Michael Stuhr

MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND


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Wüste zu besuchen. Aber bis sie das tun könnte, würde noch so viel Zeit vergehen, so unendlich viel Zeit.

      "Teri, komm jetzt." Sachte berührte Tana die Schulter des Mädchens. Die Trommeln und Ratschen der Artisten waren verklungen. Wahrscheinlich waren sie auf einem Zug durch die Gassen der Stadt, um für ihre erste Aufführung zu werben.

      Langsam bewegte Teri sich und rieb ihre verquollenen Augen mit den Handballen.

      "Komm, Schatz!" Tana war ungeduldig. "Die `Sesiol' wartet schon. Wir können gleich an Bord."

      "Gehen wir nicht ins Fremdenhaus?" Heimlich hatte Teri darauf gehofft, die Kraan am Abend doch noch einmal wiederzusehen.

      "Wir sind hier in Isco. Hier gibt es kein Fremdenhaus", erinnerte Tana.

      "Ach ja", fiel es Teri wieder ein. Bgobo hatte ja erzählt, wie trefflich es sich bei den Herbergswirten von Isco feiern ließ. Besonders von einer jungen Wirtin hatte er geschwärmt, die er unbedingt wieder hatte besuchen wollen. Teri sprach inzwischen leidlich die Sprache der Kraan, und Bgobo hatte das wohl nicht bedacht. Jedenfalls hatte sie genau gehört, was Bgobo, ihr Bgobo, mit dieser Frau machen wollte.

      Teri war das gar nicht recht gewesen. Aus einem Grund, der ihr selbst unerklärlich war, war sie plötzlich aufgesprungen und davongelaufen. Stumm hatte sie an der Reling der Kao-lad gestanden und auf die Wellen hinausgestarrt, als Bgobo neben sie getreten war.

      Lange hatte er wortlos dagestanden. Dann, nach einer Weile, hatte er seine Hand auf Teris Schulter gelegt und sie ganz sanft gedrückt. Ohne ein Wort zu sagen, war er dann wieder zu seinen Leuten gegangen.

      Da hatte Teri gewußt, das Bgobo sie sehr mochte und dass er es nicht böse gemeint hatte. Mochte er nur zu der Wirtin gehen und mit ihr herumalbern und seine Spiele spielen - das machte nichts aus. Mit ihr, Teri, hatte er auf das Meer geschaut und geschwiegen - und das war sehr viel mehr.

      Tana wartete.

      Schnell raffte Teri ihre Sachen zusammen und stopfte sie achtlos in ihr Bündel. Zum Schluß schnürte sie ihre neue Felldecke darauf und folgte Tana an Land, nachdem sie sich bei dem Kapitän der Kao-lad für die gute Überfahrt bedankt hatten.

      Auf der Pier überholten sie Gerit, der sich mit dem Gepäck der Familie abmühte. Zwei große Proviantkisten und sein eigenes Reisebündel mußte er bewältigen. Abwechselnd trug er immer eines der Teile ein Stück voraus, um dann die anderen beiden nachzuholen. Der arme Kerl schwitzte abscheulich!

      Freundlich winkten Tana und Teri ihm zu und hüpften die Gangway zur `Sesiol' hinauf.

      Die `Sesiol' war ein Löwenboot reinster Prägung. Mit kaum fünfzehn Mannslängen vom Bug bis zum Heck sehr klein und wendig, konnte sie mit ihrem hochgezogenen Dollbord aus kohlschwarzem Hartholz selbst Rammstößen weitaus größerer Schiffe trotzen. Der überlange, weit nach hinten geneigte Mast aus demselben Material trug keinerlei Rahen; nur am Anfang des letzten Drittels waren unter einer winzigen Plattform die Wanten angeschlagen.

      "Ah das ist gut!" Ein alter Mann, so schwarz wie das Holz des Mastes, kam den Niedergang heraufgepoltert. "Gut, dass Sie hier sind, gut dass Sie endlich da sind! Die Stadt ist nicht sicher! - Kommen Sie, kommen Sie!" Der Mann ergriff Tanas Hand und zerrte sie über das Deck, hin zum Vorschiff. Dabei sah er sich ständig um und tat so, als seien sie von tausend Feinden umgeben. Teri runzelte die Stirn. Sie fand dieses nervöse Getue einfach albern.

      "Kommen Sie! Da, sehen Sie! Das ist ihre Kabine!" Aufgeregt wedelte der Mann mit den Händen in Richtung Bug.

      Die `Kabine' war nicht mehr als ein Holzdach, das das eigentliche Deck in Höhe der Reling ein Stück weit überzog. So entstand ein dreieckiger, zum Schiff hin offener Raum, ganz ähnlich dem Zelt, das die Familie auf der `Kao-lad' bewohnt hatte.

      Tana bückte sich und sah sich in dem Verschlag um, während der Kapitän ununterbrochen auf sie einredete.

