Michael Stuhr

MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND


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bestätigte Gerit. "Das haben wir getan, um das Große Erf kennenzulernen."

      "Du! Du, mit deiner gelassenen Art! - Du bringst mich zum Wahnsinn!" Tana stand breitbeinig vor Gerit und stemmte die Hände in die Hüften. "Wenn es nach dir ginge, würden wir jetzt einfach zurückfahren - nach Thedra - und uns blamieren."

      "Genau." Gerit nickte.

      "Oh, ihr Götter! - Wen habe ich mir da bloß als Partner ausgesucht?"

      Teri saß still auf dem Dach der Kabine und hörte nur mit halbem Ohr hin. Sie hatte sich bei der Einfahrt in den Hafen an einem vorstehenden Stück Planke den kleinen Zeh gebrochen. Größere Ausflüge kamen für sie sowieso nicht in Frage.

      "Was du machen wirst, ist mir egal." Wenn Tana diesen Gesichtsausdruck hatte, war mit ihr nicht mehr zu reden. "Ich jedenfalls denke nicht daran jetzt aufzugeben." Wütend zerrte sie an ihrem Bündel herum. "Wenn du mitkommen willst, dann beeil dich!"

      Gerit stand mit hängenden Schultern neben ihr. Tana hatte ja Recht. Jetzt, so kurz vor dem Ziel aufzugeben, dafür hatten sie nicht die Ersparnisse langer Arbeitsjahre geopfert. Und für Tana ging es um noch viel mehr. - Sie war es gewesen, die sich gegen die Meinung der Zunftmeister aufgelehnt hatte. Sie hatte sich als erste von Stadt und Zunft losgesagt. - Wenn sie jetzt mit leeren Händen zurückkehrte, würde sie den Spott des ganzen Formerfelsens zu fürchten haben.

      "Kommst du jetzt? Ich will zuerst zum Markt. Die Tiganer werden schon nichts dagegen haben, wenn wir uns mal gründlich umsehen." Tana ging entschlossen auf die Laufplanke zu.

      "Bleib auf dem Schiff", wies Gerit Teri an. "Richtig laufen kannst du sowieso nicht, also hoppele auch nicht unnütz auf dem Kai herum. - Wenn es Schwierigkeiten geben sollte, versteck dich. Der Kapitän wird dir helfen. Er hat es mir versprochen. - Ach ja, nimm dir besser den Geldgürtel aus meinem Bündel, und trage ihn am Körper. - Bis später, Kleines!"

      Teri grunzte unwillig. Nichts als Vorschriften bekam sie zu hören - und zum Schluß wurde sie auch noch `Kleines' genannt. Tana hatte vollständig Recht. Dieser Gerit war ja wohl wirklich kaum zu ertragen.

      Gerits letzten Auftrag hatte sie bereits vergessen, als ihre Stiefeltern noch nicht ganz im Gewühl des Hafenplatzes verschwunden waren. Vorsichtig stand sie auf, humpelte zur Reling und winkte ihnen nach. Nein, laufen ging wirklich nicht. - Darum setzte sie sich lieber wieder auf das Dach der Kabine und betrachtete mitleidig ihren gebrochenen Zeh.

      Darüber war sie eingeschlafen, und als sie gegen Abend erwachte, waren Tana und Gerit noch nicht zurückgekehrt. Teri fand das nicht weiter bedenklich, denn wenn Tana sagte, sie wolle sich gründlich umsehen, dann würde sie das auch tun. Nur Gerit tat Teri ein wenig Leid, weil er wahrscheinlich die ganze Zeit treu hinter Tana herlaufen mußte, wie er es schon auf der ganzen Reise getan hatte.

      Der Kapitän sah die Sache ganz anders. Die ganze Zeit über war er nervös über die Planken des Decks gelaufen und hatte wirres Zeug vor sich hin gebrabbelt.

      Jetzt, als er sah, dass Teri erwacht war, kam er zum Bug des Schiffes. "Ach, du mußt dir keine Sorgen machen! - Es ist ja noch nicht spät! - Bestimmt sind sie nicht gefangen! - So schlimm ist es bestimmt nicht!"

      Plötzlich war Teri hellwach. Der Kapitän stand vor ihr und machte sie mit seinem beruhigenden Geschwätz immer mißtrauischer, wobei er seinen Kopf hin und her drehte und Teri nicht in die Augen sah. Der alte Mann war ein jämmerlicher Lügner.

      "Auch wenn es gleich Sperrzeit ist ... - So ein neues, dummes Gesetz! - Ach die Tiganer sind freundliche Leute! - Zu Gast, ja zu Gast werden sie sein! - Nicht im Sperrgebiet! - Und dann kommen sie zurück, du wirst sehen!"

      "Sperrzeit? - "Wieso Sperrzeit?" Teri richtete sich auf und sah den Kapitän fragend an.

      "Ach ja, die Sperrzeit! - Sind bestimmt zu Gast, über Nacht! Ist nicht so schlimm! - Kommen ..."

