Hugo Berger

Baker Island


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weiter, in seinen unnachahmlichen Fortbewegungsstil vorauslaufend.

      Ich folge ihm stillschweigend, mich von dieser nahezu opulent wirkenden Vegetationswelt berieseln lassend. Wieder ist er mir einige Schritte voraus als er einen nächsten Stopp einlegt.

      „Siehst du Bruder … dort drüben die beiden kleinen Bäumchen. Ist echt cool, yeah. Jetzt lebe ich schon eine Ewigkeit in diesem Wunderland und immer wieder finde ich eine Pflanzenart, die ich noch nicht kenne. Der eine mit den kreisrunden gestreiften Blättern, und gleich daneben, der etwas größere mit den jeweils doppelt übereinanderliegend angeordneten Ästen, die sich an den Enden gemeinsam ineinander verschlingen wie die Stricknadeln beim Sockenstricken, cool. Die hab ich erst in diesem Frühjahr entdeckt, ich muss mir noch einen Namen für die beiden Prachtstücke überlegen.“

      Ist es die Vielfalt der Botanik, die mich in beeindruckender Ehrfurcht diesem mehr tanzend als humpelnd vorauslaufenden Rastaman stumm folgend fraglos lässt, oder meine automatische Schweigen-ist-Gold-Strategie? Wieder erreichen wir einen weiteren, diesmal aus Bambus geformten Torbogen. „Garden of Waters“ (Garten des Wassers). Die Üppigkeit der Schöpfung weist mich in die Schranken der eigenen Nichtigkeit, wenngleich das Wort Nichtigkeit an dieser Stelle noch eine weitere selbsterklärende sinnbildliche Bedeutung erlangt. Ich komm dem Geheimnis meiner Person nicht näher. Nur das Plätschern eines Wasserlaufs der über einer Reihe von Kaskaden dem Steg folgt, lenkt meine Gedanken wieder zurück auf die Einzigartigkeit der Natur und die Vielfalt deren spielerischen Variationen. Über eine kleine Hängebrücke überqueren wir den Bach, der sich hier entscheidet, seine Richtung zu ändern. Bald darauf tauchen beidseitig des Steges kleine Teiche auf, die mit weiteren kleinen stegartigen Holzbrücken versehen sind. Dazwischen hineingestreut kleine sanfte Grashügel, groß genug, um auf deren Anhöhe jeweils einen Baum mit ausladender Krone wachsen zu lassen. Darunter eine Sitzgelegenheit, ein Stein, ein Baumstock. An einer dieser Stellen entscheidet sich Schmetterlingsbein, den Steg zu verlassen. Zielsicher steuert er die Rückseite eines Hügels an, an der eine Quelle entspringt, die als kleiner Bachlauf nur wenige Meter später in einen weiteren Teich mündet. Handtuchgroße Blätter mit glänzend blauen Blüten übersäen die Wasseroberfläche und täuschen den Eindruck einer blauschillernden teppichartigen Wiese vor.

      „Setz dich.“

      Erst jetzt sieht er mich mit diesem strahlenden Leuchten seiner Augen an. Kurz darauf kneift er sie zu und taucht seine Hände in das glänzend schimmernde Wasser. Keine Ahnung, ob dieses schamanenartige Gehabe ein Ritual oder ein Spiel sein soll. Aber nur einen Bruchteil später gleiten seine beiden Hände an meinem schmerzenden Bein entlang ohne es zu berühren, begleitet von seinem Sing-Sang, das mir mittlerweile schon vertraut geworden ist. „Was ist mit deinem Bein passiert, Bruder?“

      Ist das die ultimative Chance, meine Flaschenpoststory zu präsentieren? „Ich bin von der Mauer gesprungen…“

      Seine Mimik wirkt jetzt abwesend, gedankenverloren. „Die höchste Mauer die es gibt ist in unserem Kopf, Bruder. Ich musste ein zweites Mal geboren werden, um meine Mauer zu überwinden. Wir sind zeitlebens gefangen in Mauern, und wir kapieren das nicht einmal. Die wirkliche Freiheit fängt erst hinter dieser Mauer im Kopf an Bruder. Komm, ich zeig dir noch was.“

      Er nimmt Kurs zurück zum Steg. Mit der professionellen Routine eines Stadtgärtners, der seinen Gast durch die Parkanlagen führt, setzt Tuff seine Führung fort. Meine Mauergeschichte dagegen scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren.

      „Riechst du was Bruder?“

      Soll ich wahrheitsgetreu antworten?

      „Was soll ich denn riechen?“

      „Nicht möglich. Bruder. Ich dachte, du bist auf dein Bein, und nicht auf deine Nase gefallen.“

      Mein Bein? Fuck, ist ja echt verblüffend. Ich hab gar nicht mehr daran gedacht, als ich ihm nachgeeilt bin. Der Schmerz ist verschwunden, ich hab ihn vergessen. Dann war das Hokuspokus vorhin also doch kein Spiel und Rastaman ist so was wie ein Insel-Medizinmann.