      "Haben Sie eine gute Überfahrt gehabt? Wir selbst hatten guten Wind bis Cebor, Sie wissen schon! - Sie waren nicht in Cebor, nicht wahr? - Ja, ja. Neunzehn Harmugeds aus Cebor! Allein aus Cebor, stellen Sie sich vor! - Da soll man sich keine Sorgen machen! - Gefällt Ihnen die Kabine? Ich habe sie frisch ausscheuern lassen - müßte eigentlich noch feucht sein! - Ist sie auch? - Schön! - Aber ich mache mir Sorgen! - Wissen Sie eigentlich, dass der Kaiser selbst sich Sorgen macht? - Na ja, egal! - Jedenfalls kommen sie von überall! - Ü-ber-all! - Kaum zu glauben, was die ..."

      "Was ist überall los?" Tana war auf Händen und Knien in den triefnassen Verschlag gekrochen und schaute zornig daraus hervor.

      "Ach, es sind schwere Zeiten!", lamentierte der Kapitän weiter, wobei er sich ununterbrochen umsah. "Schwere Zeiten für Reisende! Seien Sie nur froh, dass Sie hier auf der `Sesiol' wohnen können! - Gefällt Ihnen die Kabine, ja? - Frisches Stroh ist auch da. - Haben Sie keine Sorge. Hier kommen diese Leute nicht hin! - Sie haben doch nichts mit denen zu tun, oder? - Nein, nein, bestimmt nicht, ich weiß! - Aber ich, ich muß sie transportieren! - Und alle, alle wollen sie nach Isco! - Das gibt Ärger, sage ich Ihnen! Das gibt Ärger! - Das lassen sich die Sucher nicht bieten, dass die anderen Sucher hier herkommen! - Oh das gibt Ärger! - Aber haben Sie keine Angst! Sie und Ihr Töchterlein sind ..."

      "Teri, reich mir mal das Stroh!" Blitzböse schoß Tana aus der Kabine, schob den Kapitän einfach ein Stück zur Seite und zeigte auf den Sack an der Reling, aus dem ein paar gelbe Halme ragten.

      "Aber es ist ganz naß da drin!", protestierte Teri.

      "Haben Sie gemerkt, wie sauber alles ist?" Der Kapitän schaute sich um. "Hab ich extra für Sie schrubben lassen. - Wissen Sie, man weiß heute ja nie ..."

      Tana stieß einen grollenden Laut aus und nahm Teri bei der Schulter. "Komm, wir sehen mal nach dem restlichen Gepäck."

      So kam Gerit doch noch zu etwas Hilfe bei seinem Transport, was er äußerst dankbar zur Kenntnis nahm.

      Tana bückte sich und griff nach einer der Kisten.

      "Warte, ich hel...", begann Gerit. Aber da hatte sie den schweren Kasten auch schon hochgewirbelt, als sei er mit Federn gefüllt. Tana mußte wirklich sehr böse sein, stellte Teri fest.

      "Wie konntest du nur?", bekam Gerit zu hören. "Wie konntest du nur unsere Passage bei diesem Trottel buchen? Du hast ihn doch gesehen! Du hast doch mit ihm gesprochen! Was hast du dir dabei gedacht?"

      "Wieso?"

      "Er redet!" Tana begann, unter ihrer Last zu wanken. "Er redet in einer Tour! Er redet und sagt gar nichts! Er hat uns nicht in Ruhe gelassen! Die Kabine steht unter Wasser! Er ist ein so fürchterlicher Dummkopf!"

      "Ich fand ihn ganz in Ordnung", meinte Gerit. "Klar, er redet ein bisschen viel, aber er ist billig. - Außerdem ist er bereit, in Tigan unser Spiel mitzumachen. - Soll ich dir nicht lieber doch helfen?"

      "Ich schaffe das schon!" Trotzig machte Tana einen Schritt, stolperte und knickte um. Ihr Wehlaut ging im Bersten der Kiste unter, die auf dem Hafenpflaster zerschellte.

      Teri drehte sich weg und ging zur Kaimauer. Dort setzte sie sich still hin und schämte sich ein wenig. Sie ließ die Beine baumeln und schämte sich für diesen albernen Kapitän - und erst recht für diese beiden Erwachsenen, die hinter ihr auf dem Hafenpflaster herumkrabbelten, ihre Habseligkeiten zusammenkramten und sich dabei ankläfften wie zwei Straßenköter.

      Später wurde es dann aber doch noch recht nett an Bord. Der Kapitän hatte sich nach mehreren erfolglosen Versuchen, ein Gespräch mit seinen Passagieren anzuknüpfen, ganz auf Gerit konzentriert, der lässig an der Brüstung des Achterdecks lehnte und willig zuhörte.

      Nach und nach bekam Gerit heraus, was dem Mann solche Sorgen bereitete: Von seinen Kapitänskollegen hatte der Löwenbootmann gehört, dass in letzter Zeit auffällig viele Diener des Harmuged nach Isco gereist waren, und auch er selbst hatte neunzehn von ihnen an Bord gehabt. Mittlerweile mußte die Stadt förmlich von Pilgern wimmeln.

      Nun war Isco aber schon von altersher das Zentrum des Ofisa-Kults; und die Ofisa-Anhänger waren die eingeschworenen Feinde der Harmuged-Jünger. Allgemein wurde befürchtet,