Michael Stuhr

MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND


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nur gewartet. Gleich zu viert rissen sie so stark am Ende der Planke, dass sie krachend auf das Deck flog. Zwei andere waren an Land gesprungen und hoben die schweren Trossen von den Pfählen. Mit großen Sätzen kamen sie mittschiffs wieder an Bord und halfen den anderen Matrosen, die `Sesiol' mit langen Stangen von der Kaimauer wegzudrücken. Kaum zehn Ellen weit war das Löwenboot von der Kaimauer entfernt, als seine Bewegung langsamer wurde und schließlich ganz aufhörte. Das Deck neigte sich ein wenig dem Hafenbecken zu. - Die `Sesiol' war im Schlick steckengeblieben.

      Teri sah, wie auch die Mannschaften der anderen Schiffe versuchten, das freie Wasser des Hafenbeckens zu gewinnen; die meisten hatten aber noch weniger Erfolg. Nur einige sehr kleine Schiffe trieben schon weitab von der Kaimauer in relativer Sicherheit.

      Nun griff auch die Stadtwache, die zuerst vor der alles niedertrampelnden Masse hatte fliehen müssen, in den Kampf ein. War sie ohne die Unterstützung der Ofisa den Harmuged-Pilgern zahlenmäßig weit unterlegen gewesen und hatte sich nicht getraut gegen sie vorzugehen, so schlug sie nun umso heftiger drein.

      Das besiegelte nun das Ende des Harmuged-Aufstands von Isco. - Selbst die fanatischsten Pilger sahen nun ein, dass die Sache verloren war und dass es nur noch um das eigene Überleben ging.

      Eine Gruppe Schwarzgekleideter nach der anderen versuchte, sich heimlich in die Durchgänge zwischen den Häusern zu schieben und vom Kampfplatz zu verschwinden.

      Die Zurückgebliebenen sahen sich alleingelassen und setzten nun ihrerseits zu kopfloser Flucht an. Einer der Männer hielt genau auf die `Sesiol' zu. "Legt ab! Legt ab! - Um Harmugeds Willen, legt ab!", schrie er schon von weitem. Mit einem mächtigen Satz versuchte er das Deck des Löwenbootes zu erreichen, sprang aber zu kurz. Dumpf prallte sein Körper gegen das Schanzkleid der `Sesiol'. Verzweifelt versuchte er sich festzuhalten.

      Sofort sprang der Kapitän mit erhobenen Händen auf den Hilflosen zu. Teri sollte nie erfahren, ob er ihn an Bord ziehen, oder ins Wasser stoßen wollte, denn im selben Moment zischte vom Ufer ein Pfeil heran und durchbohrte den Unglücklichen, aus dessen Mund bei seinem letzten Schrei ein dünner Blutnebel schoß.

      Teri schloß die Augen. Hatte das Gemetzel auf dem Hafenplatz für sie bislang kaum anders ausgesehen, als eine Balgerei der Kinder am Strand von Thedra, so hatte sie hier zum ersten Mal den Tod eines Menschen gesehen. Noch lange verfolgten sie der blutige Schrei und das Aufklatschen des Körpers auf das Wasser in ihren Träumen.

      Wieder drückten die Matrosen mit aller Kraft die Holzstangen gegen die Kaimauer, da kam die `Sesiol' plötzlich frei. Mannschaft und Passagiere jubelten laut. - Zwar war der Kampf der feindlichen Kongregationen schon lange entschieden; nur vereinzelt wehrten sich noch kleine Gruppen der Harmuged-Pilger gegen die Ofisa-Übermacht. Aber nun würde bald die Jagd nach den Entkommenen beginnen. Isco war in der kommenden Nacht mit Sicherheit kein guter Ort für harmlose Reisende.

      Die größeren Schiffe lagen alle noch unbeweglich an der Kaimauer. Die `Sesiol' hatte freie Fahrt. Schon in der Hafenmitte ließ der Kapitän die großen Dreieckssegel setzen. Langsam blieb der Kampfeslärm zurück.

      Zehn Tage war die Sesiol nun schon auf See, und noch immer war der Kapitän es nicht müde geworden, Gerit und jedem anderen, den er erwischen konnte, seine Mutmaßungen über die Vorgänge in Isco zu erläutern.

      Gerit schien das nichts auszumachen. Ganz im Gegenteil. Obwohl er weder den Tempel der sprechenden Höhlen oder die Innenstadt von Isco je gesehen hatte, beteiligte er sich fleißig an den Spekulationen über den Verlauf der Schlacht. Ganze Tage standen er und der Kapitän auf dem Achterdeck und redeten sich die Köpfe heiß. Tana gegenüber behauptete Gerit steif und fest, dass er das nur tue, um die alte Plaudertasche von ihr fernzuhalten; aber jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte sehen, welchen Spaß ihm seine Opfergänge machten.

      Tana und Teri verbrachten die meiste Zeit in der Nähe ihrer Kabine. Zu Tanas Erstaunen hatte es bei ihr keine Anzeichen von Seekrankheit gegeben; ihr Körper hatte sich hervorragend an das schaukelnde Stampfen gewöhnt. Immer wieder sang Teri ihrer Stiefmutter die Lieder der Kraan vor, die sie auf dem ersten Teil der Reise gelernt hatte; und wenn die seltsam hypnotische Wirkung der Melodien auch vollständig ausblieb, so waren sie doch schön.

