Michael Stuhr

MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND


Скачать книгу

Luft im Hafen von den vorschnellenden Sehnen und Pfeilen sirren und rauschen würde. Wenn der Hafenmeister es wollte, würde in wenigen Augenblicken niemand an Bord der `Sesiol' mehr leben.

      "Mach dir keine Sorgen." Der Kapitän fuchtelte nervös mit den Händen vor Teri herum. "Deine Eltern haben die Passage bis Thedra für dich bezahlt. - Wir bringen jetzt noch Fracht nach Mittelwelt, in meine Heimat, und dann geht es zurück nach Isco. - Mach dir keine Sorgen. Alles ist bereits bezahlt!"

      Der Kapitän war, wie gesagt, ein sehr schlechter, ja geradezu ein erbärmlicher Lügner.

      Teri sah Mittelwelt und sah es doch nicht.

      Die `Sesiol' fuhr auf ihrem östlichen Kurs über die offene See bis Kap Mocam und arbeitete sich dann in die Große Bucht hinauf, bis nach Ago im Lange Ceon, der Heimat des Kapitäns. Hier sah Teri auch einige dieser Tiere, von denen sie nicht geglaubt hatte, dass es sie gäbe.

      Gewaltige graue Kolosse, mit Nasen so lang wie Teris ganzer Körper, waren dazu abgerichtet, schwere Arbeiten für die Menschen zu verrichten. Teri sah mit eigenen Augen, wie diese Ungetüme ganze Baumstämme nur mit der Kraft ihrer Nasen schleppten. - Auch fiel es Teri langsam auf, dass es nun schon seit über einem Jahr nicht mehr Winter geworden war.

      Hätten sie solche Wunder und Erkenntnisse noch vor wenigen Monaten in helle Aufregung versetzt, so hatte sich ihrer nun ein Gleichmut bemächtigt, der sie zwar alles in sich aufnehmen ließ, sie aber gleichzeitig um die ursprüngliche Freude des Erlebens betrog.

      Seit Tigan war aus Teri eine ernste junge Frau geworden, die nur selten lachte. Zu tief war die Trauer um Tana und Gerit, zu ungewiß das Schicksal der beiden.

      Immer wieder drängte sich das Bild der zwei Verletzten in Teris Gedanken. Tana und Gerit, wie sie sich gegenseitig stützend, dem sicheren Tod im Großen Erf entgegenwankten.

      Wie konnte Teri sich an Sonne, Luft und Licht, wie sich an Pflanzen und Tieren freuen, wenn sich täglich solch trübe Gedanken über ihr Gemüt legten?

      So verbrachte sie ihre Zeit in Ago bei der Familie des Kapitäns in stiller Melancholie, die allen Aufheiterungsversuchen widerstand. Man brachte ihr die Grundbegriffe der Ago- oder Löwensprache bei, und willig half sie der Frau des Kapitäns bei ihren täglichen Verrichtungen. Damit waren ihre Tage in Ago ausgefüllt.

      Endlich war es wieder so weit. Die `Sesiol' war im Hafen überholt worden und wieder bereit, auf große Fahrt zu gehen. Ein Jahr oder länger würde die Reise dauern und entsprechend lange mußte der Abschied gefeiert werden.

      Die Angehörigen der ganzen Mannschaft trafen sich im Haus des Kapitäns und feierte drei Tage lang. Jede Familie hatte die ihr eigene Spezialität an eß- und trinkbaren Köstlichkeiten mitgebracht, und Teri mußte von allem probieren.

      Schließlich kamen noch alle Nachbarn dazu, und am dritten Tag war das ganze Stadtviertel auf den Beinen, um der `Sesiol' den Abschiedsgruß nachzurufen. In einem wahren Triumphzug wurde die Mannschaft zum Hafen geleitet, wo ein Umarmen ohne Ende einsetzte. Auch Teri wurde von über hundert Leuten, vorwiegend jungen Männern, derartig durchgeknuddelt, dass es ihr glatt den Atem nahm.

      Schließlich stach die `Sesiol' unter den Hochrufen der Menge in See, und bald schon bestimmte das ewige Gleichmaß des Meeres wieder den Tagesablauf.

      Je näher die `Sesiol' Kap Tigan kam, umso unruhiger wurde Teri. Als sie schließlich die Landspitze umrundeten und die Konturen der Stadt an Steuerbord in weiter Ferne schwach zu erkennen waren, lief sie nervös auf dem Schiff herum und war für nichts mehr zu gebrauchen.

      Fast ein Jahr war vergangen, seit sie Tana und Gerit zum letzten Mal gesehen hatte und doch kletterte Teri jedes Mal, wenn die `Sesiol' der rotbraunen Küste näher kam, in den Mast hinauf, um Ausschau zu halten. Aber nicht die Klippen und Riffe auf dem Kurs des Schiffes wollte sie erkunden. Stundenlang stand sie neben dem Matrosen auf der winzigen Plattform und schaute weit in das Große Erf hinein.