      „Du meinst diesen scharfen Geruch Mann?“

      „Ich weiß nicht, was du unter scharfem Geruch verstehst Bruder, aber in meiner Nase riecht es wie ein scheißübler Gestank.“

      Die Öffnung des nächsten Torbogens führt zur Quelle des ekelerzeugenden Geruchskonzentrats. Daran beschönigt auch der Schriftzug „Garden of life“ (Garten des Lebens) nichts, der in Mosaikarbeit aus kleinen bunten Glasstückchen in den Steinbogen eingearbeitet ist.

      Doch Tuff hält genau an dieser Stelle abrupt inne, wie urplötzlich von spirituellem Wahnsinn erfasst. Augenblicke vergehen.

      „Das ist mein wahres Mekka, Bruder!“

      Und wieder vergehen weitere Augenblicke, in denen er vermutlich seinen spirituellen Einklang sucht, bevor er endlich den Torbogen in andächtiger Haltung durchschreitet.

      Fast beiläufig höre ich ihn fragen: „Glaubst du an Wunder, Bruder?“

      Eine überraschende Frage, bin ich doch die letzten Tage von einer unerwarteten Situation in die nächste gestolpert, war kurz davor, mein over and out zu akzeptieren um im nächsten Augenblick dem Sensenmann dann doch wieder von der Exodus-Schippe zu springen.

      „No Mann, aber ich glaub dass es Glück gibt, jede Menge sogar. Selbst da, wo weit und breit keine Hoffnung mehr ist.“

      Schmetterlingsbein hört mir gar nicht zu, oder ist er noch mitten in seiner Meditationsnummer?

      „Das Wunder das ich meine hat einen Namen: Makani. Er hat mich gelehrt, die eigene Nichtigkeit zu akzeptieren und mich ihr zu unterwerfen. Ich war dazu geweiht, meine nicht verkrebsten Körperreste dem Siechtum zu überlassen als ich hierher gekommen bin. Es sollte meine letzte Station auf der Reise ins Licht sein. Er hat es verhindert. Über den Tod hat er gesagt -solange ich da bin, ist er nicht da, und wenn er da ist, bin ich nicht mehr da-. Guter alter Makani.“ Tuff humpelt dem nach gärender Fäulnis riechenden Ziel voraus. Auf dem Rundweg sind rechtsseitig Hochbeete angelegt. Sie sind durchnummeriert wie die Sitzreihen in einem Charterflugzeug. Links ist nur eine große Wiese, verstreut wachsende Blumen, ein riesiger Baum mit überdimensional weit ausgestreckten Ästen und einer Krone, die einen kompletten Marktplatz bedecken könnte. Nur wenige Meter seitlich vom Stamm ein auffälliger Hügel auf dem ein gewaltiger Steinbrocken ruht. Ohne dass Rastaman in seinem Rücken erahnen kann, worauf meine Augen gerade gerichtet sind, erklärt er in sanftmütigem Ton: „Sein Garten, sein Vermächtnis und sein Platz.“

      Zwei seltsam anmutende Vögel sitzen regungslos auf einem der knorrigen Äste. Stolz scheinen sie den Hügel zu bewachen.

      „Sie haben ihm Unrecht getan, diese Idioten.“

      Mit der Rhetorik eines erleuchteten Predigers beginnt Rastaman eine Laudatio. „Makani ließ sich aber den Mund und seine Meinung nicht verbieten. Der arme Teufel konnte nicht mal lesen und schreiben. Und trotzdem hat er es geschafft den zweifelhaften Ruhm einer persona non grata zu erlangen, und sich und seiner Familie dafür die Umsiedlung hierher -im sogenannten Interesse des Vaterlandes- eingehandelt. In Wahrheit war er genial, zu genial. Ein medizinisches Universum, obwohl er Analphabet war. Er wusste alles über die Heilkraft von Kräutern und Pflanzen, die noch nicht einmal in der Fachwelt bekannt waren.“

      „An den Gestank gewöhnst du dich, Bruder.“

      Beet Nummer sechs. Mit dem Finger an den Mund fassend bedeutet er mir still zu sein.

      „Ich kann sie singen hören!“

      Dreht Tuff jetzt komplett durch? Er wiegt tatsächlich seinen Rastakopf so täuschend echt im Rhythmus, als ob diese Pflanze eine imaginäre Melodie ausströmen würd. Aber ich schenk es mir besser ihn zu fragen ob er eventuell gerade chilling me softly hört. Ziemlich abgefahren, die ganze Show hier. Ich hab von Leuten gehört, die Geister sehen. Nun ja, der hier hört Pflanzen singen. Für ihn wahrscheinlich so normal wie Kerzenausblasen.

      „Er nannte sie Kaiulani

      Wir stehen vor einer wulstartigen