Warum bis Sonntag? Mary winkt mir wie ein kleines Mädchen, als ich wegfahre. Tuff ist von der Bildfläche verschwunden.

      Beinahe komme ich mir vor, wie bei einer Abreise in den Urlaub, nur mit dem nicht unbeträchtlichen Unterschied, dass ich mein Ziel nicht kenne.

      4 – Mexican Lodge

      Ich folge der imaginären Staubwolke des Cowboys, der mich auf diesem Hügel am Tag zuvor ausgesetzt hat, ohne zu wissen wohin. Die Hoffnung ist mein einziger Wegweiser ansonsten… was weiß ich seit ich am Strand aufgewacht bin? Dass ich auf einer Insel bin, dass es einen Westteil mit Plantagen und einen Ostteil im privaten Niemandsland gibt, und dass hier auf Rastamans Hügel diese kaiu... -keine Ahnung- wächst, die eine tödliche Krankheit heilen kann. Aber was bitte weiß ich über mich? Eben, vielleicht dass ich auch ein Abo für mehrere Katzenleben hab? Fuck, was solls. Warum reg ich mich auf? Die Leute hier sind okay. Ich sollte mich mit diesem Paradies hier lieber arrangieren und mein Nichtwissen mit dem Schwert der Ironie bekämpfen. Vielleicht schreib ich diesen Nirwana-Trip später mal auf für überzeugte Fans von unglaublichen Geschichten. Dabei hat es auch was Märchenhaftes, dieser seelische Luxus, einfach ins Nichts zu fahren, nur mit meinem Katzenleben-Gutschein-buch im Hinterkopf eingepackt.

      Dieses klapprige Stück Blech auf vier Rädern schaukelt so gutmütig dahin über das, was man mit etwas Fantasie vielleicht als Piste bezeichnen kann. Beim Blick aus dem Seitenfenster gesellt sich eine Brise von Freiheit zu meinem Gemütszustand, der mich so nachdenkungslos querfeldein dahintreiben lässt durch ein Land, das möglicherweise den Nobelpreis für ein achtes Weltwunder rechtfertigen würd. Den sanften Ausläufern der Hügel folgt eine talähnliche Ebene, in der imposante Gesteinsbrocken von der Größe eines Autobusses und variantenreich in ihrer Form, wie von Geisterhand planlos verstreut sind. Exotische Gewächse verteilen sich ungleichmäßig über das Terrain wie um des ausschließlichen Kontrastes willens. Das Staubbraun geht allmählich in ein Zartgrün über und formt sich zu einer welligen Oberfläche, die dem seidigen Charakter eines mit einem Weichzeichner nachbehandelten Fotos gleicht. Dann folgt wieder abschüssiges Gelände und eine sich darunter weit ausbreitende Ebene, die mit einem wahren Überfluss an satten Grünflächen auf sich aufmerksam macht. Die geschmeidigen Ausläufer der Westrocks rücken dabei immer näher an die Piste heran, ständig von der imposanten Kulisse dieses Gebirgsmassivs im Westen begleitet.

      Das Gefühl des Entdeckers in mir ist hellwach. Meine Augen bestaunen die seltsame Vegetation, die wahllos verstreuten Bäume, die gelbblühenden Sträuchergruppen und diese kräftig roten Blumenfelder, die hier in einer Art Koexistenz von Naturgewalt und verzierender Optik um Aufmerksamkeit wetteifern. Ein fast unwirkliches Blau am Himmel, das die Intensität eines Neonhimmels besitzt, taucht diese Natur in eine Anmut, die mit Worten nicht beschreibbar ist und der jegliche Vergleichbarkeit fehlt. Und selbst wenn ich fühl, riech und atme habe ich Zweifel, ob das alles noch etwas mit Realität zu tun haben kann? Oder unterliegt meine Wahrnehmung einer gigantischen Sinnestäuschung, herbeigeführt durch implantierte science-ficition-Impressionen?

      Was ist das? Eben fehlte noch jegliches Anzeichen von menschlicher Anwesenheit in dieser bizarren Natur, da taucht unmittelbar die Halluzination einer asphaltierten Straße völlig unerwartet vor mir auf. Handelt es sich um das unheilvolle Vorzeichen der weitverbreiteten Seuche in Form von Tourismus? Oder … die einzige Straße? Ist es eine Luftspieglung? Bin ich überhaupt noch in der Lage, den Unterschied zwischen Wirklichkeit und dem Gegenteil zu erkennen? Warum hab ich jetzt keine Zigarette, damned. Bin ich schon sowas wie paranoid? Aber ich kann mich an alles das erinnern, was die letzten Tage passiert ist, auch wenn ich es nicht erklären kann. Es … es ist nur die Unsicherheit, die mich daran hindert, diese gewaltige Portion geistiges Neuland zu akzeptieren und die Wahrheit auf mich zukommen zu lassen. Verdammt, akzeptier doch einfach dieses Stück betoniertes schwarzes Etwas, das sich vor deinen Augen in den Boden beißt, auch wenn es ein kleiner Schönheitsfehler im Kontrast zu dieser Bilderbuchlandschaft steht. Steig aus, fass es an! Okay, mach ich wirklich. Shit, die Straße ist zu echt, um unwahr zu sein, alles klar. Sie ist so echt, dass sie sich nicht einmal die geringste Mühe macht, ihren Verlauf auch nur mit der Andeutung einer Kurve zu vergeuden. Gut, wenn das so ist, dann werd ich mir auch nicht die Mühe machen, über meine Fahrtrichtung nachzudenken, sondern intuitiv dem kerzengeraden Straßenverlauf folgen.

      Während