      Tagelang zog die Sesiol ruhig ihre Bahn entlang der Südlichen Wüste. Mehr als einmal glaubte Teri, weit im Inneren des unendlichen Steinmeeres Bewegungen zu erkennen, aber nie konnten die Matrosen, die gerade Dienst als Ausguck hatten, ihre Beobachtungen bestätigen, und als vierzig Tage nach dem Passieren von Kap Tigan die Küste wieder grün und das Land wieder fruchtbar wurde, gab Teri es auf.

      Nun war auch die Letzte Hoffnung in ihr erloschen, Tana und Gerit je wiederzusehen, es sei denn ...

      Ärgerlich drängte sie die Gedanken, die ihr die Möglichkeit einer Rettung vorgaukeln wollten, beiseite. Sie hatte sich damit abzufinden, dass sie allein auf der Welt war. Sie würde ihr Leben bald selbst in die Hand nehmen müssen. Ein vager Gedanke an Thedra, an die Fliegenden Schiffe, tauchte in ihr auf. Aber selbst die Aussicht, eventuell ein Leben als Scharfrau zu führen, erschien ihr seltsam farblos. - Bis die `Amethyst' kam.

      Oft schon hatte Teri auf ihrer Reise fliegende Schiffe an den `Schwalbenstangen' der Häfen liegen sehen. Lang und flach, mit dem weit nach hinten geneigten einzigen Mast, hatten sie das immer gleiche, typische Erscheinungsbild geboten, das jeder Seemann des Kontinents kannte.

      Näher als zweihundert Schritte war sie jedoch nie an die Schiffe herangekommen. Auch als Thedranerin stand ihr das Recht, sich die Fliegenden Schiffe genauer anzuschauen nicht zu. Man mußte schon zur Sturmflottenschar gehören, um sich nähern zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, mit Peitschenhieben verjagt, getötet, oder als Sklave genommen zu werden.

      Teri hatte die Frauen und Männer der Besatzungen stets beneidet. Was für ein Gefühl mußte es sein, auf den schnellsten Schiffen der Welt die auserlesensten Frachten in die fernsten Länder zu bringen.

      Zweimal hatte es auch Begegnungen auf hoher See gegeben, obwohl das Wort `Begegnung' eigentlich etwas zu hoch gegriffen war. Selbst auf hoher See hielten die Schwalbenschiffkapitäne normalerweise großen Abstand von allen Schiffen anderer Bauart, und so hatte Teri nur aufgeregt verfolgen können, wie die gewaltigen Einzelsegel mit irrwitziger Geschwindigkeit vor der Kimm dahinglitten. Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, einmal an Bord eines solchen Schiffes sein zu dürfen.

      Seltsam verblasst waren diese Hoffnungen und Wünsche seit der Nacht von Tigan - bis es, zwei Tage vor Kaji, zu einer wirklichen Begegnung mit einem Fliegenden Schiff kam. - Bis die `Amethyst' aus dem Zwielicht des frühen Morgens aufgetaucht war.

      "Leopard Backbord voraus!" Die Stimme des Ausgucks überschlug sich förmlich.

      Teri fuhr aus dem Schlaf auf. - Hatte da nicht jemand `Leopard' gerufen? Leopard, das war doch die Bezeichnung, die die Löwenbootleute in ihrer Sprache für die stolzesten Einzelgänger unter den Schiffen hatten.

      Ein Schwalbenschiff!

      Blitzartig schob Teri den Vorhang ihrer Kabine beiseite und stolperte schlaftrunken auf das Deck. Die Sonne, von der erst ein winziger Bruchteil über den Horizont schaute, blendete sie. Suchend schaute sie sich mit zusammengekniffenen Augenlidern um.

      Und wirklich, da sah sie es: Kaum tausend Mannslängen entfernt, kam ein gewaltiges, pralles, violett eingefärbtes Dreieckssegel aus den letzten Schatten der Nacht. Teri wußte sofort, um welches Schiff es sich handelte. Reines Violett war die Farbe der `Amethyst', das wußte in Thedra jedes Kind.

      Teri spürte, wie sich ihr Herzschlag vor Aufregung beschleunigte. Schnell rieb sie sich den Schlaf aus den Augen, um besser sehen zu können.

      Hoch spritzte die Gischt unter dem Rumpf des Schwalbenschiffes empor. Schon drangen die ersten Kommandos in der Scharsprache über das Wasser. Teri konnte die Augen nicht von diesem prachtvollen Bild lösen. Immer näher kam die `Amethyst'. Immer schneller schien sie zu werden.

      Die `Sesiol' fuhr genau in den Kurs des Fliegenden Schiffes hinein, das in voller Fahrt herangerauscht kam.

      Immer lauter wurden die Rufe der Scharleute. Teri hörte bereits das Aufklatschen der Dünung unter den Rumpf des Schwalbenschiffes. Sie sah, wie die Mannschaft im Mast eilig die Segelgeometrie veränderte, sah, wie sich drei Scharleute mit aller Kraft gegen den Steuerbalken stemmten. Sah die Griffe ihrer Dolche in der Sonne blinken.

      Teri stand am