      Teri fand es ein wenig bedauerlich, dass die `Sesiol' nicht so viele Klettermöglichkeiten bot, wie die Kao-lad. Trotzdem stieg sie manchmal die Wanten hinauf, hoch zu der kleinen Plattform am Mast.

      Das Löwenboot fuhr bauartbedingt mit erheblich größerer Schräglage, als der klobige Zweimaster. Es machte Teri Spaß, hinabzuschauen und direkt unter sich die Wellen dahinjagen zu sehen.

      Tana liebte diese Ausflüge ihrer Stieftochter nicht sonderlich, aber sie ließ sie gewähren. Teri war gewandt und kräftig. Außerdem träumte sie schon seit Jahren davon, Scharfrau auf einem der Schwalbenschiffe zu werden. - Warum sollte sie sich nicht schon jetzt einen kleinen Vorgeschmack auf ihr zukünftiges Leben holen?

      Trotzdem ließ Tana das Kind keinen Augenblick lang aus den Augen und war erst wieder beruhigt, wenn Teri sicher auf das Deck der `Sesiol' zurückgekehrt war.

      Oft saß Teri auch in der Runde der Matrosen und hörte sich allerlei Geschichten aus aller Welt an. Die Männer wetteiferten darum, dem Kind mit immer neuen, abenteuerlichen Geschichten zu imponieren: Seeungeheuer tauchten natürlich darin auf und der Feuermann, der auf den Rahen tanzte. Auch Fische, die so groß waren, dass kein Schiff sie an Bord nehmen konnte, so dass man sie im Wasser zerteilen mußte. Riesenhafte Tiere sollte es im Lande Ceon geben, deren Nase so lang war, dass sie damit die Früchte von den Bäumen pflücken konnten. Auch sei in Ceon ewiger Sommer - man stelle sich vor!

      Teri glaubte natürlich kein Wort von diesem Gefasel. Sie wußte sehr gut, dass die Matrosen sich nur einen Spaß mit ihr machen wollten. - Aber die Männer erzählten gut und spannend, so dass die Zeit schneller herumging.

      Seit mehr als zwei Monaten war das Löwenboot nun schon unterwegs. Die `Sesiol' hielt sich immer in der Nähe der Küste und lief nahezu jeden Hafen an. Als Stückgutfrachter war sie in mehrere Laderäume unterteilt, von denen abwechselnd mal dieser und mal jener be- oder entladen wurde. Da nach jeder Änderung in der Beladung die Trimmung durch Umverteilen großer Frachtmengen in andere Laderäume korrigiert werden mußte, lag der kleine Frachter oftmals zehn Tage und mehr an den Kais der Häfen.

      Teri durchstreifte tagelang die Gassen von Osange, wo die Leute aus Furcht vor Erdbeben nur ganz flache Häuser mit leichten Dächern zu bauen wagten. Teri fand das etwas übertrieben, wann würde denn wohl je die Erde beben? Die Erklärung eines der Matrosen, dass das hier sehr oft geschähe, nahm sie nicht ernst.

      So war sie denn auch furchtbar erschrocken gewesen, als eines Tages plötzlich ein dumpfes Grollen aus der Erde drang und die Kaimauer, auf der sie gesessen hatte, zu vibrieren anfing. Total entsetzt, unfähig, auch nur aufzuspringen, hatte sie dagesessen und versucht, ihre Fingernägel in das steinerne Pflaster des Hafenplatzes zu krallen. Nach wenigen Augenblicken war der Spuk vorbei gewesen und nur noch die wild schwankenden Masten der Schiffe hatten von dem Geschehen gekündet. Nach diesem Erlebnis war Teri in Osange nur noch widerwillig an Land gegangen.

      Die nächste Station war Kaji gewesen; die Stadt der Ziegenhirten und des Leders, die Heimat Fakuns, des verlassenen Kranken aus dem Fremdenhaus.

      Fakun hatte erzählt, dass es thedranische Kaufleute in der Stadt gäbe, und so beschloß die Familie, sich auf die Suche nach ihnen zu machen. Der Kapitän der `Sesiol', der die Landessprache einigermaßen beherrschte, hatte herausgefunden, dass die Thedraner in einem Haus etwas außerhalb der Stadt, direkt am Meer wohnten. "Fragt einfach nach den Giriji", hatte er Tana und Gerit erklärt. "Das bedeutet in der Landessprache so etwas wie `Geizhälse'."

      Zunächst war die Familie aber über den Markt geschlendert. Teri hatte auf der Reise nun schon Gelegenheit gehabt, sich Märkte in verschiedenen Hafenstädten anzusehen, aber der Markt von Kaji war schon etwas Besonderes.

      Eigentlich handelte es sich gar nicht um einen Markt, sondern um einen gewaltigen Ziegenpferch, dem eine Schlachterei und eine Ledermacherei angegliedert waren. Zum Glück wehte ein frischer Wind von See her über die Stadt, sonst wäre der Geruch wohl nicht auszuhalten