      "Wieso Sperrzeit? - Wieso Sperrgebiet?" Teri sprang auf das Deck. Das leichte Pochen in dem gebrochenen Zeh wurde schlagartig zu einem stechenden, wütenden Schmerz. Teri achtete nicht darauf.

      Der Kapitän warf in einer hilflosen Geste die Arme in die Höhe. "Kein Fremder darf Tigan im Dunkel sehen. - Das ist ja jetzt Gesetz. - Wie in Thedra, weißt du. - Und kein Fremder, na ja, das Sperrgebiet ..."

      "Wird man sonst verhaftet?" Teri humpelte zur Reling und suchte im schwindenden Tageslicht den Kai nach ihren Leuten ab. Sie mußte daran denken, wie übel es manchen Besuchern Thedras ergangen war, die nicht rechtzeitig ins Fremdenhaus gefunden hatten.

      "Ach, das ist nicht so schlimm! - Nein, sie werden zu Gast sein! - Ja, so wird es sein! - Mach dir keine ..."

      "Wird man sonst verhaftet?" Teri war herumgewirbelt und blitzte den schwatzhaften Kerl böse an. Ihr gebrochener Zeh protestierte wütend gegen diese neuerliche Mißhandlung und eine dumpfe Schmerzwelle stieg bis in die Hüfte empor.

      Endlich war es ihr gelungen den Redefluß des Kapitäns zu stoppen. "Ja!", bestätigte er mit gesenktem Kopf Teris Verdacht.

      "Dann, dann müssen wir sie suchen! Wir müssen Tana und Gerit suchen, ehe es zu spät ist!" Voll aufkommender Panik schaute Teri auf die Sonne, deren unterer Rand fast schon den fernen Horizont berührte. In weniger als zwei Sonnenhöhen würde es dunkel sein.

      Teri hätte den Kapitän schlagen mögen, so wütend war sie. Warum hatte dieser Narr sie nicht schon früher geweckt? Mühsam humpelte sie auf die Laufplanke zu. Sie mußte Tana und Gerit finden! - Sie zurückbringen auf die `Sesiol'. - Sie in Sicherheit bringen!

      "Warte!" Wie immer, wenn Not am Mann war, legte der Kapitän sein geschwätziges Gehabe vollständig ab. "Meine Mannschaft ist schon seit über fünfzig Sonnenhöhen auf der Suche. Die Männer kennen die Stadt. - Wenn sie deine Eltern finden, bringen sie sie sofort hierher."

      Teri schaute sich um. Erst jetzt sah sie, dass sie mit dem Kapitän ganz allein auf dem Schiff war. - Und noch etwas fiel ihr auf: Dass die Haltetaue der `Sesiol' auffällig locker auf den Pfählen hingen. Auch waren die Segel nicht verschnürt, wie es sonst im Hafen üblich war. – Alles war für eine rasche Flucht vorbereitet.

      Hilflos schaute Teri den alten Mann an, der versuchte, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben. "In wenigen Augenblicken müssen meine Männer zurück sein. - Geh jetzt nicht an Land. Du bringst dich nur selbst in Gefahr."

      Schweigend stand Teri an der Reling und starrte in der aufziehenden Dunkelheit auf die Häuser des Hafens. Wie der Kapitän gesagt hatte, kamen in kurzen Abständen die Männer der Besatzung aus der Stadt zurück. Doch keiner von ihnen brachte Tana oder Gerit mit an Bord, und keiner hatte sie gesehen.

      Als letzter kam der Bootsmann an Bord. Er endlich brachte die Nachricht, die alle befürchtet hatten.

      Kurz nach der Tagteilung waren auf der Straße der Brennöfen, also mitten im Sperrgebiet, zwei Spione, ein Mann und eine Frau, verhaftet worden. Das hatte der Bootsmann von einem flüchtigen Bekannten, einem Offizier der Tiganer Stadtwache, gehört.

      "Nach der Verhaftung sind sie zum Verhör in das Stadtgefängnis gebracht worden", berichtete der Mann mit einem Seitenblick auf Teri. "Sie waren beide verletzt. Der Mann von der Stadtwache vermutet, dass sie direkt nach der Vernehmung ins Erf gebracht wurden. - So ist es jedenfalls bislang immer geschehen."

      Teri stand da und wartete darauf, dass die Männer endlich anfangen würden, etwas zu unternehmen. Sie mußten sich bewaffnen! An Bord gab es doch genug Werkzeuge aus Metall. Losstürmen sollten sie! - Die Stadtwache niederrennen. - Durch die Stadt hindurch. - In dieses verfluchte Erf hinein. - Tana und Gerit waren verletzt. Sie mußten doch gerettet werden!

      Teris Gedanken begannen, sich zu verwirren. War da einerseits der Wunsch in ihr, an der Spitze dieser Männer in die Stadt zu stürmen und ihre Stiefeltern auf das Schiff zu holen, war da andrerseits das sehr konkrete Wissen, dass das so nicht funktionieren würde.

      Sie brauchte nur im letzten Dämmerlicht des Tages auf den Kai hinauszusehen, um zu wissen, dass ein Versuch die Stadt zu stürmen schon nach wenigen Schritten im Pfeilhagel der Wachen enden mußte.

      Auffällig